Читать книгу Spring! - Karina Förster - Страница 16
Kapitel 11
Оглавление»Hast du Hunger?«, flüstert Yanick in mein Ohr. Ich schlummere in seinem Arm, mit dem Rücken an ihn geschmiegt. Träge strecke ich mich.
»Ich habe etwas vorbereitet.« Yanick springt auf, eilt in die Küche und öffnet den Kühlschrank. Er entnimmt dort einen Topf und hält ihn wie eine Trophäe in die Höhe.
Ich schiebe mir die Decke wieder über meinen Kopf. Ich will nichts essen, lieber an vorhin denken. Yanick kommt zum Bett zurück und kriecht zu mir, zieht an der Decke.
»Ich habe telefoniert und die Dame in der Pension gebeten, für dich eine Hühnerbrühe zu kochen.«
Im Topf ist Suppe? Was hatte er?
Verwundert und erstaunt gleichzeitig, sehe ich ihn an.
»Irgendwie habe ich sie wohl überzeugt und e voila … Sie möchte auch, dass du wieder gesund wirst und auf deine Strümpfe kommst. Magst du?«
Yanick überzeugt jeden irgendwie, ihn zu mögen. Die liebe Frau Holm hat ihn in ihr altes, liebes Herz geschlossen. Das habe ich bei unserer Ankunft sofort gemerkt. Er lässt sich neben mir fallen und zerrt die Decke komplett von mir herunter, als ich versuche sie wieder über meinen Kopf zu ziehen. Ich will doch nur an vorhin denken und mich dabei einkuscheln.
»Anders ausgedrückt: Mir liegt am Herzen, dass du isst«, besteht er und richtet sich auf. Ich folge ihm, küsse seinen Hals, seine Ohren und will mich weiter nach unten vorarbeiten. Doch Yanick hebt mich kurzerhand aus dem Bett. Es fröstelt mir und ich sträube mich, indem ich strampele. Unnachgiebig sagt er: »Erst essen, dann kannst du wieder … Frau Nimmersatt!«
Er setzt mich ab, zieht einen Stuhl vom Tisch ab und sieht mich auffordernd an. Ich folge widerwillig. Also gut. Schnell etwas essen. Auf dem Block notiere ich: Dann mach es nicht so mit mir, dass ich so viel davon will.
Yanick liest und haucht in meinen Mund: »Frau Elisa Nimmersatt, ich kann nicht anders.« Er hebt mit der freien Hand den Deckel und ich sehe ungläubig in den Topf, der voll Eierstich und Hühnerfleisch schwimmt. Wie bei Oma! Ich kann mir förmlich ausmalen, wie er es angestellt hatte die Dame zu bezirzen. Er kann so charmant sein und alle Frauen um seinen Finger wickeln. Egal wie alt.
Wir schlürfen die gehaltvolle Suppe, die gut tut.
In den vergangenen Monaten habe ich deutlich Gewicht verloren und das meint Yanick mit: W ieder auf die Strümpfe kommen . Essen war das Letzte, worauf ich in der Vergangenheit Appetit hatte. Meist habe ich mich von Apfelmus und Babybrei ernährt, zumal mir auch die Lust fehlte die Dinge zu kochen, die durch den Hals rutschten. Uta hatte es oft übernommen zu kochen. Leider war Uta nicht rund um die Uhr da, um den Gewichtsverlust von mir zu stoppen.
Yanick räumt ab und spült die Teller.
Ich umfasse ihn, während ich hinter ihm stehe und an seiner warmen Haut schnuppere. Er riecht so verführerisch, dass mir ganz schwindelig wird. Ich küsse jede Stelle, die ich sehe.
»Ich habe drei Wochen Urlaub. Alles, was ich mir freischaufeln konnte. Nach den drei Wochen fange ich an die Kanzlei aufzubauen und ich muss wieder dort sein.«
Ich löse und stelle mich so an die Arbeitsplatte, dass ich in sein Gesicht sehen kann. Sorgfältig befreit er die Teller vom Fett der Suppe und legt sie in die Abtropfschale. Er arbeitet konzentriert, ohne mich anzusehen. Das dauert eine Weile und danach sieht er zu mir auf. »Die drei Wochen möchte ich hier mit dir verbringen, wenn du es auch möchtest.«
Das ist nicht als Frage formuliert, aber ich blinzele einmal freudig. Drei Wochen. Nicht nur drei Tage. Der zweite Teller ist gereinigt. Yanick legt auch ihn in die Abtropfschale und kommt auf mich zu.
»Für jeden Tag von damals eine Woche. Ich wünschte, es wäre mehr.«
Ich muss schlucken.
»Wenn du mehr willst, weiß ich, dass du mir das signalisierst.«
Ich schweige betreten. Er überließ es mir also. Einen Haken gab es immer. Oder einen Dorn. Ich gehe zum Sofa und setze mich. Wenn ich mehr will. Bis an mein Lebensende.
Auf dem Sofa sitzend, starre ich Löcher in die Luft und denke nach. Undeutlich nehme ich wahr, wie Yanick duschen geht, nachdem er die Teller abgetrocknet hat. Drei Wochen im Tausch gegen drei Tage. Mehr nur dann, wenn ich mehr will.
Will ich mehr?
Ich sehe auf das Bild von Joris. Yanick, Ella und zwei Kinder. In einem großen Herz.
Wir hatten drei schöne Tage erlebt. Könnte das Ausreichen, um einen Alltag zu überstehen? Bis an das Lebensende? Und was war mit den gesellschaftlichen Unterschieden? Was war mit dem Dorn, der sich noch irgendwo versteckte?
Müde von den vielen Fragen ohne Antworten schleppe ich mich irgendwann zum Bett. Yanick liegt bereits darin und atmet gleichmäßig.
Das Bild von Joris lege ich auf den Nachtschrank, schalte das Licht aus und krieche zu ihm unter die Decke. Was wussten Kinder schon von Dornen?
Mit seinem Arm zieht er mich zu sich heran. Er streift meine Haare in den Nacken und küsst mich zärtlich. Ich lege mein Bein auf seinen Oberschenkel und meine Hände fahren über seine Haut. Verlangend ziehe ich ihn zu mir heran.
»Jetzt nicht. Ich kann im Augenblick nicht. Entschuldige«, stammelt er und versteckt sich in meinen Haaren. Er hält mich fest an sich gedrückt, bis sein Griff sich lockert, weil er wegdämmert.
Als ich wach werde, schläft Yanick noch und ich krieche vorsichtig aus dem Bett. Im Bad dusche ich mich. Die Haare drehe ich spiralförmig und fixiere sie mit einem Haargummi. Im bodentiefen Spiegel betrachte ich mich.
Der dicke Zopf bedeckt meine linke Brust und reicht hinab bis zur Hüfte. Schlank, groß, blond und mit einem Gesicht, das gar nicht mal so übel aussieht. Der Traum vieler Männer. Der Traum von Yanick. Doch wovon träume ich?
Ich verlasse geknickt das Bad, weil ich nicht einmal meine eigene Frage beantworten kann.
Yanick schnarcht leise und ich will ihn nicht wecken. Es ist sein Urlaub und er hat sicher Regeneration nötig. Auf dem Nachttisch liegt das Bild von Joris. Ich hole es, stelle mich damit an das Fenster. Aus der Küche hole ich mir ein Glas mit Wasser. Am Fenster trinke ich einen Schluck.
Draußen beginnt der Tag schwerfällig. Alles liegt noch im trüben Licht der Morgensonne. Sie steigt langsam höher. Es sind kaum Leute unterwegs.
Ich sehe zu Yanick, der auf seinem Bauch liegt, halb zugedeckt.
Danach streift mein Blick das Bild, welches Joris im Zug gemalt hat. Vor Monaten habe ich die Pille abgesetzt. Wir hatten gestern ungeschützten Verkehr.
Ich sehe aus dem Fenster. Sanft geht der Wind durch die Bäume. Ein Wald trennt die Pension und die Ostsee voneinander, die jedoch blau durch die Bäume schimmert. Es wird ein schöner Tag.
Mit Yanick habe ich nicht darüber gesprochen, dass es unvorsichtig war. Habe ich es ausblenden wollen?
Ich sehe erneut auf das Bild in meinen Händen und falte es abwesend in der Mitte. Zu sehen sind jetzt eine Frau und ein Kind. Lange betrachte ich mir diese Seite der Zeichnung.
Etwas hatte pulsiert .
Yanick zappelt und murmelt etwas Unverständliches, doch er schläft weiter. Er träumt sicher.
Drei Wochen. Das ist genug Zeit, um schwanger zu werden, es sei denn, ich verhüte.
Ein unsagbar schönes Licht.
Magenschmerzen. Das Bild fällt aus meiner Hand und liegt auf dem Boden vor mir. Eine Frau. An ihrer Hand ein Kind.
Ein Herzschlag?
Er muss es ja nicht unbedingt erfahren. Er hatte gesagt drei Wochen. Wer weiß, ob ich ihn noch einmal sehen werde. Berlin ist groß und wir würden uns sicherlich nicht per Zufall treffen, zumal wir in unterschiedlichen Kreisen verkehren.
Ein gemeinsamer Herzschlag.
Magenschmerzen. So heftig, dass ich das Glas auf dem Fensterbrett abstellen muss, damit es mir nicht aus der Hand rutscht. Ich stütze mich auf dem Sofa ab und krümme mich vor Schmerz. Schweiß perlt von der Stirn.
Das Recht habe ich nicht! Ich darf das nicht ungefragt machen, nicht allein entscheiden.
Als ich meine Augen öffne, ist es der Junge auf dem Bild, den ich anblicke.
Doch! Ich will es. Ich will etwas von Yanick haben. Er hatte meinen Bikini bekommen und ich werde mir auch ein Geschenk aussuchen.
Ich rechne im Kopf.
Yanick schläft noch. Nicht einmal das spärliche Licht, das bereits bis zu ihm durch das Fenster scheint, weckt ihn. Ich gehe um das Bett, damit ich ihn betrachten kann. Vor seiner Bettseite setze ich mich auf den Boden und schaue ihn lange an. Wie schön er schlummert. Er liegt noch immer auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Mir zugewandt.
Okay, ich mache einen Deal. Wenn er wach wird und duschen geht, lasse ich es nicht darauf ankommen. Wenn er wach wird und springen will, werde ich ihm nicht sagen, dass ich nicht verhüte.
Seine Hand ist unter das Kissen geschoben. Die andere liegt neben ihm. Auf seinem Kinn ist ein dunkler Schatten zu sehen, weil die ersten Bartstoppeln wieder wachsen.
Er atmet regelmäßig. Die Augen bewegen sich sachte hinter seinen Lidern. Wovon träumt er?
Er sieht so zum Anbeißen aus. Die Zudecke liegt über seine Hüfte. Ich schiebe sie vorsichtig beiseite, um ihn ganz betrachten zu können. Er hat ein paar Narben an den Beinen, von Haaren leicht bedeckt, die sich aufrichteten, wenn ich seine Haut sanft berühre. Ich fahre hinauf bis zum Nacken und meine Augen folgen den Fingern. Seine Härchen richten sich nun großflächig auf, aber er rührt sich nicht. Die braunen Haare liegen durcheinander vom Schlaf. Sie lassen ihn verwegen aussehen. Ich kann nicht anders. Zu verlockend ist mit meinen gespreizten Fingern hineinzufahren und … seine Augen sehen mich an. Die Sonne dringt durch die Wolkendecke und scheint in sein Gesicht. Die hellbraune Iris schimmert wie Bernstein.
Etwas hatte pulsiert.
Mein Herz klopft bei diesem Anblick. Ein Geschenk von ihm. Ich lächele bei dem Gedanken und er lächelt ahnungslos zurück.
Ein gemeinsamer Herzschlag.
Ich rücke näher an sein Gesicht und bette meinen Kopf direkt vor seinen Augen. Selbst der dunkle Ring an der Iris scheint zu leuchten. Er hebt sich deutlich vom Rest ab. Seine Pupille ist klein, weil er gegen das Licht sieht. Feine, dunkle Wimpern wachsen aus den Oberlidern und rahmen das Auge ein. Ich liebe die Form seiner Augen.
Es besteht die Möglichkeit, dass es ja auch bereits zu spät ist.
Die Pupille wird größer. Sein Mund lädt zu einem Kuss ein. Sein Gesicht lädt zu einem Kuss ein. Sein Nacken lädt zu einem Kuss ein. Einfach alles lädt zu einem Kuss ein. Yanick umarmt mich mit seinen Armen und zieht mich zu sich in das Bett.
»Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«
Würde er jetzt duschen gehen wollen?
Ich wackele mit meiner Hand. Geht so.
»Gehen wir nachher noch zum Strand? Ein bisschen Luft schnappen?«
Ich nicke und bin ein wenig enttäuscht.
»Aber vorher …«, wispert er und dreht sich auf den Rücken. Dabei zieht er mich mit und ich liege nun auf ihn. Mit seinen Händen fährt er um meine Taille und sein Unterleib wölbt sich lustvoll unter mir. Wir küssen uns. Ich bin doch nicht enttäuscht.
Er wird nicht duschen gehen und der Deal steht.
Ich sitze am Tisch und zwirbele meinen Zopf neu. Yanick beißt genüsslich in sein Toast.
»Darf ich dich was fragen?«, erkundigt er sich.
Einmal zwinkern.
»Prüfst du dein Herz, wie es dein Großvater dir geraten hat?«
Perplex sehe ich ihn an und brauche einen Moment, bis mir Kai einfällt. Das Channeling. Zögernd nicke ich. Yanick stützt sich mit den Ellenbogen ab. Er faltet beide Hände vor seinem Mund. Eine Ewigkeit sieht er mich so an.
Ich sehe zu meinem Zopf, der fertig geflochten ist. Dann schreibe ich: Warum fragst du das?
»Ich denke, du kommst seiner Bitte nicht nach«, antwortet er geradeheraus und beißt wieder vom Toast ab.
Diese sechs Wörter hallen in mir nach. Ich frage mich, woher er das so sicher und genau wissen will. Seiner Miene nach zu urteilen scheint er das.
Doch, antworte ich schriftlich.
»Nein!«
Doch!
Meine Hand schlägt flach auf den Tisch und lässt die Teller hüpfen. Manchmal ängstigt mich mein Temperament selbst. Niemand in meiner Familie hat vergleichbare Wutausbrüche. Ärgerlich starre ich ihn an und er weicht meinem Blick nicht aus.
Auf mich wirkt er überhaupt nicht eingeschüchtert. Im Gegenteil. Seelenruhig beißt er erneut in sein Toast. Er hat in seinem Beruf gelernt zu pokern und macht es jetzt auch bei mir.
»Das kaufe ich dir nicht ab, Ella. Ich meine, du denkst, dass du das tust«, murmelt er ganz gefasst.
Er wird jedoch von mir am Weitersprechen gehindert. Ich bin aufgesprungen und gehe nun aufgewühlt neben dem Tisch hin und her. Was weiß er denn schon, was mit mir ist. Er denkt, wenn er mit mir schläft, kennt er mich auch? Vor Wut straffe ich meine Hände. Zu unbeherrscht bin ich und weiß es auch in diesem Augenblick. Macht er das bei seinen Gegenparteien auch so?
»Soll ich dir sagen, warum ich das denke?«
Schwungvoll werfe ich meinen Kopf zur Seite und der eben gewundene Zopf droht sich wieder aufzulösen. Ich setze mich wieder hart auf den Stuhl und schreibe unleserlich: Also schön, Herr Doktor.
Danach springe ich wieder auf. Breitbeinig und angriffslustig stehe ich neben meinem Sitzplatz. Wenn er jetzt was Falsches sagt, werde ich ihn würgen. Er ist manchmal so überheblich.
Ich sehe zu, wie er gelassen meine Antwort liest. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. »Ella. Hör auf damit!«, sagt er mir eine Spur zu vernünftig und mir geht seine Ruhe so auf den Keks. Wieder greife ich den Stift und fege über das Papier: Was dann?
Jetzt bin ich gespannt auf seine Antwort und sehe ihn über den Tisch an. Mal sehen, was der Herr Psychologe noch von mir weiß.
Yanick legt sein Toast auf den Teller. Er antwortet, ohne auf meinen Angriff einzugehen: »Ich denke, deine Maßstäbe zum Prüfen sind fehlerhaft.«
Darauf will er hinaus. Ich richte mich auf und atme scharf ein. Meine Maßstäbe? Da hat er was von Kai aufgeschnappt und haut es mir hier um die Ohren? Wie mein Großvater. Bei ihm habe ich das auch immer gehasst. Immer wenn ich wütend war, sagte er das zu mir und ich kann das nicht mehr hören.
»Ella, ich sage das nicht, um dich zu kränken. Ich sage das um dich …«
Weiter kommt er nicht, denn ich bin in einem Satz am Tisch. Ich habe mich weit über den Tisch gebeugt. Mein Zopf hat sich durch die harsche Bewegung gelöst und die Haare liegen auf meinem Teller voll Honigtoast.
Das ist mir einerlei, denn ich starre zu dem Klugscheißer mir gegenüber. Wutentbrannt nehme ich den Stift, deute damit zornig auf ihn und schreibe langsam: Da spricht der, der um mich gewettet hat! Du kränkst mich sowieso nicht mehr! Kein drittes Mal!
Jetzt ist es raus und ich richte mich langsam wieder auf. Mit voller Wucht schmeiße ich den Stift aus meiner Hand. Krachend fällt er zu Boden und zerbricht dort unter dem Schwung. Er bleibt vor der Spüle liegen.
Kein Drittes mal!
Unerbittlich und grausam sehe ich Yanick kalt an, obwohl er blass wird. Sein Kehlkopf hüpft, als ob er einen dicken Kloß hinunterwürgt.
Ja, genau. Da schluckst du!
Er liest und der Blick bleibt auf dem Papier haften.
Ja, lies es nur! Die Wahrheit ist grausam und erbarmungslos. Gerade in der Liebe. Wir stehen entblößt vor dem anderen, schutzlos. Das macht uns angreifbar. Niemand weiß das besser als ich.
Statt aufzubrausen, zu schreien oder mich wütend anzugehen, steht Yanick schweigend auf. Er beugte sich zu dem Stift hinunter, hebt ihn wieder auf und legt ihn in einer sehr langsamen Bewegung wieder auf den Block ab. Die Finger belässt er dort.
»Ich weiß. Ich habe dich sehr verletzt. Zweimal sagst du? Von einem Mal weiß ich. Es ist mir nicht bewusst gewesen, dass es bereits öfter geschehen ist.« Er hebt den Blick zu mir.
Unter meinen Füßen droht mir der Boden wegzurutschen. Ich bin es, die Halt sucht, obwohl ich darauf aus war, ihn zum Wanken zu bringen. Er hat mich in eine Falle gelockt.
Aufgewühlt trete ich die Flucht zum Fenster an. Dort starre ich durch die Gardine. Mit Tränen in den Augen sehe ich hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Ich bin in meiner Vergangenheit gefangen und kann mich von dort nicht lösen.
»Was war damals in der Dusche los?«, fragt Yanick aus der Küche. Wie kann er immer so besonnen bleiben?
Mit verschränkten Armen stehe ich vor dem Fenster und sehe ins Leere. Für heute habe ich genug aus meinem Nähkästchen geplaudert und muss selbst sortieren, was ich sagte.
In der Dusche. Ich will nicht über die Dusche nachdenken.
Meine Gedanken sind bei der Wut über die, die mich einst Baby nannte und ihn küsste. Bei meiner Wut auf Yanick, der um mich wie um ein Stück Fleisch gewettet hat. Die Dusche ist doch egal!
Zudem ist es mir gerade bequem mich hinter meine Sprachlosigkeit zu verstecken. Selbst wenn ich reden könnte, würde ich es jetzt nicht wollen.
Yanick seufzt laut und räumt den Tisch ab. Als er damit fertig ist, spüre ich seine Körperwärme neben mir. Er streicht mir das Haar beiseite und küsst meine Stirn. Doch ich bin noch in meinen Emotionen gefangen und kann nicht auf seine Liebkosungen eingehen.
Da ich nicht antworte, begibt er sich in das Bad.
Ich eile zum Bett, lege mich hinein und ziehe die Bettdecke bis an mein Ohr hoch.
Müde will ich den Gefühlen mit Schlaf davonkommen. Will dem zu viel an Emotionen, mit denen ich nicht umgehen kann, entrinnen.
Ich sacke weg, während im Hintergrund die Dusche im Bad beruhigend rauscht.
Erschreckt fahre ich auf, denn meine Decke hat sich bewegt und ich fürchte einen Angriff. Yanick. Geduscht und rasiert. Besänftigend sieht er mich an.
»Ich will mich nicht drei Wochen mit dir streiten. Ich will alles verstehen und bei dir sein dürfen.«
Alle sagen immer, dass ich wie ein Engel aussehe, aber das bin ich nicht. Er ist es. Er verhält sich wie einer. Ich fühle mich eher als ein Gefallener.
Er will bei mir sein dürfen und mich verstehen? Ich begreife mich doch selbst nicht. Warum will er denn bei mir sein, wenn ich es nicht einmal sein wollen würde?
Yanick beugt sich zu mir und küsst mich versöhnungsbereit. Ich schlinge meine Arme um seinen Kopf. Sofort wird alles in mir still. Ich will mich auch nicht drei Wochen streiten.
»Gehen wir etwas raus?«, fragt er und küsst mich in kurzen Abständen.
Einmal zwinkern.
»Dann los. Wer zuerst angezogen ist …«
Die nachfolgenden Tage und Wochen vergehen wie im Fluge.
Wir fahren mit der Fähre nach Dänemark, stehen auf der Reling im Wind. Nach jeder Antwort für Yanick halte ich meine Hand hoch und entlasse den kleinen Zettel lachend in den Wind. Der trägt sie flatternd mit sich fort.
Ich bitte eine Passagierin um ein gemeinsames Foto mit meinem Handy. Als ich es Yanick weiterleiten will, lehnt er ab. Er bittet um ein Foto aus einer Foto-Fix-Box.
Er will meine Telefonnummer nicht. Wäre sie auf seinem Handy, würde er in Versuchung kommen anzurufen. Er will sie erst, wenn ich bei ihm bleibe.
Die Foto-Fix-Boxen stehen überall in Einkaufszentren herum und sind schnell gefunden. Ich setze mich auf seine Beine und es blitzt viermal.
Yanick und ich, wie wir beide lächelnd in die Kamera sehen, die von Yanick auf die Wange geküsst wird, wie wir uns auf den Mund küssen und wie wir wieder in die Kamera lächeln.
Wir steigen den Leuchtturm in Warnemünde hinauf. Der Wind fegt uns scharf und kalt um die Ohren. Aber wir haben einen imposanten Blick auf das malerische Örtchen. Es beginnt zu dämmern. Wir stehen Arm in Arm und sehen uns die untergehende Sonne an. Widerwillig verlassen wir die Plattform, weil die Öffnungszeit endet.
Auf einem Baggerspielplatz in Rostock tobt sich Yanick auf einem Kettenbagger aus. Er erhält ein Diplom darüber. Seit dem nenne ich ihn Herr Spassbaggerdiplomer und ziehe ihn damit die nächsten Tage auf. Er hatte seinen Spaß und schwärmt noch Tage später davon.
Yanick kommt auf eine ganz verrückte Idee. Ein Kuchenwettessen. Der Schauplatz ist ein Café unterhalb des Leuchtturmes.
Wir betreten die Konditorei und jeder von uns bestellt sich dazu den Kuchen seiner Wahl. Ich suche mir einen kleinen Kuchen aus. Yanick wählt ein Stück Torte.
Aufgeregt gehen wir zu einem Tisch. Dort besprechen wir die Wettkampfregeln. Yanick zählt bei drei rückwärts.
Obwohl ich mir einen kleinen Kuchen ausgesucht habe, stopft sich er sich seine Torte innerhalb von einer halben Minute in seinen Mund. Mit der flachen Hand presst er sich die Torte in seinen Mund! Seine Augen funkeln mich spitzbübisch dabei an.
Ich kann nur noch entsetzt zusehen. Er hat mich ausgetrickst. Mit mehr Torte im Gesicht, als im Mund lacht er mich lauthals aus. Einige Kunden sehen zu uns.
Er steht, mehr Torte im Gesicht, als im Mund mit erhobenen Händen da und tanzt jubelnd vor mir im Kreis.
Er zieht mich von meinem Sitz auf und mit Torte beschmiert, küsst er mich in seinem Siegesrausch. Hinterher grinse ich mit ebenso viel Torte im Gesicht wie er.
Die freundlich lachende Kellnerin bringt uns eine kleine Schüssel mit Wasser. Yanick bittet sie um ein Foto und reicht ihr sein Handy dazu. Sie sagt, dass sie noch nie so verrückte Kunden wie uns bedient hat und verschwindet mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Wir waschen uns die Münder und verlassen lachend und gut gelaunt das Café.
In einem Waschsalon, in dem wir eines Abends unsere Wäsche waschen, erregt Yanick mich so, dass ich mein Buch nicht lesen kann. Ich lege es weg, denn seine Küsse sind interessanter. Wir küssen uns hemmungslos auf der Bank vor den Waschmaschinen.
Doch auch das steigert meine Erregung nur umso mehr. Seine Hand gleitet unter mein Shirt und ich kann jetzt nicht mehr an mich halten. Ich springe auf, denn der Waschsalon wird videoüberwacht. Ich lege das Buch weg und wir küssen uns hemmungslos.
Doch auch das steigert meine Erregung nur umso mehr. Mit Yanick an der Hand stürme ich aus dem Salon. Eilig haste ich die Straße entlang. Yanick hinter mir fragt lachend, was ich vorhabe. Ich kann nicht antworten, nur an das Eine denken. Endlich entdecke ich eine dunkle und abgelegene Sackgasse. Dort biege ich ein. Flach atmend drücke ich ihn an eine nicht beleuchtete Hauswand. In seinen Augen lodert das Feuer und er grinst breit vor Vorfreude.
Hastig öffne ich seine Hose. Unter fieberhaften Küssen holen wir uns die Sättigung, die wir brauchen, um uns im Waschsalon wieder brav und sittsam zu geben.
Yanick lehnt sich an mich. Er strahlt über sein ganzes Gesicht und ist in Gedanken bei unserem Freiluft-Abenteuer. Ich kann das Buch weiterlesen, aber auch ich grinse.
Tage später flanieren wir mit Eis in der Hand an den Geschäften im Hafen vorbei. In einem Schaufenster entdecke ich ein Kleid und bestaune es. Ich stehe wie angewurzelt da und starre auf das schwarze Etuikleid. Es ist elegant geschnitten. Am runden Ausschnitt ist ein langer Schlitz eingearbeitet. Der verläuft bis tief in den Busen. Sehr gewagt, aber auch sinnlich.
Yanicks Hand löst sich, weil er weitergeht. Ich spüre es und eile ihm schnell nach. Es gibt noch weitere Schaufenster, in die ich hineinsehen kann.
In einem Goldschmiede-Schaufenster sehe ich einen Ring aus Bernstein. Der Stein ist rund geschliffen und schlicht in einen silbernen Ring gefasst. Er hat die Farbe von Yanicks Augen. An ihn kann ich unmöglich vorbeigehen. Ich eile in die Goldschmiede und bitte um den Ring.
Der Juwelier holt ihn mir aus dem Schaufenster, als Yanick das Geschäft betritt. Ich halte ihn prüfend gegen das Licht und sehe darin alle Farben, die ich so an seinen Augen liebe.
Über den Ring hinweg sehe ich Yanick an, der mir zulächelt.
»Gute Wahl«, sagt der Verkäufer. »Er hat genau die Augenfarbe ihres Mannes.«
Nickend lege ich das Geld auf den Tresen und küsse Yanick. Der Preis ist mir egal. Ich werde seine Augenfarbe an meinem Finger tragen können und würde alle meine Ersparnisse dafür opfern.
Ich lehne eine Geschenkpackung ab, denn ich werde ihn gleich aufsetzen.
Der Verkäufer kassiert ab, während wir uns küssen. Er unterbricht uns erst, als er für den Einkauf dankt.
Glücklich über den neuen Schatz verlasse ich das Geschäft und sehe immer wieder zu meiner Hand hinab.
Die Geldscheine finde ich später in meiner Jackentasche wieder. Schmollend und verärgert über diese Hinterlist ziehe ich aus dem Bett aus. Yanick lacht mich aus. Ihn scheint der Anblick zu amüsieren, den ich mit Decke und Kopfkissen bei meinen Umzug abgebe.
Ich fluche auf Russisch und er kugelt sich vor Lachen.
Irgendwann kommt er zu mir auf das Sofa und kuschelt sich an mich. Morgens werde ich im Bett wach, wo er mich im Arm hält und fest an sich presst.
Er hat mich zu sich geholt. Dreist und hartnäckig. Egal was ich anstelle, er klebt an mir wie seine Briefmarken auf den Umschlägen, die er mir schickte.
Bei der Pensionsinhaberin, Frau Holm, trinken wir Tee. Mit ihr und reden mit ihr über Gott und die Welt, Hühnerbrühe und wie man wieder auf die Strümpfe kommt. Sie ist froh zu sehen, wie ich aufblühe. Selbstverständlich schreibt sie das ihrer Suppe zu.
Am liebsten bin ich mit Yanick am Strand unterwegs. Es sind um diese Jahreszeit kaum Menschen unterwegs. Der Wind weht aus Osten und die Fluten treiben Strandgut an Land. Mit gebücktem Kopf suche ich im Tang nach Muscheln und Steinen. Hühnergötter nenne ich die Steine, in die das Ostseewasser kleine Löcher gespült hat.
Wir laufen am menschenleeren Strand um die Wette und, wenn wir fallen, bleiben wir in feinen Sand liegen, um uns zu küssen.
Wer als Erstes außer Atem ist und den Kuss unterbricht, hat verloren. Er muss mit den Füßen kurz in das Ostseewasser. Yanick verliert regelmäßig und ich hüpfe immer vor Freude und Aufregung, wenn er sein Gesicht im kalten Wasser verzieht. Ich glaube, er verliert absichtlich.