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Kapitel 12

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An einem der letzten Morgen bringt Yanick mir Frühstück an das Bett.

Überrascht setze ich mich auf. Ich entdecke auf dem Tablett einen kleinen Zettel, der gefaltet neben dem Tee liegt. Zögerlich nehme ich ihn und sehe zu Yanick. Er strahlt aufgeregt und ich muss bei diesem Anblick lächeln.

Er wirkt wie ein kleiner Junge, der an Weihnachten kaum abwarten kann, endlich seine Geschenke zu öffnen. Aufgeregt nickt er. Zögernd falte ich seine Botschaft auseinander.

Darf ich um ein Abendessen bitten? Keine Angst – es gibt keine türkische Pizza. Y.

Ich schmunzele, weil ich mich an unsere türkische Pizza erinnere. An die Soße, die an seinem Kinn tropfte und an alles, was danach kam. Es gab noch weitere, die wir auf dem Boden picknickend verspeisten. Nackt.

Türkische Pizza war doch ganz nett, schreibe ich.

»Heißt das ja?«, fragt er. Auf meine Vorliebe, nackt mit ihm türkische Pizza zu essen, ist er nicht eingegangen. Er ist zu aufgeregt.

Einmal blinzeln.

Yanick lächelt, beugt sich über mich, um mich abzuküssen.

»Ich muss kurz anrufen. Iss du inzwischen! Bin gleich wieder da«, sagt er und läuft vor die Tür. In der nächsten Stunde ist er damit beschäftigt alles zu arrangieren.

Das Werben war nicht das Problem. War es nie. Selbst türkische Pizza wird mit ihm zu einer unvergesslichen Erinnerung.

Am letzten Abend finde ich eine große, flache Schachtel auf dem Bett, als ich aus der Dusche komme. Ein kleiner Zettel liegt darauf.

Bin bei Frau Holm. Um 18:30 Uhr kommt unser Taxi. Melde mich wieder. Y.

Ich sehe auf die beige Schachtel und mein Herz schlägt heftig in meinen Brustkorb. Die Aufschrift Bella Boutique lässt mich ahnen, was in diesem Karton liegt. Behutsam hebe ich den Deckel hoch und schiebe das Seidenpapier beiseite.

Das Kleid, das ich im Schaufenster gesehen habe. Mein Herz bleibt stehen, als ich es aus dem Karton ziehe und in die Höhe halte. Zwischen den Fingern fühle ich ehrfürchtig den Stoff, der edel und teuer ist.

Es ist überwältigend, aber mich reut das Geld, das er dafür ausgab. Ich hadere, ob ich es anziehe. Ich sah im Schaufenster kein Preisschild, aber welch ein Kleid ist in einer Boutique erschwinglich. Mein Hirn rechnet in Monatsgehalt um.

Schließlich gehe ich ins Bad und probiere es an. Meine Augen füllen sich mit Tränen, als ich mich im Spiegel betrachte. Der Schnitt bringt meine Figur zur Geltung. Es lässt, mich schön und fraulich wirken, was durch den Schlitz am Rundhals noch zusätzlich betont wird. Es … ich bin wunderschön.

Also gut. Dann mache ich ihm die Freude und behalte es an. Ganz sicher will er nobel ausgehen und da sind meine Schlabbersachen wenig geeignet für.

Ich flechte meine Haare aufwendig und stecke sie als Knoten in den Nacken. Haarnadeln fixieren das Kunstwerk. Dann schlüpfe ich in Pumps, nehme meine Jacke und steige die Stufen zum Eingang der Pension herab.

Mit dem Rücken zu mir stehend, unterhält sich Yanick mit Frau Holm. Sie hebt ihre Augenbrauen, als sie mich entdeckt. In meine Richtung nickend entfernt sie sich freundlich lächelnd. Yanick bemerkt ihren Blick und dreht sich zu mir um.

Damit er mich betrachten kann, schreite ich langsam auf ihn zu. Er hat seine Augen aufgerissen und ich sehe ihn sprachlos. Ein seltener Anblick bei ihm. Es amüsiert mich.

Ich reiche dem Verblüfften einen kleinen Zettel, den ich bereits im Zimmer geschrieben habe.

Besser als der Bikini?

Yanick bricht in Gelächter aus und legt seinen Kopf in den Nacken. Seine Kehle reizt mich und ich kann meinem Drang nicht widerstehen ihn mit meinen Lippen zu berühren. Er senkt seinen Kopf.

»Gehen wir wieder hoch?«, höre leise am Ohr. Ich kichere.

Zum Schreiben senke ich den Kopf und er nutzt diesen Augenblick, um meinem Hals zu liebkosen.

»Du riechst nach einer Süßspeise. Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen.« Er knabbert mein Ohrläppchen. In Wellen breitet sich Gänsehaut auf meiner Haut aus.

Hast du denn meinen Bikini mit?, steht auf meinem Block geschrieben, den ich ihm hinhalte. Er verneint lachend. Gut gelaunt führt er mich zum Taxi, das gerade auf der Einfahrt einbiegt.

Galant öffnet er mir die Tür und geht um das Taxi herum, um selbst einzusteigen. Dem Fahrer nennt er die Adresse, vor der wir wenig später halten. Yanick steigt aus, um mir die Tür zu öffnen. Behilflich reicht er mir seine Hand.

Wir haben vor einer ungemein noblen Adresse gehalten. Unbehagen steigt in mir auf. Seit wir hier sind, bekomme ich jede Woche frische Tulpen. Jedoch nicht etwa nur einen Strauß. Nein, das ganze Zimmer ist voll davon. Sie stehen im ganzen Zimmer verteilt und sind so zahlreich, dass mir ganz schwindelig wird, wenn ich versuche sie zu zählen.

Mir wurde klar, dass er mich nicht in einen Döner-Laden einladen wollte, nachdem ich den Karton auf dem Bett entdeckt habe. Hier Essen kostet ein Vermögen. Von dem Kleid ganz zu schweigen.

Wieder wird mir seine Welt bewusst und ich werde traurig. Hilflos sehe ich ihn an. Für ihn scheint es ja normal zu sein, in so einem edlen Restaurant zu essen. Für mich nicht.

Das hier sieht so besonders aus, dass ich Angst bekomme vor dem Besonderen, welches er sich dabei gedacht hat. Ich versuche, mich zu beruhigen, denn mir wird schon niemand den Kopf abbeißen. Er will den letzten Abend sicher nur schön gestalten.

Ich spüre seine Finger an meiner Wirbelsäule. Gleich darauf erscheint er neben mir. Er mustert mich und versucht mich aufzumuntern.

Gemeinsam steuern wir die Eingangstür an und als ich eintrete, weil er mir öffnet, schlägt mir wohlig warme Luft entgegen. Dezente Musik und leises Gemurmel der Gäste dringen an mein Ohr. Vanilleduft. Ich höre Besteck, das sich auf den Tellern bewegt wird und jemand lacht unterdrückt auf.

Ein Angestellter kommt mit ernster Miene auf uns zu.

»Hatten Sie reserviert?«, fragt er höflich und mustert uns hochnäsig. Ganz klar einer der Gründe, mich mulmig zu fühlen. Mich in diesem Milieu unwohl zu fühlen. Es ist so verdammt flüchtig.

»Ja«, antwortet Yanick gelassen.

Mit einer erhobenen Augenbraue holt er ein Buch hervor und schlägt die Seite mit der aktuellen Woche auf. Sicher nimmt er seinen Job sehr ernst und macht schon mal klar, dass keiner ohne Reservierung an ihm vorbeikommt. Na das wollen wir mal schnell prüfen , denkt er jetzt gewiss.

»Arschloch«, raunt Yanick ihm leise zu und ich erstarre innerlich. Er kann ihn doch nicht Arschloch nennen! Ich erwäge, ob es möglich ist, im Erdboden zu versinken.

Der Chef de Rang hebt seinen Kopf und sieht Yanick entgeistert an. Ich ebenso.

»Sie haben korrekt gehört. Mein Name ist Arschloch. Von und zu Arschloch. Ich weiß es klingt absurd. Ich musste der Dame am Telefon schon stundenlang versichern, dass ich ernsthaft so heiße. Das passiert leider oft. Sie verstehen sicher, dass ich jetzt auch keine Lust verspüre mit Ihnen eine weitere halbe Stunde über meinen Namen zu streiten.« Genervt sieht Yanick ihn an.

Ich muss mir ein Lachen verkneifen, denn diesen Titel habe ich ihm verliehen.

Wie durch den Wind sieht der Oberkellner in sein Reservierungsbuch. Sicher rattert es in seinem Kopf, wie er Yanick rausschmeißen kann. Alle Arroganz ist aus dem Gesicht gewichen. Jetzt ist er nur noch ein Mensch. Wie alle anderen. Jetzt ist er sympathisch.

»Ah, ja.« Der Kellner sieht wieder auf und lächelt sein schönstes Zahnpasta-Lächeln. »Da steht es. Ein Tisch für zwei. Das Menü wurde bereits von Ihnen telefonisch gewählt.«

Er schlägt das Buch zu. Er hat sich entschlossen, den zahlenden Gast mit dem merkwürdigen Pseudonym zu bewirten.

Yanick nickt zufrieden zu mir und der Schalk sitzt ihm im Nacken. Mit breitem Mund lächele ich ihn an. Sofort ist mir nicht mehr unbehaglich hier. Wie könnte es das mit ihm zusammen sein?

»Würden Sie mir bitte folgen.« Wir werden zur Garderobe geleitet, die nur wenige Schritte entfernt ist. Danach werden wir an unseren Tisch geführt. Dort angekommen, schiebt er für mich einen der Stühle ab. Er sieht an mir hinab und wäre Yanick nicht bei mir, würde der Blick Unbehagen in mir auslösen.

»Danke, ich übernehme das«, sagt Yanick freundlich und drängelt ihn hinter dem Stuhl weg. Der Oberkellner lächelt, aber es wirkt frostig. Schnell eilt er davon.

Als Yanick den Stuhl für mich zurechtrückt, wisperte er leise hinter mir: »Der ist jetzt tödlich beleidigt.«

Er hat es also auch bemerkt? Ich muss schmunzeln und sehe ihm zu, wie er sich mir gegenüber hinsetzt.

Der Oberkellner eilt zum Kellner und tauscht sich diskret mit ihm aus.

Sobald Yanick sitzt, sucht er meine Hand. Er sieht sie an und fährt an ihr hoch. All das passiert so sinnlich, dass ich wünschte, wir wären allein. Sie wird von seiner warmen Hand umschlungen. Er betrachtet meine Nägel und bedenkt jeden mit einem zärtlichen Kuss, der mir durch Mark und Bein geht. Fünfmal. Ich kann den Blick nicht von ihm abwenden.

»Wenn jetzt einer kommt und mich fragt, ob er mit mir diesen Platz tauschen kann, werde ich ihn definitiv nicht räumen.«

Nein?, spöttele ich schriftlich.

»Nein. So blöd wäre ich nicht.«

Ich male ein Smiley.

»Er hatte nicht die geringste Chance, sonst hätte er mir nicht eine Sekunde zugehört. Er wäre aufgestanden und hätte mir meine Zähne ausgeschlagen. Auf jedem Fall würde ich das so machen.« Er grinst breit.

Verschämt betrachte ich mir das nicht vorhandene Muster auf der weißen Tischdecke. Ich streiche sie unnötigerweise glatt. Meine Augen bleiben an dem Bernsteinring hängen.

»Ella, ich sagte dir einmal, dass ich der Vater deiner Kinder sein möchte.«

Erschrocken sehe ich auf. Schnell legt er seine Hand erneut auf meine, um mich zum Schweigen zu bringen. Er macht eine kleine Pause, in der er wieder beginnt, meine Hand zu liebkosen. Mir ist klar, dass er nach Worten sucht, also unterbreche ich ihn nicht.

»Lass mich bitte weiter reden. Das ist nach wie vor mein Wunsch. Ich möchte, dass du das nie vergisst! Nie, hörst du!«

Ich senke meinen Blick und betrachte seine Hand. Froh darüber, dass ich nicht hoch und heilig schwören muss. Und selbst wenn? Vergessen habe ich nicht.

Meine Periode ist längst überfällig. Mein Verdacht ist sehr groß, dass neues Leben in mir heranwächst. So habe ich es im Alleingang entschieden und es nicht verhindern wollen. Ich traue mich, in seine Augen zu sehen.

Einmal nicken.

»Ich weiß, welcher Frau gefiele es schon, den Nachnamen von und zu Arschloch zu tragen.«

Weit entsetzt öffne ich meine Augen und reiße den Mund auf. Der Kellner ist an den Tisch getreten und präsentiert eine geöffnete Flasche Rotwein. Berufsmäßig überhört er unser Gespräch und verrichtet seine Arbeit.

»Aber wir können uns ja auch für deinen Namen entscheiden. Schmitt. Schmitti wäre sicher einverstanden.«

Stumm lachend beuge ich mich vor. Schmitt ist ein Allerweltsname und doch nicht wirklich sein Ernst? Amüsiert stelle ich mir seine Visitenkarte und sein Kanzleischild vor. Yanick lacht stumm mit und zwinkert mir verschwörerisch zu. Ich verneine und meine damit nicht nur den Namen.

War wütend, kritzele ich.

Der Kellner schenkt Yanick den kirschroten Wein ein. Er wartet auf das Urteil. Das kommt mit dem zustimmenden Nicken und einem eindeutigen Blick. »Sehr gut.«

Zufrieden will er mir einzuschenken, als ich es mit einer flinken Geste verhindere. Ich halte meine Finger auf das Glas.

Der Kellner sieht zu mir, wie ich Wasser auf meinen kleinen Block schreibe. Sicher hat ihn sein Vorgesetzter bereits von uns merkwürdigen Gästen berichtet. Es muss ihm sehr sonderbar vorkommen, dass eine Stumme und ein Dreister hier dinieren. Er nickt und wendet sich Yanicks Glas zu. Ich sehe zu Yanick, der auf den Block schielt. Eilig füge ich an: Heute nicht.

Wir sind wieder ohne Bedienung und sehen uns an. Yanick dreht am Stiel das Glas und sieht an einen fernen Punkt. »Ein ausgesprochen edler Tropfen. Er wird nur in besonders guten Jahren angebaut und dann in geringer Stückzahl produziert. Weißt du Ella, Dinge von enormer Qualität sind rar und haben einen exorbitanten Preis. Bei allem Genuss schmerzt es mitunter, ihn zu zahlen. Reut es dich, ihn zu zahlen, dann schätzt du den Wert der Dinge zu gering.«

Ich sehe ihn lange an und denke über seine Worte nach. Undeutlich nehme ich wahr, wie ich mit Wasser bedient werde. Yanick sieht dabei schweigend zu.

Reden wir noch über den Wein?, notiere ich schließlich.

»Auf einen schönen Abend.« Er hält sein Weinglas erhoben und ist nicht auf meine Frage eingegangen. »Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich uns in Vorfeld ein Menü ausgewählt habe?«

Zweimal zwinkern.

»Möchtest du über etwas anderes reden?«, fragt er mich und ich weiche schnell seinem Blick aus. Ich will mich nicht selbst verraten. Lügen ist nicht meine Sache und stehlen eigentlich auch nicht. Ich werde früh genug erfahren, ob ich für meine Tat in der Hölle schmoren muss.

Morgen reist Yanick ab. Er will sich um seine Geschäfte bezüglich der Kanzlei kümmern. Es gibt viel Arbeit, um sie zu eröffnen. Das Ultimatum der drei Wochen ist verstrichen. Mehr nur, wenn ich es sage.

Der Gruß aus der Küche wird serviert und unterbricht meine Gedanken.

Wachteleier a la Russian an Kaviar vom sibirischen Stör .

»Ich habe mir letzten Sommer das Foto von deinem Tanzturnier betrachtet. Das an deinem Kühlschrank.«

Einmal zwinkern.

Hab gewonnen.

Yanick lacht und kaut sich anschließend auf seiner Lippe. Er scheint einen schönen Gedanken zu haben, denn der Mund grinst dabei.

»Ich bin danach zu dir ins Bad gekommen. Willst du wissen warum?«

Ich halte inne, denn ich wollte gerade trinken. Über den Glasrand sehe ich ihn an. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Yanick deutet mein Innehalten als Zustimmung und spricht vorgebeugt weiter. »Ich wollte dich so sehen, mit eignen Augen.«

Er nimmt ein russisches Ei und führt es zu meinem Mund.

»Es wäre so oder so passiert«, sagt er leise. Vom Feuer in seinen Augen erschlagen, öffne ich meinen Mund so, dass er seinen begehrlich mit öffnet.

Sich verzehrend sieht er zu, wie ich sein Amuse-Gueule in Empfang nehme.

Er entfernt hängengebliebenen Kaviar an meinen Lippen mit seinem Finger. Dabei weiten sich seine Pupillen. Ich sehe es trotz des schwachen Lichtes hier drin. Er will seine Hand zurückziehen. Doch ich hindere ihn daran, indem ich sein Handgelenk festhalte.

Ja, es wäre passiert, wo auch immer, wann auch immer.

Ich führe die Fingerkuppe mit dem weißen Rogen an meinen Mund. Sein Brustkorb hebt sich nicht mehr. Er hält die Luft an und sieht zu meinem Mund. Ich ziehe die Fingerkuppe in den Mund. Dort umfährt meine Zunge sie. Ich kann beobachten, wie sich seine Pupillen noch weiter öffnen.

Ich entlasse seinen Finger, der sauber ist. Ist so etwas in so einem Lokal angemessen?

»Weißt du, wetten ist blöd«, sagt er, als ich sein Handgelenk wieder freigebe. Ich nicke heftig und er lacht.

»Findest du den Drang zu siegen blöd? Den Wunsch das zu bekommen, was du dir sehnlichst wünschst?«

Ich nehme mein Glas in die Hand und trinke einen Schluck Wasser, denn ich denke ernsthaft über seine Frage nach. Dabei sehe nicht nur seine Perspektive. Auch ich kenne Wünsche.

Kommt darauf an, was du mit Sieg verbindest, entscheide ich zu schreiben und frage damit zugleich nach seinen Motiven .

»Erfolg, Gedeihen, Segen und Glück«, sagt er mit deutlich gesenkter Stimme. Er nennt positiv besetzte Hauptwörter und ich schlucke. Er will sicher erklären, warum er wettet. Kann er es mit diesen vier Wörtern begründen?

Sicher, den Wunsch zu haben, das zu bekommen, was ich mir sehnlichst wünsche, kommt mir bekannt vor. Aber würde ich darum wetten?

Diskret werden unsere Teller entfernt.

»Du hättest unten an der Tür deinen Schlüssel nur behalten müssen. Hast du aber nicht.«

Der erste Gang wird serviert.

Borschtsch!

Der Oberkellner eilt zügig zum leeren Glas von Yanick. Er füllt es, während Yanick es mit der Hand am Stiel dreht. Dabei beobachtet er meine Reaktion. Mit dunkel schimmernden Augen mustert er mich. Ich bin leicht genervt, wegen der Wette.

»Hast Du aber nicht«, wiederholt er seinen letzten Satz eindringlich.

Was will er jetzt von mir. Will er wissen, warum ich ihn im letzten Sommer mit in meine Wohnung nahm? Ich notiere: Du warst eben hartnäckig.

»Ja und nein, Ella. Du wolltest es ebenso wie ich«, entgegnet er und ich kann dem nichts entgegnen. Ich wollte es. Schon im Bootshaus und noch lange davor. Gegen alles Denkvermögen, gegen alle Abwehrversuche, weil ich …

Meine Hand fährt zu seinem Wangenknochen. Ja, auch ich wollte es. Ich ersehnte es und er ahnt nicht einmal wie sehr. Punkt.

»Ich wünschte, ich könnte die Uhr zurückdrehen. Es ungeschehen machen und danach besser.« Es klingt traurig. Seine Lider sind auf dem Tisch gesenkt.

Ich lege meinen Löffel ab und bin unfähig ihn wieder aufzunehmen. Mein Hals schnürt sich zu, weil eine Erinnerung in mir aufsteigt … ein Märztag auf dem Friedhof …

»Ich würde es tun«, sagt er leise und ich frage mich, wie es wäre, wenn das möglich wäre.

Der zweite Gang wird gebracht.

Ryba. Überbackener Fisch in einer Variation von Havel Zander.

Schweigend starre ich auf den Gang, der vor mir auf dem Tisch steht. Meine Augen suchen Yanick, der auf meinen Teller sieht. Das Konzept des Menüs wird deutlich. Er mischt russische und deutsche Speisen. Genauer gesagt Regionale. Die Gänge werden immer schlichter. Mir wird ganz flau und ich werde unsicher. Zögernd nehme ich das Besteck auf und arbeite mich durch die Portion.

»Ich war einmal blöd in meinem Leben. Genau im falschen Moment. Beim falschen Menschen.« Er trinkt und der Kellner kommt geeilt, um nachzuschenken.

»Nein, ich meine beim Richtigen. Für mich«, berichtigt er sich und trinkt erneut, womit er das Personal auf Dauertrab hält.

»Zu viel Wein. Ich werde redselig.« Entschuldigend trinkt er jedoch einen weiteren großen Schluck und sieht zu mir. Er trinkt zu schnell. Besorgt sehe ich ihn an. Was wird das hier?

»Du willst wirklich nicht?«

Ich senke meinen Blick und verneine. Keinen Tropfen würde ich im Moment anrühren. Egal wie edel das Tröpfchen wäre. Aber ich greife zu seiner Hand, während die Teller entfernt werden. Bittend sehe ich ihn an.

Er wird eigenartig ruhig. Tief Luft holend trinkt er erneut einen Schluck Wein.

»Das Fenster in Kais Küche. Du hast es doch auch gespürt, oder?«

Einmal nicken.

»Oh, Ella. Alles bist du für mich. Ich wäre fähig jeden zu erschlagen, der dich auch nur eine Spur zu lüstern ansieht.« Die letzten Worte waren ihm grell entfahren. Er hat den Arm ausgestreckt. Ich folge seiner Richtung und sehe, wie der Oberkellner sich auf seinen Absatz umdreht. Er entfernt sich eilig, weil er sich angesprochen fühlt.

»Da! Er haut schon ab!«, ruf Yanick mit großen, lachenden Augen und beugt sich köstlich amüsiert vor. Angesichts dieser Szene lache ich mich stumm schlapp, bis Tränen in meine Augen steigen. Ich beuge mich vor und zurück. Yanick lacht über mich.

»Ich fürchte, wir fallen unangenehm auf«, lächelt er und küsst meine Handinnenfläche. Dabei fährt er mit seiner Zungenspitze bis zu dem Handgelenk hinauf. Den anwesenden Gästen bleibt verborgen, warum ich meine Lider senken muss. Die Geste war so unauffällig und heimlich, wie sie erregend war. Ich beginne flach zu atmen und bin erfüllt von Liebe.

»Möchtest du mir etwas sagen?«, fragt Yanick in meine Gefühlswelt hinein. Seine Tonlage ist lauter und ernst. Unheimlich eindringlich und ich bin sofort an meine Sünde erinnert. An meinen Diebstahl. Erschrocken ziehe ich meine Hand ein und fürchte, dass ich gleich vom Stuhl rutsche.

Du?, weiche ich aus und nutze die Zeit des Schreibens, um mich neu zu sortieren.

»Ich habe dich zuerst gefragt.«

Wir bekommen den Nachtisch serviert und ich schweige ihn an. Auch jetzt weiß ich, dass ich selbst mit Stimme schweigen würde.

Der Zauber von eben ist aus seinen Augen gewichen. Seine Pupillen sind wieder klein. Ich sehe zu dem Ring und fahre mit meinem Finger über den schimmernden Bernstein. Gedanklich tauche ich ab. Ich fühle, dort wo ich bin, Schwerelosigkeit, die alle schwierigen Fragen ausblendet, vergisst und mich leer wieder ausspuckt. Auch wenn ich weiß, dass es falsch ist mich jetzt so zu verhalten.

In mein Gesichtsfeld werden Blinis geschoben.

»Iss!«

Kakao-Blinis mit Holunderbeeren und Havel-Äpfeln auf einem Joghurtspiegel.

Stumm sehe ich ihn an. In meinem Kopf laufen tausend Bilder, Gedanken und Erinnerungsfetzen wie in einer schnellen Diashow ab. Ich kann sie weder stoppen, noch sortieren, einordnen noch benennen. Eben kam es mir ganz leer in meinem Kopf vor. Doch jetzt werden mir diese Flashbacks zu viel. Ich fühle mich plötzlich sehr schwach und klein.

»Ich beobachte dich, wenn du schläfst. Deine Augen unter den Lidern träumen. Zu gerne wüsste ich, was du träumst. Welche Bilder du siehst. Manchmal wünschte ich mir auch, dass du deine Augen aufschlägst und mich ansiehst. Mit deinen so meerblauen Augen. Nur mich, mehr will ich nicht.« Er rollt seine Augen hoch und sieht versonnen an die Decke. »Du schläfst immer mit einer Hand unter deiner Wange. Sie wird von deinen Haaren eingerahmt. Ich brauche nur die Decke beiseiteschieben und deine Härchen richten sich auf. Unglaublich. Es ist so, als wüsstest du selbst im Schlaf, dass ich dich begehre. Dann würde ich dich am liebsten wecken. Schon der Gedanke bei dir zu sein zu dürfen. Mit dir sein zu dürfen …«

Er beobachtet mich bis ins kleinste Detail. Seine Pupillen sind schlagartig geweitet. Sie verschlingen mich, reißen mich fort. Ich frage mich, ob ich es zulassen möchte.

»Wenn ich bei dir bin, fühle ich mich vollkommen, wenn du nicht bei mir bist, fühle ich mich unsagbar unbedeutend.«

Er ist sehr gefasst. Er klagt nicht und zwingt mir auch keine Entscheidung ab. Morgen sind die drei Wochen um. In seinen Augen sehe ich Traurigkeit darüber. Aber er bettelt nicht. Er sagt lediglich, was er sich wünscht.

Wie hatte ich ihn jemals für oberflächlich und arrogant halten können? Ich hätte auf der Brücke besser hinsehen müssen! Ich hätte …

Lautlos werden unsere Teller entfernt.

»Darf ich den Herrschaften noch etwas kredenzen?«, fragt der Kellner. Yanick wird aus meinen Augen gerissen und sieht benommen zu ihm. Er räuspert sich.

»Nein. Nein. Das war es. Bringen Sie bitte die Rechnung.«

Spring!

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