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Kapitel 15

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Meinen Mund weit aufgerissen schreie ich ohne einen Ton und weine bitterlich.

Er hat meinen Dorn gefunden. Habe ich so jemanden verdient?

Ich hole und tief Luft und jaule. Das geht wenig später in Gejammer über. Ich krümme mich auf dem Boden über all den Briefen, die er mir, im Laufe der Zeit, geschrieben hat und in jedem seine Liebe zu mir beteuert.

Er liebt mich immer noch.

Er will mich.

Ich kann meine Stimmmuskulatur wieder nutzen, wenn auch mit Schmerzen. Meine Stimme klingt verzerrt und unmenschlich wimmernd. Die Laute werden immer deutlicher und locken Uta in das Wohnzimmer. Fassungslos und entgeistert steht sie vor mir und sieht zu mir hinab.

Zu mir, die sich das erste Mal seit zwei Jahren durch Laute artikuliert. Geschockt begreift sie, was vor sich geht, denn sie erkennt die Briefe auf dem Boden. Schnell ist sie bei mir.

»Ella. Alles ist gut! Alles ist gut!«, sagt sie.

Halt suchend kralle ich mich fest, wie eine Ertrinkende und werde sanft von ihr gewiegt. Geduldig und liebevoll. Eine Ewigkeit lang.

Mein ganzer Körper bebt und wird nur langsam schwächer. Es braucht seine Zeit um hinaus zu weinen, was seit zwei Jahren in mir schlummert. Der Dorn schmerzt entsetzlich, jetzt, wo ich ihn spüre. Vor Erschöpfung schlafe ich an Ort und Stelle ein und als ich erwache, sitzt Uta noch immer neben mir.

Meine Stimme klingt heiser und ich spreche leise, aus Vorsicht. Die Stimmmuskulatur ist sicher verkümmert und Holger wird mir helfen müssen sie wieder zu trainieren.

»Es war gewiss anstrengend und wir wollen doch beide, dass es kein einmaliges Erlebnis bleibt, oder? Also nicht gleich zu viel sprechen, Ella«, mahnt sie mich.

Grinsend schüttele ich meinen Kopf und richte mich auf. Ich mache ein Handzeichen. Victory, welches wie ein Y aussieht und Yan bedeutet.

»Er schläft. Tief und fest.«

Ich bin beruhigt und dankbar fahre ich über Utas Hand.

»Was los war, kannst du aufschreiben oder später erzählen. Du weißt, dass ich eine Nachricht für dich habe?«, frag sie.

Aber ja, das stand im Brief von Yanick. Etwas mit Küche und Ninette. Ich nicke schnell.

»Möchtest du sie jetzt oder willst du noch warten?«

Ein erhobener Finger. Uta verschwindet für weniger als eine Minute, aus dem Zimmer. In ihren Händen hält sie einen Umschlag. Er hat die Größe einer DVD und sieht recht mitgenommen und ramponiert aus.

»Damals, als ich deine Fahrt nach Warnemünde organisiert habe, da habe ich auch die Fahrkarten für Yanick mit besorgt. Ich habe ihn vor Abfahrt des Zuges getroffen und ihm seine Tickets gegeben. Er bat mich, dir diese DVD zu geben, wenn du einen seiner Briefe, oder alle geöffnet hast. Seit dem trage ich sie bei mir und der Umschlag sieht nicht mehr schön aus. Er warnte mich damals, dass es dir schrecklich gehen würde, wenn du die Briefe geöffnet hast«, verlegen blickt sie her. »Ella, ich wollte dich nicht hintergehen, etwas hinter deinen Rücken organisieren oder dir was verschweigen. Ich habe das nicht gerne gemacht und hart mit mir gerungen. Du hast so gelitten …« Ihre Stimme bricht und Tränen stehen ihr in den Augen. Ich öffne meine Arme und Uta kommt zu mir geflogen. Eng umschlungen sitzen wir auf dem Fußboden und küssen uns unsere Wangen.

»Alles gut Uta! Alles gut. Du bist die beste Freundin auf der ganzen Welt!«, versichere ich ihr. Uta muss mich ansehen und atmet erleichtert und grinsend aus.

Sie ist noch nicht fertig und holt erneut Luft: »Ich habe gesehen, wie sehr du gelitten hast seit jenem Wochenende. Zuerst war ich auf Yanick wütend. Aber als ich ab und zu mit ihm sprach, merkte ich, dass er dich liebt und sich auch große Sorgen um dich macht. Den ganzen Aufwand betreibt doch keiner, weil er jahrelang eine Wette gewinnen will!« Uta rollt wie zum Nachdruck ihre Augen hoch. Ich muss lächeln und gebe ihr einen Kuss auf ihre Wange.

Zweimal zwinkern.

»Also gut«, sagt Uta beruhigt. Sie hat bestimmt eine meiner temperamentvollen Szenen erwartet. Sicher hat sie sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht. »Hier ist deine Nachricht.«

Ich nehme mit klopfenden Herzen die DVD in Empfang und drehe gespannt den Umschlag. Ich öffne ihn und lasse die DVD vor mir auf dem Boden purzeln. Sie ist beschriftet.

Für Ella. Channeling vom 10.04.1994 und 16.07.2010

»Channeling … hat das was mit Hellsehen oder so zu tun?«, fragt Uta interessiert, während ich die Hülle aufklappe und einmal nicke.

»Und der 16.07.2010 war doch der Tag, als du zum Boot gesprungen bist?«

Wieder nicke ich.

»Krass …«, sagt Uta.

Ich lege die DVD ein, nehme die Fernbedienung und setze mich vor dem Bildschirm. Uta will sich erheben, um mich allein mit meiner Nachricht zu lassen. Ich halte sie an ihren Arm zurück und schaue sie bittend an. Uta setzt sich wieder. Ich starte die DVD und erwarte gebannt das Bild.

Yanick.

Er positioniert sich gerade vor der Kamera. Ich erkenne seine Wohnung im Bootshaus. Als er auf dem richtigen Platz steht, nimmt er DIN A3 Papiere auf, die auf dem Boden liegen.

Ich lache ungewollt auf. Joris Oma hatte recht. Sein Werben war nie das Problem. Die Ideen mich zu beeindrucken, gingen ihm auf keinen Fall aus. Er hatte sich auch jetzt etwas Schönes für mich einfallen lassen. Aber er würde auf mich auch ohne seine Ideen Eindruck machen.

Das erste Papier ist leer. Er blickt in die Kamera hinein und wirft mir einen Luftkuss zu und ich lehne mich verschämt lachend an Uta, die mich amüsiert ansieht. Dann entfernt er den ersten Zettel.

Ich freue mich, dass du meinen Brief gelesen hast …

Er blättert zum nächsten Zettel.

Und diese Nachricht erhalten hast …

Er blättert zum nächsten Zettel. Jeden Satz hat er auf einem Blatt geschrieben.

Danke Uta, für deine Hilfe und dass es dich gibt …

Bewegt greife ich Utas Hand und küsse den Handrücken.

Ella, im Brief hab ich dir geschrieben …

Dann das in der Küche …

Mit Ninette. (Dazu später mehr, damit du mir glaubst.) …

Erinnerst du dich? …

Okay …

Hier, damit du mir glaubst …

Das Channeling vom 10.04.1994 …

Ich liebe dich! …

P.S.: Ach und ich habe die richtige Wahl getroffen …

Der Bildschirm wird eine Sekunde schwarz, dann erscheint ein Video. Das wurde mit einer Videokamera gedreht. Es herrscht Unruhe in einem schlecht beleuchteten Raum.

Ich entdecke Kai, der neben Yanick steht und Lisa, die vor der Kamera herumläuft. Sie haben typische Klamotten aus den neunziger Jahren an und sind Teenager. Uta posaunt: »Schau mal. Was sie anhaben, ist voll retro. Wann war das?«

»Zwei Jahre vor Mutters Beerdigung«, antworte ich.

Ich pausiere kurz und mein Finger deutet auf Yanick. Mein Großvater hatte damals recht. Er war ein Junge, als ich ihn das erste Mal traf. Er war gerade mal sechzehn Jahre und hier auf dem Video ist er 14 Jahre.

»Yanick«, sagt Uta und sieht genauer hin. »Er sieht so jung aus.«

»Vierzehn Jahre«, antworte ich geistesabwesend. Ich zeige auf Kai und flüstere: »Kai.«

Uta führt ihren Finger zu Lisa und fragt: »Lisa?«

Einmal blinzeln. Ich drücke Play und der Film läuft weiter.

Kai fragt Lisa, die jetzt hinter die Kamera eilt: »Bist du nun bald fertig, Lisa Mäuschen?«

»Ja, habe euch drauf. Kann losgehen!«, trällert Lisa und hatte schon damals diese sinnliche Stimme.

»Okay. Yanick, willst du etwas Bestimmtes wissen, oder soll ich was raus suchen?«

Der Angesprochene zuckt mit den Schultern. »Such du was raus!«

»Also gut«, sagt Kai. Nach einer Weile stellt er sich hinter Yanick und legt ihm beide Hände auf die Schulter. So hatte er das auch bei mir gemacht. Kai schweigt eine Zeit. »Du bist in einer Küche, alles aus Holz … Wow, es ist meine Küche! Hey Leute ich werde ein Hausboot haben!«, ruft er erfreut aus.

Gemurmel im Publikum. Auch Yanick sieht zu Leuten. Von ihnen sind jedoch nur die Beine an rechten Bildschirmrand zu sehen.

»Du … Bohaaa …«, angewidert neigt Kai sich leicht nach vorne. Es wirkt, als müsse er sich übergeben. »Mir wird schlecht, Nicky.«

Yanick bekommt große Augen. »Was denn Kai?«, will er wissen. Er scheint ungeduldig zu werden.

»Du vögelst gerade eine … Bohaaa! Ich darf nicht vergessen die Arbeitsplatte zu desinfizieren! Ihr vögelt auf meiner Arbeitsplatte, Mann!«, posaunt Kai los und wirkt angewidert.

Ich reiße meine Augen weit auf, suche den Pausenknopf und bitte Uta um den Schreibblock. Als sie ihn mir reicht, schreibe ich hektisch: Das habe ich in dem Moment auch gedacht.

»In welchen Moment und was gedacht?«, hakt Uta nach. Mir wird klar, dass ich ihr sehr wenig erzählt habe, was damals geschah.

Als Yanick und Ninette in der Küche … Ich überlegte, ob ich Kai sagen soll, dass er lieber seine Arbeitsplatte desinfizieren soll.

Uta blickt verwirrt drein und ich kritzele hastig weiter: Ich dachte, Kai ist ein Schwindler, der sich nur eins und eins zusammenreimt. Ich dachte immer, dass Yanick Kai erzählt hat, was in der Küche passiert ist.

»Weiß Null, was du mir sagen willst. Mach mal weiter!«, sagt sie und zieht ihren Kopf in den Hals.

Play.

Das kleine Publikum lacht.

»Nein Gina, dich vögelt er nicht. Tut mir leid, aber du bist da längst Geschichte.«

Kai ist sehr direkt in seiner Wortwahl. Die Brünette zieht einen Schmollmund und die Kamera fängt ihre Geste ein. Enttäuscht schaut sie zu Yanick.

Pause. Ich spule zurück.

Enttäuscht schaut sie zu Yanick.

Pause.

»Ich habe sie schon einmal gesehen«, flüstere ich und erinnere mich, wie er unten an den Treppenstufen zu ihr sagte: Sei still Gina!

»Wann?«, fragt Uta.

»Die Beerdigung von Mutter«, raune ich und erzähle Uta von der ersten Begegnung mit Yanick. Ich berichte von meiner Eifersucht auf die Frau, die ihn küsste und mich kleines Baby nannte. Unter Tränen schildere ich Uta, dass ich damals schwor mein Herz nie für jemanden zu öffnen und es in den Sarg meiner Mutter legte. Gut geschützt und aufbewahrt, bis irgendjemand kommt, der es von mir geschenkt bekommt. Falls ich es jemals wieder verschenken wollte.

»Du hast dich selbst vor dir verschlossen. Vielleicht solltest du es dir holen, wenn du kannst«, schlägt Uta vor und streift mir ihre Hand über meinen Rücken. »Jetzt verstehe ich besser, warum du Yanick von dir gestoßen hast. Du hast das verdrängt?«

Mir war das alles nie bewusst. Ja, ich erkannte ihn am Küchenfenster und auf seiner Terrasse war ich die glücklichste Frau der Welt, als ich ihn küssen konnte. Mein geheimer Wunsch seit jenem Tag vor der Kapelle. Bei aller Liebe, die ich für ihn empfinde, war ich zeitgleich immer zornig auf ihn und konnte es mir nie ganz erklären.

Es ist der zweite Dorn.

Tief Luft holend, drücke ich Play.

»Können wir uns alle bitte mal wieder konzentrieren!«, nörgelt Kai mit donnernder Stimme. »Es geht nämlich noch weiter! Wo waren wir?«

»Ich vögele gerade auf deinem Hausboot, in deiner Küche, auf deiner Arbeitsplatte.«

»Ja genau! Sie will deinen Dödel gerade bei sich … Ich kann sie echt nicht leiden … sorry Nicky. Aber du selbst magst sie ja auch nicht.«

Alle lachen wieder über die Art, wie Kai diese Situation beschreibt. Nur ich nicht denn ich war dabei. Aufmerksam verfolge ich das Video und senke leicht meinen Kopf vor Anspannung. Yanick wird rot. Ihm ist anzusehen, dass die Situation peinlich zu werden droht.

»Deine Augen sind zu. Sie fragt dich was. Ganz wichtig … und jetzt hör mir genau zu Nicky! Höre mir genau zu! Sie hat dich was gefragt. Du hast zwei Möglichkeiten. Du kannst sie vögeln, deine Augen geschlossen halten und schweigen. Oder du öffnest sie. Dann siehst du jemanden. Am Fenster. Sie sieht euch zu. Ihr kannst du antworten.«

Ich erschrecke bei Kais Worten. Er hat die Situation vom Küchenfenster auf seinem Hausboot beschrieben.

Pause.

Mein Atem geht schnell. Meine Augen suchen irgendwo Halt, während ich diese Information verarbeite, sortiere und verknüpfe.

Uta wartet geduldig und beobachtet mich.

Kai hat das 1994 gesehen? Also lange bevor … Yanick hat ihm das gar nicht an dem Abend erzählt, brauchte er gar nicht. Ich habe beiden immer unterstellt, dass sie Spiele spielten. Ich habe immer geglaubt, dass sie sich abgesprochen hatten. Ein fataler Irrtum meinerseits.

»Moment. Du? Er redet 1994 von dem Tag, an dem du zum Boot gesprungen bist und beobachtest beide, wie sie …?«, setzt Uta an, stockt jedoch. Sie zieht ihre Augenbrauen zusammen.

Einmal blinzeln.

Sie löst diese Anspannung und bekommt große Augen.»Hat er geantwortet?«

Einmal blinzeln und Utas Augen weiten sich samt Augenbrauen. »Was?«

»Ich liebe dich«, flüstere ich.

»Ich liebe dich?«

Einmal blinzeln.

Uta sieht zum Bildschirm und murmelt: »Ist ja krass. Ich hätte vermutlich gedacht, dass der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.«

Play.

Kai spricht weiter: »Also die, die am Fenster steht. Die wird dich erst dadurch beachten. Ihr beide werdet … Springen.« Kai lächelt ganz verzückt und scheint zu genießen, was er sieht.

Stopp.

Ich spule zurück.

»… dich erst dadurch beachten. Ihr beide werdet … Springen.« Kai lächelt ganz verzückt und scheint zu genießen, was er sieht.

Stopp.

Ich spule zurück. »… ihr beide werdet … Springen.«

Pause.

Mein Oberkörper beugt sich zum Boden und ich halte mir meine Hände über den Kopf. Die Gedanken rasen. Ich habe ihm nie geglaubt, ihn immer als Spinner abgetan.

»Alles okay?«, höre ich die besorgte Uta.

Einmal Nicken.

»Ja. Alles okay. Mir geht es gut.«

»Was meint er damit?«

Ich setze mich wieder auf und wische meine Hände über mein Gesicht. »Kai ist der Wahnsinn. Ich habe ihm nie geglaubt.«

»Was meinst du?«, will Uta wissen.

»Dir das zu erklären, würde Stunden dauern und selbst dann würdest du mir wahrscheinlich nicht glauben«, wiederhole ich Kais Worte sinngemäß.

»Ihr springt, wenn ihr euch liebt?«, überlegt Uta laut.

Ich muss lachen und falle an Utas Schulter. »Ja«, antworte ich und muss meinen Bauch halten. »Aber nicht im Sinne von hüpfen.«

Uta blickt skeptisch drein.

»Vergiss es! Ist schwer zu erklären. Später, okay?«

»Jetzt habe ich Kopfkino.«

Erneut schüttelt mich ein Lachanfall und ich ziehe Uta für einen Wangenkuss zu mir.

»Ich mach weiter«, sage ich und drücke Play.

Kai lächelt ganz verzückt und ich muss an das denken, was er mir in mein Ohr geflüstert hatte. So ein Spanner!

»Sie … Elisa«, sagt Kai und strafft sich. Sein Gesicht wird freundlich und entspannt. Yanick erschrickt und mit weit geöffneten Augen schaut er in die Kamera. »Mich?«, fragt Lisa, die sich hinter der Videokamera befindet.

»Nein! Nein, nicht du Lisa.« Kai legt seinen Kopf schräg. »Die, Elisa, die gesprungen ist. Die Springerin!«

Yanick hebt seine Hände fragend und sieht sich hilflos um.

»Deine Wahl Nicky. Antworte oder schweig«, murmelt Kai. »Lieblose Muschi vögeln oder Liebe. Ach, und lass dir nicht erzählen, dass sie das Würstchen gesehen hat!«

So ein Kerl! Er weiß es! Darum hat Yanick so gelacht, als ich wieder in das Boot einsteigen sollte. Er sagte, es sei ernster, als ich ahnen würde. Das sehe ich jetzt allerdings auch so. Warum sagt er mir das denn das alles nicht einfach? Aber andererseits, hätte ich ihm geglaubt? Wohl eher nicht. Er hat es ja versucht. Meine Reaktion war, dass er spinnt.

Kai nimmt erschöpft seine Hände von Yanicks Schulter. Die Kamera verweilt noch eine Weile auf den ratlosen Yanick, der sich nun verwirrt im Raum umsieht.

Dann wird der Bildschirm schwarz.

»Kai ist ein Medium?«, entfährt es Uta ungläubig und stiert auf den schwarzen Bildschirm.

»Ja«, flüstere ich und ich glaube ihm, weil nur ich wissen kann, dass ich Yanicks Würstchen gar nicht im Wasser gesehen habe, als ich zum Hafen in Friedrichshagen schwamm.

»Yanick weiß, er wird dich am Fenster sehen, weil er weiß, dass du die bist, die sprang … Weil er nun die Wahl hat, öffnet er seine Augen und sieht dich. Und ihr macht hüpfend Liebe.«

Uta ist köstlich …

Das Bild geht wieder weiter, diesmal vermutlich von einer Handykamera gefilmt. Ich erkenne mich, wie ich mit geschlossenen Augen auf der Terrasse des Hausbootes stehe. Gleich würde Kai mir die Hände auf die Schulter legen.

»Bereit?«, fragt er.

»Bereit«, antworte ich und seine Hände berühren meine Schulter. Auch er schließt seine Augen.

»Wir haben uns vorhin über deinen Großvater unterhalten …«

Nicken.

Kai legt seinen Kopf zur Seite und ein Lächeln huscht über sein verschmitztes Gesicht.

»Er hat dich sehr geliebt und wollte, dass du dich nie zu schnell für etwas entscheidest. Er sagte immer: Geh es ernsthaft an und prüfe stets dein Herz dabei.«

Pause.

Ich schluchze, weil ich erst jetzt im Rückblick begreife, warum er mich an Opas Rat erinnerte. Warum Yanick mich daran erinnert hatte. Ich denke, deine Maßstäbe zum Prüfen sind defekt.

Yanick und Kai hatten versucht, den Blick auf etwas zu lenken. Ich habe Yanick stets auf seine Fehler hin geprüft. Fehler, die leicht zu verzeihen gewesen wären. Nie habe ich meine als Maßstab benutzt, denn ich habe Fehler gemacht. Schlimme sogar.

Es sei die Ehre nach den Taten erwiesen.

Ich erkenne, dass Yanick mehr ehrenvolle Taten vollbracht hat, als ich. Meine sind egoistisch. Eigennützig und gegen die Natur.

Play.

Auf dem Video nicke ich. Mir geht durch den Kopf, wie verblendet meine geistige Einstellung doch ist. Scham für jede Untat steigt in mir auf.

»Auf dem Steg heute Mittag wolltest du auf das Boot, noch bevor sie angehalten haben, damit du springen kannst.«

Nicken.

»Dann …«, Kai legt seinen Kopf in den Nacken. Die Handykamera blendet kurz die Leute ein, die auf der Sitzgruppe sitzen. Ich sehe Yanick. Er sitzt weit nach vorne gebeugt, gebannt auf mich sehend. Ninette kauert neben ihm und blickt finster und gelangweilt drein.

»… Dein Bikini war sicher preiswert, aber du bist alles andere als billig, so wie Ninette es gesagt hat …«

Plötzlich hellwach, strafft sich die Erwähnte. Sie wirft ihren Kopf ruckartig zu Yanick, als erwarte sie eine Reaktion von ihm. Ihre Augenbrauen zucken zusammen. Sie ist eindeutig schockiert und empört.

Yanick sieht jedoch immer noch zu mir und schüttelt abwehrend seinen Kopf in Ninettes Richtung. Er wartet begierig darauf, mehr zu hören. Alles an ihm ist in Anspannung.

»… Die sich wie eine Nutte vögeln lassen will. Sie hat nicht gemerkt, dass er es zu dir sagte. Ich habe übrigens daran gedacht meine Arbeitsplatte zu desinfizieren.«

Ninette springt hoch, doch ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, zieht Yanick sie sofort wieder auf den Sitz zurück. Sein Mundwinkel geht hoch. Hochrot und wütend stiert Ninette zu mir.

Ich nicke und schmunzele mit geschlossenen Augen.

Yanick schmunzelt nun ebenfalls breit über sein Gesicht.

Kai fährt mit seinen Händen an mir hinab und sie ruhen nun auf meinen Unterleib.

Ein Schauer überfährt mich, denn ich stelle fest, dass Kai und ich damals auf seiner Terrasse so standen, wie Yanick und ich in Warnemünde vor dem Spiegel.

Kais Gesichtsausdruck verrät eindeutig hohe Erregung. Er sieht, wie Yanick damals, an mir herunter, lächelt und minimale Bewegungen seiner Augenbrauen deuten etwas sehr Schönes an. »Der Vater deiner Kinder liebt … Nein, vergöttert dich. Ein Junge …« Mir rollt stumm eine Träne die Wange hinab. Ich flüstere mit Kai synchron: »Dann. Später ein Mädchen.«

Kai hat alles gesehen und wollte mir etwas sagen. Aber ich habe es aus Hochmut ignoriert. Alle Hinweise.

Ninette springt auf und will tobend auf mich losgehen, um sich für ihre erlittene Schmach zu rächen. Doch Yanick hält sie zurück. Er lächelt dabei! Sie schreit hysterisch: »Fahr mich auf der Stelle weg hier! Sofort!« Dann wird der Bildschirm schwarz.

Ich sehe zu Boden. Zu viele Gedanken auf einmal. Wo soll ich anfangen zu sortieren?

Uta sitzt auch noch, um das Gesehene zu verarbeiten. »Das würde mir keiner glauben, wenn ich es erzähle. Die würden mich in die Klapse schicken. Er hat sich also entschieden die Augen zu öffnen.«

Einmal nicken.

»Und hat dich gesehen und dir geantwortet.«

Einmal nicken.

»Weil er wusste, dass dort die Elisa stehen würde, die gesprungen ist. Du. Kai hat ihm das alles 1994 …?«

»Prophezeit?«

»Genau. Wie sagte er: Lieblose Muschi vögeln, also Ninette. Oder Liebe, also du. Ergo: Es ging ihm noch nie um die Wette, sondern um Liebe.«

Weinend falle ich in Utas Arme. Mein Körper bebt und mein lautes Schluchzen erfüllt den ganzen Raum. Es verrät den inneren Kampf und die daraus resultierende Verzweiflung. All meine unehrenhaften Taten. Uta hält mich, bis ich wieder erschöpft ruhiger werde.

»Der Brief«, hauche ich und halte ihn Uta hin. Sie liest und weint Kullertränen.

»Ella. Mein Gott!«

Abwesend stehe ich auf.

»Ella!«

Ich will irgendwo im Boden versinken. Mein verletzter Stolz hat mich zwei Jahre meines Lebens gekostet. Zwei verdammte Jahre, in denen ich mit Yanick hätte glücklich sein können. Ganz zu schweigen von dem Unrecht, das ich ihn angetan habe. Und das, nur das, wiegt schwer wie Blei an mir.

Ich habe seine Gefühle getreten, wo ich nur konnte. Ich habe ihm immer miese Absichten, Dekadenz und Arroganz unterstellt. Dabei übersah ich, dass er mich aufrichtig liebt und es auch gezeigt hat. Er wollte mit mir zusammen sein und hat immer vergeblich versucht mir zu zeigen, wo mein Dorn sitzt. Zur Krönung für seine Bemühungen habe ich meine Schwangerschaft erschlichen, verschwiegen und ihm jede Möglichkeit einer Beziehung zu seinem Sohn beraubt.

Und dennoch …

Trotz allem …

Er hatte mich gebeten zu ihm zu kommen.

Das Arschloch von und zu.

Der Mann, der mich trotz meiner Schwächen, Eitelkeiten und Sturheit aufrichtig liebt, wie einen edlen, raren Tropfen, der einmalig ist und genossen werden muss, will mich. Egal wie exorbitant der Preis für ihn ist. Yanick hat der Preis nie gereut, den ich ihm in Form von Unrecht, Schmerzen und Leid zugefügt habe. Dornen über Dornen.

Wie soll ich je wieder in seine Augen sehen können?

Wie?

»Ella! Verdammt. Was machst du?«, fragt Uta.

Aus meinen Gedanken gerissen, drehe ich mich um und schlurfe in die Küche. »Ich suche mir jetzt ein dunkles Loch und versinke vor Scham darin«, murmele ich.

Uta springt hoch und holt mich ein. Sie hält mich am Arm und in ihrem Gesicht steht Sorge.

»Was?«, schreie ich. »Ich will jetzt sofort im Erdboden versinken! Ich suche mir jetzt verdammt noch mal eine tiefe Stelle, an der das möglich ist!«

Über meine Stimmgewalt selbst erschrocken, sehe ich in Utas weit geöffneten Augen. Sie werden weich. Seit zwei Jahren bin ich praktisch stumm. Und nun stehe ich hier und schreie, wenn auch heiser.

Mir verschwimmt alles vor lauter Tränen. Meine Nase läuft. Der Mund zittert. Ich habe unendliche Scham dem Mann gegenüber, dem ich so viel Unverzeihliches angetan habe.

»Gut. Mach das«, flüstert Uta besänftigend. Sie berührt mich an den Armen und schaut mich an. Mit beängstigend ruhiger Stimme fügt sie an: »Ich helfe dir beim Suchen. Aber erst erzählst du mir alles!«

Ich keuche und wische mit meinem Handrücken die Tränen aus der Nase fort. Nickend lächele ich meiner Freundin ins Gesicht. Sie freut sich, dass ich ruhig bleibe. Sie freut sich, dass ich wieder spreche. Mit ihrer besonnenen und liebevollen Art hat sie geschafft, mich wach zu küssen, ohne mich für meine Emotionen zu tadeln. Eine klasse Erzieherin.

Gemeinsam stehen wir in meinem Flur und lachen uns schlapp. Vor Schmerzen halten wir uns unsere Bäuche. Endlich wieder miteinander zu lachen ist ein sehr überwältigendes Gefühl. Ehrlich gesagt, ich habe es sehr vermisst.

»Komm! Wir sehen mal nach, ob klein Yanick sich über seine laute Mama erschrocken hat oder ob er wie ein braves Baby schläft. Danach mache ich uns was zu essen und du erzählst mir alles. Okay?«

Ich steuere auf das Schlafzimmer zu, öffne die Tür und gucke durch den Spalt in das Kinderbett. Alles ist still. Ich schlüpfe durch die Tür und schleiche zum Bettchen. Babygeruch steigt in meine Nase, als ich mich über das hübsche Kind beuge, dass ich so sehr liebe. Vorsichtig berühre ich ihn am Bauch und fühle, wie sich sein Brustkorb hebt und senkt.

Uta erscheint neben mir und sieht ebenfalls durch die Dunkelheit zu Yan hinab.

»Ein Goldkind«, stellt sie fest und zieht sich leise zurück.

»Ganz der Vater«, murmele ich und decke ihn zu.

Spring!

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