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Kapitel 6

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»Was heißt Entschuldigung auf Russisch?«, ruft er von drinnen. Türen klappern. Sicher ist er in der Küche.

»Es gibt für jeden Anlass eine andere Art sich zu entschuldigen«, sage ich versonnen und kämme meine Haare mit den Fingern.

»Sag etwas. Egal was!«

»Du magst russisch?«, frage ich.

»Ich hatte mal eine russische Freundin. Ja, ich höre die Sprache gern.«

»Und ich erinner dich an sie?«

Er lacht wieder bezaubernd. Es klingt sehr dicht. In Gedanken bin ich an einem anderen Ort. Zu unwirklich ist meine Anwesenheit hier.

» Я хотел жениться на тебе - Ya khotel zhenitsya na tebje«, sage ich ganz leise und sehe ihn an der Terrassentür stehen.

»Warte! Sag nicht, was es heißt! Ich werde JA sagen.« Ich verfolge seine hastigen Schritte auf mich zu. Er überwindet hastig den letzten freien Raum zwischen uns.

Ehe ich mich versehe, liegen seine Lippen auf meinen. Er wartet zurückhaltend ab, wie ich reagiere. Ich berühre mit meiner Hand seine Wange und erwidere fordernd. Für wenige Millimeter öffne ich den Mund dabei. Er nimmt es wahr, drängt sich an mich und küsst drängender, bis ihm die Luft fortbleibt.

»Ich werde Ja sagen«, wiederholt er leise und umarmt mich erneut für einen schönen, innigen Kuss. Ich zerfließe wie Eis in der Mittagssonne und schmiege mich in seine Arme.

Er hat mich sicher hergebracht um mit mir … Meine Gedanken sind still, denn ich wäre eine schlechte Lügnerin, wenn ich es bestreiten würde.

»Du weißt nicht, was ich dich gefragt habe und sagst ja?«, erkundige ich mich mit weichen Knien und hämmernden Herzen. »Du bist entweder mutig oder leichtsinnig. Das könnte dir doch auch zum Verhängnis werden.«

»Du wolltest doch eine Antwort. Die hast du bekommen. Ob du sie mutig oder leichtsinnig findest, ist deine Sache.« Wieder sucht er meinen Mund, doch er kommt nicht so weit. Unmöglich mit meinem Kopf voller Unruhe zu schweigen.

»Wie habt ihr euch mit den Losen abgesprochen?«, frage ich.

»Gar nicht. Kai hatte deins in der Hand, als er die Lose in der Vase gemischt hat und legte es anschließend oben auf. Hätte ich es nicht gewollt, hätte ich anderes greifen können«.

»Hast du aber nicht.«

»Habe ich aber nicht«, sagt er und sein warmer Atem streift über meine Wange. Ich muss meine Augen schließen. Es fühlt sich so unwirklich in seiner Nähe an. Ganz sicher hatte er mich mitgenommen um …

»Wie hat er das aus der Küche erfahren?«, frage ich an seine Stirn gelegt. Er riecht spektakulär und betört schließe ich meine Augen. Gleich würden wir …

Yanick rückt meinen Oberkörper an. Seine Augen wandern über mein Gesicht. Ich betrachte es mir. Er antwortet nicht und seine Bernsteine ruhen jetzt still auf mir. Mir verschlägt es den Atem. Es ist wieder so wie am Fenster. Alles herum scheint nicht mehr zu existieren.

Mein Herz …

Ich reiße mich gewaltsam aus seinen Augen und hole tief Luft.

»Warum habt ihr angehalten?«, frage ich und bin mir bewusst darüber, dass ich einen schönen Moment mit Gewalt zerstöre. Aber ich habe Fragen und über das, was sich weiterhin in mir regt, möchte ich gar nicht erst nachdenken.

»Lisa kam zu mir gelaufen und hat gesagt, ich soll umdrehen.«

»Du hast auf der Brücke gesagt, ich habe ihr zu verdanken, dass ich an Bord bin.«

»Ja.«

»Und du?«

»Ich? Ich habe umgedreht.«

»Warum war Ninette so sauer?«, frage ich hart und ein Stein will meine Kehle hinabrutschen.

»Lisa hat gewettet, dass du springen würdest.«

»Gewettet?«

»Ja.«

»Mit wem?«, schneidender kann ich mit meiner Frage die Luft nicht durchtrennen.

»Mit mir.«

Meine Augen flackern, doch es sind nur meine Lider, die sich rasch heben und senken. Mein Mund öffnet sich, doch ich kann weder einatmen, noch ausatmen. Aber eine Drehung bekomme ich hin. Ich will ihn ansehen. »Worauf?«

»Auf dich.«

»Wie bitte?«

»Dass sie dich …«

»Verstehe!«, unterbreche ich ihn. Ich hebe meine Hand mit gespreizten Fingern. Das ist genug. Der Abend wird ja doch noch unterirdischer, als ich es vorhin für möglich gehalten hatte. »Lisa hat mir ihr Angebot unterbreitet.«

»So? Du hast abgelehnt?«, fragt Yanick überrascht. Seine Mimik wandelt sich und ein kleines Lächeln huscht über den schön geformten Mund. Er küsst so unglaublich und spricht so ... Er will wieder dichter treten.

»Ja!«, entgegne ich ihm barsch und blicke finster drein. »Was denkst du, warum ich nach Hause wollte?«

Schweigen. Ich versuche, meine Gedanken zu sortieren, doch alles überschlägt sich im Sekundentakt und ich fühle mich, als bestehe mein Körper aus Gummi. Eine Wette. Um mich. Um Sex. Mit mir.

In diesen Gedanken tritt er näher und berührt meinen Arm. Angeekelt weiche ich von ihm zurück. Ich hefte die Augen voller Widerwillen auf ihn.

»Worauf hast du gewettet?«, fauche ich angewidert. Ich kenne die Antwort, doch ich will es aus seinem Mund sagen hören. Ich will, dass er es mir in das Gesicht sagt.

»Sag!«, werde ich lauter, weil er mich nur betreten ansieht.

»Dass sie nicht gewinnt«, antwortet er leise und wirkt plötzlich klein. Ich schubse ihn so weit von mir, wie es möglich ist. Falsche Antwort!

»Worauf?«, zische ich und Hitze steigt mir in den Kopf hinauf.

»Dass du dich für mich interessierst«, gibt er zu und sieht mich an. Stoßweise entweicht meine Luft und mein Magen beginnt zu brennen. Ich halte mich am Geländer fest. Gebeugt suche ich Halt. Wenigstens ist er jetzt ehrlich. Aber das vorhin, mit dem Neubeginn. Er hatte mich hier hergebracht … Wegen der Wette? Ich komme mir so schmutzig vor. Und er hat mich schmutzig gemacht.

Und um ein Haar hätte ich mich wieder … Aber da wusste ich noch nichts von dieser Wette. Diese maßlosen, satten Reichen wetten um einen Menschen als Geburtstagsgeschenk. Vermutlich aus Tristesse.

»Du sagst nichts?«, fragt er leise.

Glaubt er jetzt, ich freue mich, oder was?

Empört über meine Naivität hebe ich den Kopf und sehe ihn an. Seine Iris ist jetzt dunkel. Kein bernsteinfarbenes Leuchten. Nichts, das annähernd so vertraut ist, wie der Blick in der Küche, der mir durch Mark und Bein gestrahlt hat oder mich eben fast weich gekocht hätte.

»Was kann ich dazu sagen? Du hast dir Mühe gegeben. Das muss ich dir lassen«, sage ich und lege alle Verachtung in diesen Satz, die mein Herz aufbringen kann. Mein Magen brennt wie Feuer und ich kann mich schwer konzentrieren.

»Mühe? Ich verstehe nicht.«

Ich sehe in den dunkel gewordenen Himmel hinauf und wünsche mich weg gebeamt. Müde schließe ich meine Lider. Er versteht nicht! Wie auch. Bloß schnell weg hier.

»Du hast gesagt, wir löschen alles und fangen von vorne an«, bitter lache ich auf und sehe wieder zu ihm. Fast habe ich angefangen, ihm zu verzeihen. Dann das hier. Eine Wette. Um mich. »Fast hätte ich dir geglaubt. Fast.«

»Ella, denkst du, ich erzähle dir das, weil es mir noch um die Wette geht?«

»Ja, das denke ich!«, erwidere ich laut und wer würde es anders tun?.

Er schweigt und setzt sich. »Ging, Ella, ging«, sagt er matt und öffnet seine Handflächen. Verständnislos sehe ich zu ihm. Ging oder geht, ist doch vom Motiv her dasselbe.

»Was willst du von mir? Für einen kurzen Moment hätte ich schwören können, du bist gar nicht so, wie ich auf der Brücke dachte. Aber das war ein Fehler. Ich weiß nicht, was mit euch hier oben nicht ganz rund läuft.« Ich hebe eine Hand an die Schläfe und drehe den Zeigefinger im Kreis. »Aber etwas funktioniert dort gehörig in die verkehrte Richtung!«

Wütend speie ich meinen letzten Satz in sein Gesicht, das mich mit großen Augen anstarrt. Eilig haste ich an ihm vorbei. Meine Finger öffnen sich und lassen das Handtuch zu Boden gleiten. Ich brauche jetzt seine Wohltätigkeiten nicht.

Nur weg!

Hastig eile ich durch seine Wohnung die Treppe hinab. Yanick setzt mir nach, denn ich höre es hinter mir poltern.

»Ella, warte!«

Unten angekommen sehe ich mich kurz um. Irgendwo muss es ja einen Ausgang geben. Ich sehe zur Villa und stürme darauf los.

Meine offenen Haare wippen, als ich mit großen Sprüngen diesem Albtraum entfliehe. Quer über den Rasen laufe ich und werde immerzu von Yanick gerufen, der kaum Schritt mit mir halten kann.

»Warte! Warte doch!«

Er bekommt meine Hand zu fassen, die ich ihm sofort entziehe und stehen bleibe.

»Was!«, brülle ich und drehe mich wutentbrannt um. Ich fühle mich zum zweiten Mal tief gekränkt von ihm. Wasser beginnt sich in meinen Augen zu sammeln. Doch er schweigt, bekommt keinen Ton heraus.

»кобель Kabjel! (Hund)«, schreie ich in sein verdutztes Gesicht, das mich anstarrt. Doch seine Miene bleibt verwirrt und kein Ton entfährt dem Mund, der versucht hat mich zu verwirren.

»Wo ist der verdammte Ausgang?«, frage ich und drehe mich suchend im Kreis.

Yanick schweigt betreten. Meinen Ausbruch scheint er zwar nicht zu verstehen, andererseits reagiert er auch nicht darauf. Ich drehe mich immer panischer um und entdecke ein schmiedeeisernes Tor. Dorthin renne und rüttele hysterisch daran herum.

»Mach mir auf!«, schreie ich ihn an. Yanick steht in einigem Abstand hinter mir und sieht zu. Beruhigend sagt er: »Ella! Lass mich erklären!«

Stracks drehe ich mich um, hole tief Luft und schreie, so laut ich kann: »Mach mir verdammt noch mal diese Scheiß Tür auf!«

»Was ist hier los?«, fragt jemand. Während ich geschrien habe, ist die Eingangstür der Villa geöffnet worden. Ein Mann Mitte fünfzig steht dort und sieht uns fragend an. Anhand der Figur und des äußeren Erscheinungsbildes vermutlich sein Vater.

Er ist groß, schlank und seine Haare schimmern an den Schläfen schon grau. Ich eile auf den Mann im gestreiften Morgenmantel zu, bis ich vor ihm stehe und sehe in braunen Augen, die wie Yanick und Lisa einen dunklen Rand schmücken.

»Ich würde gerne das Grundstück verlassen, aber Ihr Sohn öffnet mir die Tür nicht.«

»Sie wollen gehen?«, fragt er.

»Ja, bitte.«

»So?«, fragend gleiten seine Augen an mir hinunter. Stimmt ja, ich bin barfuß und im Bikini. Ich sehe an mir hinab und entdecke sein Problem nicht. Ist doch besser als nackt.

»Ich will nur schnell weg, bitte.«

Yanicks Vater verlagert sein Gewicht auf ein Bein, hält mir seine ausgestreckte Hand hin und winkt mich mit der Handfläche nach oben zu sich. Es sieht sehr gebieterisch aus und auch er ist gewohnt, dass getan wird, was er verlangt. Aber ich reagiere nicht, sehe ihn nur trotzig an.

»Hübsches Kind!«, beginnt er und lässt seine Hand sinken. »So lasse ich Sie schon ganz gewiss nicht in die Dunkelheit.« Eindringlich werde ich von ihm angesehen. Weil ich noch immer nicht reagiere, streckt er sich und fügt an: »Wir suchen wenigstens schnell etwas zum Überziehen, damit Sie nicht halb nackt und barfuß auf der Straße laufen müssen. Dann öffne ich Ihnen das Tor. Versprochen.«

Darauf reagiere ich und forsche zurzeit in seinem Gesicht, ob er mir vertrauenswürdig erscheint. Seine dunklen Augen ruhen auf mir. Er wirkt geduldig und drängt mich nicht. Als Folge dessen trabe ich auf ihm zu, blicke jedoch noch einmal seitlich neben mir, wo Yanick steht, der das Gespräch verfolgt hat.

Ich sehe ihn wie ein Insekt an, vor dem mir grault und verziehe meine Augen zu schmalen Schlitzen. Wenn ich daran denke, dass er mich vorhin geküsst hat … und ich bescheuerte Pute fand das auch noch so reizvoll, dass ich weiche Knie bekam und mir mehr vorstellen konnte.

An der Tür angekommen geleitet der Vater mich in die Villa. Ich stehe in einer riesengroßen Empfangshalle. Das reinste Statement und ich fühle mich verloren.

Eine große, breite Treppe führt in die oberen Stockwerke. Alles, selbst der hochglanzpolierte Tisch mit einem teuren Blumengesteck und der Marmorfußboden schüchtern mich hier ein.

Verunsichert bleibe ich stehen und wartete auf das, was jetzt folgt.

Yanicks Vater richtet sich an seinen Sohn: »Geh bitte etwas von Lisa holen! Irgendetwas.«

Unwillig tut er, wie ihm geheißen wurde, ohne den Blick von mir abzuwenden. Langsam steigt er die überdimensional breite Treppe hinauf und ich senke meinen Blick auf den Boden. Meine Augen flackern nervös und ich will, dass er sich beeilt.

Doch er geht mit seinem Schneckentempo die Treppe hinauf. Das macht er jetzt extra so langsam. Mach hin , schreie ich ihm in Gedanken nach.

Als er außer Hörweite ist, wende mich an Yanicks Vater, der mich sensationssüchtig mustert: »Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt. Er hätte mich einfach gehen lassen können. Dann wäre gut.«

Entschuldigend blicke ich drein. Solche Leute verabscheuen doch gewiss derartige Szenen.

Zudem fühle ich mich an diesem Ort unwohl. Fehl am Platz. In dieser riesigen Villa, vor einen fremden Mann, der im Übrigen auch noch stinkreich zu sein scheint, empfinde ich mich mehr als nackt. Ich komme nicht umhin mir hier Ninette vorzustellen und verstehe kaum, wie sie sich das hier als Ziel ihrer Träume auserkoren hat.

»Ich habe noch nicht geschlafen.« Er wischt mit einer verharmlosenden Geste seine Hand in der Luft. »Was war denn los?« Gut, wenigstens ist er freundlich. Aber Lisa und Yanick sind seine Kinder. Und Eltern lassen selten Kritik an ihren Kindern zu. Also Obacht und Diplomatie.

»Sie haben um mich gewettet. Das habe ich eben von Yanick erfahren. Das macht mich wütend«, antworte ich knapp mit den Fakten.

»Sie waren auf der Party?«

Ich nicke. »Ja.«

Dabei huscht mir ein Lächeln über mein Gesicht, weil ich mich an mein Gefühl auf dem Steg erinnere.

»Das Boot fuhr an mir vorbei. Ich habe zur Musik getanzt und sie sind zurückgekommen, um mich mitzunehmen. Ich bin gesprungen und zum Boot geschwommen. Sie haben mich mitgenommen.« Bei dem letzten Satz lache ich leise, weil es für mich immer noch unglaublich ist. Ein sehr schönes Gefühl und ich strahle stolz Yanicks Vater an.

»Wirklich?«

Ich nicke eifrig.

»Ich bin wirklich gesprungen. Verrückt, oder?«

»Nur ein bisschen.« Nachdenklich sieht er an mir hinab.

»Und wer von den Beiden mich rumkriegt«, erzähle ich weiter und verdrehe meine Augen, »bekommt mich als Geschenk zum Geburtstag.«

Der Vater zieht seine Augenbrauen in die Höhe und saugt seine Lungen mit Luft voll.

»Sie werden sicher verstehen, warum ich hier schleunigst verschwinden will?«, frage ich vertrauensvoll. Er nickt.

»Haben Sie Hunger?«

»Ja. Nein. Bitte … Ich will weg hier. Ich bin …«

Gequält sehe ich ihn an und suche nach Worten. »… Satt.«

»Verstehe.«

Das beruhigt mich, denn Essen geht jetzt gar nicht und ich finde seine Einladung auch irgendwie merkwürdig. Wie kommt er darauf, dass ich hier essen möchte?

»Ehrlich gesagt habe ich keine Lust darauf mich bei Ihnen über das Verhalten Ihrer Kinder auszuheulen. Ich möchte nur weg«, sage ich entnervt und hoffe, er versteht das.

Er lächelt mich an. Gewiss würde Yanick ihm in ein paar Jahren ähneln. Graue Schläfen, Brille und ein souveränes Verhalten. Aber was ging mich das an.

»Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?«

»Einundzwanzig.«

»Einundzwanzig. So jung.« Seine Hand dreht sich und er sieht mich eigentümlich an. Aus den Augenwinkeln sehe ich Yanick, der ebenso langsam, wie er die Treppe hinaufgestiegen war, wieder hinunterkommt. In seiner Hand hält er eine Strickjacke, eine leichte Sommerhose und Flip-Flops. Er reicht mir alles mit einem gequälten Blick.

»Ella. Lass es mich doch endlich erklären!«

»Was gibt es da zu erklären!« Ich zerre wütend an den Sachen und ziehe sie mir eilig an. »Keiner von euch hat seine Wette gewonnen. Punkt! Schönen Geburtstag noch!«

Die Klamotten passen. Ich trete ein Stück näher zu ihm und fauche: »Weißt du, ich hatte den schönsten Nachmittag meines Lebens. Aber du … Ihr … müsst wetten, weil ihr Dekadenten euch über andere stellt. Deine Eltern haben wahrscheinlich ne Menge Geld. Aber hier«, ich tippe ihn mit meinem Zeigefinger an seinen Brustkorb, »hier bist du so was von armselig drin. Mein Bikini ist billig. Und es kann sein, ich bin aus deiner Sicht auch billig. Aber: Ich bin lieber billig und einfacher Herkunft, als arrogant, überheblich und herabsetzend – ein Arschloch von und zu!«

Yanick schluckt schwer, doch er holt Luft und schnauzt zurück: »Ja! Ich habe mich wie ein Arschloch verhalten. Aber als ich vom Neubeginn geredet habe, war es ehrlich gemeint. Was weißt du denn schon von mir!«

Sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell und wir stieren uns an. Unsere Köpfe sind einander zugeneigt. Keiner von uns will zurückweichen.

»Einen Dreck weiß ich von dir, Yanick. Genau nur den Dreck, den du mir von dir gezeigt hast«, presse ich hervor und senke meine Stimme: »Sage mir jetzt nicht, dass für dich plötzlich alles anders war. Wir sind hier nicht im Film!«

Nicht heulen! Ja nicht heulen! Doch meine Stimme bricht und ich wende mich ab. Dort betrachtet mich sein Vater, der schweigend, aber fasziniert unseren Disput verfolgt hat.

»Darf ich Sie jetzt an Ihr Versprechen erinnern? Die Öffnung der Tür.« Mit meinen Worten erwacht Yanicks Vater und strafft sich, doch ich werde an meinem Arm festgehalten.

»Bitte schön, geh! Geh doch! Aber ich habe dir nicht nur Dreck gezeigt!«

Überraschenderweise bricht seine Stimme ebenfalls. Dessen ungeachtet fahre ich herum und unterbreche ihn: »Ich war nicht einmal ganz bei dir. Wie kommst du darauf, dass ich von dir gehe?«

Seine Augen weiten sich und er lockert minimal seinen Griff. Ich reiße schwungvoll meinen Arm los und stehe ihm mit erhobenem Kinn gegenüber. Zu gut weiß ich, dass meine Worte gelogen sind, aber diesen Pfeil muss ich jetzt in sein Herz abschießen. Ich brauche eine kleine Genugtuung. Wie ich sehe, ist er in seinem Ziel angekommen. Yanick stellt sich breitbeinig vor mir auf.

»Oh, doch, Ella«, sagt er beängstigend gefasst und selbstsicher. »Das warst du. Du warst so was von bei mir. Und ich weiß, dass du das auch weißt«.

Ja, ich weiß, was er meint und genau das hat mich ängstlich gemacht. Zweimal. Sprachlos stehe ich da und glotzte ihn an.

Was könnte ich auf diese Wahrheit antworten? Lügen?

Trotzig wirbele ich zur Tür und reiße sie auf. Yanicks Vater erscheint neben mir. Er ergreift meine Hand und küsst sie lange. Ich sehe zu und bin überrascht. Trotz meines Aufzuges und meines Verhaltens zollt mir Respekt. Mir!

Ich werde Milde und sacke ein wenig zusammen. Mein Herz wird weich und ich sehe diesen müden Mann an, der lächelnd sein Gesicht zu mir hebt. Diese Augen!

»Es hat mich überaus gefreut Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bedauere zutiefst, dass Sie uns verlassen wollen. Ich bin leider nicht imstande mich für das Verhalten meiner Kinder zu entschuldigen. Sie müssen mir indes glauben wie leid es mir tut, wie sehr sie Sie verletzt haben. Kann ich Ihnen ein Taxi rufen, damit Sie sicher heimkommen?«

Ich bin platt. Er ist so überaus freundlich und zuvorkommend, dass ich mich zaudernd umdrehe. In sein Gesicht sehend, verneine ich und kämpfe mit meinen Tränen.

Es ist mir etwas unangenehm, dass ich vermutlich vorschnell über sein Wesen geurteilt habe. Ich räume ein, dass nicht jeder, der viel Geld besitzt, zwangsläufig auch ein Arschloch sein muss.

»Darf ich Sie etwas fragen?« Mal sehen, ob er ein Arschloch ist.

»Gerne«, sagt er.

»Haben Sie sich das Geld erarbeitet oder aus langer Ahnenreihe geerbt?«, frage ich und hole mit meinem Arm aus, der damit über das Anwesen streift. Er zieht seine Augenbraue hoch und ich überlege, ob mein Vorstoß zu brutal ist. Aber was habe ich zu verlieren.

»Ich habe jeden Cent erarbeitet. Warum fragen Sie?« Er sieht mich erwartungsvoll an. Auf jeden Fall ist er wenig über meine direkte Attacke frappiert.

»Dann haben Sie in einer Ecke ihres Herzens ganz sicher noch nicht vergessen, wie dunkel die Welt außerhalb dieser imposanten Villa ist?«

»Ich habe es nicht vergessen und es wird Sie sicher freuen, wenn ich versuche, mit einem Teil davon Gutes zu bewirken.«

»In der Tat, das erfreut mich. Sehen Sie, ich arbeite in einem Kindergarten, dem andauernd Gelder gestrichen werden. Begabte Kinder, die chancenlos wären. Wenn Sie etwas Gutes tun wollen dann denken Sie bitte bei Ihrer nächsten Spende an das Haus Sonnenschein! «

»Welch ein passender Name. Ella, Sie sollten für die Charity Spenden sammeln.«

»Besser nicht! Warum sollte ich mir um jemanden Sorgen machen, der schon so viel Aufmerksamkeit aus Ihren Kreisen bekommt? Warum sollte ich Kraft für Leute in der Mittelschicht einsetzen? Damit sie eine Firma gründen können oder studieren? Ich möchte dort helfen, wo unsere Gesellschaft gelernt hat wegzusehen. Dort, wo niemand ein schlechtes Gewissen dabei hat, wenn er wegsieht. Es ist ein Irrtum, dass materiell arme Menschen ihre teils sehr begabten Kinder weniger lieben als reiche. Es ist falsch anzunehmen, dass es ihnen an Herzenswärme fehlt.«

»Haus Sonnenschein?«

Ich nicke. »Ja. Da arbeite ich. Kommen Sie vorbei und sehen sich mal um?«

Er nickt.

»Großartig!«

»Wirklich kein Taxi? Ich zahle auch, wenn Sie jetzt nach Rom fahren müssten.«

Ich lache und beuge mich leicht vor. Nein. Rom war heute Nacht nicht mein Reiseziel. Er ist amüsant und sehr aufmerksam. »Lieben Dank, aber nein. Keine Umstände. Ich fahre Bahn und bin ja jetzt züchtig angezogen. Auf Wiedersehen!«, sage ich und gehe zum Tor.

»Ich hoffe sehr!«, raunt er.

Am Tor drehe ich mich um, als es summt und winke. Yanicks Vater hebt seine Hand.

»Vielen Dank!«, forme ich mit meinem Mund. Ganz leise gesprochen, aber er versteht, denn er nickt und formt seinen Mund zu einem: »Gerne.«

Yanick ist nirgendwo zu sehen.

Spring!

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