Читать книгу Spring! - Karina Förster - Страница 12
Kapitel 7
ОглавлениеDie Flip-Flops von Lisa sind mir eine Nummer zu klein und fangen schnell an zu scheuern. Dementsprechend komme ich schleppend voran. Zudem ist die Straße hier nur vereinzelt beleuchtet. Die Orientierung fällt mir schwer. Bis auf den heutigen Tag hat mich noch nie jemand derart wütend gemacht wie Yanick. Bis jetzt nie zeitgleich aus der Bahn geworfen und in die Bahn gelenkt.
Ich bleibe stehen. Es ist dunkel. Ich bin allein. Warum nicht die ganze Wut hinausschreien? Wann, wenn nicht jetzt?
Meine Hände ballen sich zu Fäusten und die Lungen füllen sich mit der eingesogenen Luft, um mich auf einen langen Schrei vorzubereiten. Dann entlassen sie den Stau an Gefühlen. Es schmerzt. In meinem Magen. So sehr, dass ich kaum noch Kraft habe aufrecht zu stehen. Dieser Hund!
Genervt lasse ich meinen Frust an dem erst besten Gegenstand aus, den die Augen erfassen. Die Flip-Flops. Ich rutsche aus den unkomfortablen Dingern, die mich nur zu behindern scheinen und schleudere sie mit einem Schrei in die Dunkelheit neben der Fahrbahn. Danach geht es mir etwas besser und ein neues Gefühl steigt auf.
Der Kuss. Tränenflüssigkeit steigt auf. Das ist jetzt der Stress.
Der muss gleichgültig wo raus. Also gut , denke ich. Weine ich eben auch noch . Heult die naive Pute eben, die den Kuss schön fand. Geschieht ihr recht.
Ich höre auf, gegen die Tränen zu kämpfen. Sie müssen raus, auch wenn ich dabei bescheuert aussehe. Immerhin trage ich jetzt Markenkleidung.
Schritt für Schritt laufe ich den langen Weg zur S-Bahn Haltestelle. Je mehr Lichter zu sehen sind, umso mehr erlange ich meine Fassung zurück. Die Tränen sind geweint. Übrig bleibt eine merkwürdige Mattigkeit ungeahnten Ausmaßes.
Mit letzter Kraft schleppe ich mich ich die endlosen Stufen der S-Bahn-Station hinauf. Hier, am Ende von Berlin ist um diese Zeit wenig Bewegung auf den Bahnsteigen. Völlig außer Atem bin ich oben auf den Bahngleisen angekommen und setze mich erschöpft auf die schwarzen, eisernen Sitze. Mit leerem Blick starre ich vor mir auf den Boden. In meinem Blickfeld sind nur meine schmutzigen Füße und Kaugummis, die dort festgetreten wurden. Langsam wird mir kalt an den Füßen und ich stelle sie zusammen, damit sie sich ein wenig aneinander wärmen können.
Ich fühle mich emotionslos, wie leer gefegt.
Hätte er doch bloß nichts von dieser beschissenen Wette erwähnt. Oder besser hätte ich doch nur meine Klappe gehalten und nicht weiter nachgehakt. Was interessiert mich denn schon prinzipiell die blöde Wette. Was ich wollte, war doch nur die Nacht mit ihm. Aber genau dort lag das Haar in der Suppe. Aus irgendeinen unerfindlichen Grund konnte ich meine Klappe nicht halten und habe die Frage gestellt, die mich jetzt hier sitzend, statt neben ihm liegend lässt.
Und nun ist hier nur noch meine körperliche Hülle übrig. Warum?
Die Bahnschienen quietschen und kreischen. Die leere Hülle will ins Bett.
Will vergessen. Schnell Yanick und Lisa vergessen.
Ein leichter Wind, der meine offenen Haare anhebt und zur Seite weht, lässt mich auf sehen. Die Bahn fährt auf dem Gleis ein. Ich schleppe mich zu einer Wagentür, öffne sie und setze mich in den menschenleeren Waggon.
Oh, Mist! Ich fahre ohne Ticket und Uta hat meinen Ausweis. Wenn ich erwischt werde, wird das sicher lustig. Wie der gesamte Abend unterirdisch.
Müde liegen die Hände auf meinen Knien. Die Haare rutschen mir vom Rücken und kitzeln auf der Haut am Arm. Ich ziehe die offene Mähne mit einer Hand nach vorne und lehne mich zurück. Die Augen schließe ich, weil ich das Licht als schrecklich grell empfinde. Ich will Dunkelheit.
Die Sirene an der Tür ertönt und gibt somit die Warnung, dass die Bahn gleich abfährt.
Jemand kommt keuchend in die Bahn gerannt und die Türen schließen sich zeitgleich. Die Bahn setzt sich mit einem kleinen Ruck in Bewegung und nimmt schnell an Geschwindigkeit zu.
Bald werde ich wieder in meiner Welt sein. In meinem Bett, in meiner Wärme und in meiner Stille.
Neben mir rüttelt es, weil sich jemand hart auf den Sitz fallen lässt. Von dort kommt jetzt auch das penetrante Schnaufen, das mich am Denken hindert. Dabei ist doch reichlich freier Platz im Waggon. Muss das denn jetzt genau neben mir sein? Wie nervig!
Um zu protestieren, öffne ich meine Augen. Ich schwenke meinen Kopf in die Richtung, des Schnaufens und sehe in bernsteinfarbene Augen, die mich ansehen.
Yanick?
»Hi«, sagt er noch völlig außer Atem und grinst mich an, als wäre nichts vorgefallen. Für eine Antwort zu müde sehe ich weg.
»Ist er Platz noch frei?«, fragt er nach Luft ringend, doch ich bleibe stumm und sehe zum Fenster hinaus. Klar war der frei. Netter Versuch.
Durch die Dunkelheit draußen und der Helligkeit hier drin ist das Fensterglas Spiegelglas. Er hat sich vorgebeugt und betrachtet mich. Er folgt meinen Augen und im Fenster sehen wir uns an. Wer zuerst den Blick senkt, hat verloren, denke ich und sehe nicht weg.
Mann! Ist der hartnäckig! Auch er senkt seinen Blick nicht. Er sagt nichts, bewegt sich nicht, sieht mich nur schweigend an.
»Was willst du von mir Yanick?«, frage ich mich über seine Beharrlichkeit wundernd. Dieses Schweigen halte ich nicht mehr aus. Ich habe auf eine Art verloren, aber ohne Frage besser, als den Blick zu senken.
»Der Vater deiner Kinder sein«, antwortet er wie aus der Pistole geschossen.
Den Satz muss ich mir erst dreimal in Gedanken wiederholen und sehe verwundert zu ihm, denn ich glaube, ich habe mich eben verhört. Was hat er da gesagt? Geht's noch?!
Sein Atem geht bedächtiger. Der Brustkorb hebt und senkt sich noch deutlich, aber er schnauft nicht mehr. Er entblößt seine Oberzähne und lächelt. Ich mustere sein Gesicht. Dreist. Ja, nach allem, was ich heute erlebt habe, war es dreist.
Kinder! Mit ihm? Verständnislos und ablehnend verziehe ich meinen Mund.
»Spinnst du? Dazu gehören zwei. Und ich bin da sicher nicht mit an Bord.«
Er wendet sein Gesicht nicht geniert ab, zuckt nicht einmal mit einem Muskel.
»Bist du gesprungen?«
»Wäre ich mal besser nicht!«, brause ich laut auf, denn ich finde das ganz schön unverschämt.
»Ich weiß. Mein Fehler. Anders gefragt: Warum glaubst du, bin ich hier, Ella?«
»Weil es hier in der Bahn Sahnetörtchen gibt, um die du wetten kannst?«, antworte ich blitzschnell. Es soll ironisch klingen, zeigt aber vermutlich nur meine Kränkung.
»Sarkasmus ist nur eine von vielen Spielarten möglicher Beleidigungen. Sie soll mir Verachtung entgegenbringen. Sie soll mich bloß stellen. Es zeugt weder von Witz, Charme, oder Humor, Ella.«
»Es wird allerdings auch häufig in Zusammenhang mit Tadel und Missbilligung benutzt«, kontere ich gereizt.
»Ella!«
»Was?!« Selbst wenn er recht hat, warum sollte ich das zugeben? Klar, weiß ich, dass das mit den Sahnetörtchen blöd war. Und klar, warum, wenn ich ihm egal bin, sollte er völlig außer Atem in die Bahn hinterher gesprungen kommen? Die Wette würde diesen Aufwand sicher nicht rechtfertigen.
»Schon klar, weil du so der Vater meiner Kinder wirst!«, höhne ich und sehe an ihm herunter. Er träumt ganz offensichtlich mit offenen Augen.
»Ella!«
»Dann spuck es einfach aus! Bin mal gespannt.« Er wird ja sicher sowieso keine Ruhe geben, bevor er mir hier sein Herz nicht ausgeschüttet hat. Demnach kann er getrost ausspucken, von was er nachts träumt.
Yanick kommt dichter ran. »Auch ich hatte schon Weissagungen bei Kai. An eine erinnere ich mich noch sehr deutlich. Er sagte wortwörtlich: Z wei Kinder. Ein Junge. Dann, später ein Mädchen . Genau so hat er es gesagt.« Er legt eine bedeutungsschwangere Pause ein und sieht mich nun noch aufmerksamer an. Mir scheint, er ist auf Kai hereingefallen. Dabei hatte ich bislang nicht den Eindruck, dass er leichtgläubig ist. Aber Uta ist ja auch so drauf und würde es auch abkaufen. Ich glaube an die Realität.
»Kai wusste heute, was er sagt. Er hat dich an der Nase herumgeführt«, entgegne ich bissig.
»Nein. So etwas macht Kai nicht. Er hat bei deiner Prophezeiung doch Dinge gesagt, die er gar nicht hätte wissen können, oder? Kai manipuliert nicht und er nutzt seine Fähigkeit auch nicht zu Ungunsten von Menschen aus. Ich kenne ihn schon ewig. Und …« Er streckt sich, »alle seine bisherigen Vorhersagen, die ich kenne, trafen zu. Er lügt nicht!«
»Du wirst folglich der Vater meiner Kinder?«, frage ich amüsiert nach.
»Ja.«
»Du glaubst, was er erzählt …?«
»Alles traf bislang zu. Glaubst du etwa, ich bin naiv?« Diese Diskussion kenne ich von Uta. Als überzeugte Esoterikerin kommt da kein realistischer Fakt gegen an.
»Mir egal, was du bist. Ich muss hier raus«, sage ich und stelle mich an die Tür und öffne sie. Yanick ist mir gefolgt und steht nun auf dem Bahnsteig neben mir. Verdattert sehe ich ihn an.
»Wo willst du hin?«, frage ich und bleibe mit verschränkten Armen vor ihm stehen.
»Ich begleite dich.«
»Wohin?«
»Mir egal. Wohin du gehst«, sagt er und sieht sich wissbegierig um. Er hat so eine selbstsichere Art. Wie schon auf dem Hausboot, lässt er sie raushängen.
Ich wirbele herum und gehe los. Habe ich eben ein neues Hündchen. Eines mit Bernsteinaugen.
»Also? Wohin gehen wir?«, fragt Yanick noch einmal.
»Ich gehe meine Sachen holen«, antworte ich. Im schnellen Tempo eile ich über den menschenleeren Bahnsteig. Nachts ist hier wenig los und der Bahnhof wirkt wie ausgestorben.
»Wohnst du hier in der Nähe?«, fragt er interessiert. Mir ist klar, dass er Konversation halten möchte. Wir befinden uns am Berliner Ostkreuz.
Die Schilder, an denen wir vorbeilaufen weisen in Richtung Friedrichshain. Das war früher ein Arbeiterviertel. Heute ist es eher ein angesagtes Quartier in der Mitte von Berlin.
»Nein. Uta wohnt hier. Sie hat meine Sachen in ihrem Auto mitgenommen. Blöde Idee in den Fluss zu springen, um an einer Party teilzunehmen.«
Mit verschränkten Armen stapfe ich mürrisch neben Yanick. Ich versuche mit Blick auf den Fußboden geheftet, den Hundehaufen auf dem Boden auszuweichen. Ein lästiges Problem in so einer großen Stadt. Selbst mit Schuhen.
»Ich fand es keine blöde Idee. Ich fand es furchtlos und souverän. Frei«, sagt er hastig und bleibt stehen. Ich bemerke es und lächele bei frei . Ja. Frei fühlte ich mich.
Er fand mich furchtlos und souverän? Warum hatte er mir das auf der Brücke dann nicht gesagt, als wir miteinander vorgestellt wurden?
»Du lächelst!«, ruft er und kommt schnell näher. Ich drehe mich um, sonst bildet er sich noch etwas ein und gehe ein bisschen zügiger.
Yanick überholt mich und geht jetzt rückwärts vor mir. Er sieht nun aufdringlich in mein Gesicht. Ich kann mein Lächeln noch immer nicht verbergen und er drosselt das Tempo so lange, bis wir stehen bleiben. Gut. Schön, ja. Ich habe gelächelt. Das kommt vor!
Ich verstehe nicht, warum ihn das so verdammt begeistert, denn er sieht mich an, als wäre es ein Weltwunder. Menschen lachen halt manchmal.
»Wenn du auf der Brücke so gewesen wärst wie jetzt. Du hättest vielleicht dein Geburtstagsgeschenk bekommen. Du hättest nichts von der Wette erwähnt, wir hätten Spaß haben können und morgen wäre ich aus deinem Leben verschwunden.«
Er zieht eine Schnute. »Der erste Teil deines Textes hat mir ganz gut gefallen. Der Zweite nicht so. So eine bist du also?«
»So eine bin ich. Genau. Fragt das der, der eine Wette für so etwas eingeht? Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Auch Frauen können sich Männer aufgabeln, wenn sie wollen.«
»Ja. Nur habe ich dich genau genommen aufgegabelt. Vom Steg.«
»Wortklauberei.« Trotzig recke ich meinen Kopf und er kommt dichter. Ich rieche dezentes Parfüm und spüre die Wärme, die von ihm ausgeht.
»Du steckst voller Überraschungen Ella.« Es klingt gut gelaunt und erfolgsverwöhnt. Aber das scheint er zu sein. Und er versteckt es noch nicht einmal.
»Da irrst du. Ich will mich nur nicht festlegen. Und ich mag es nicht, wenn man um mich wettet, wie um ein Stück Vieh.«
Ich versuche, mürrisch zu wirken, doch an seinem Gesicht lese ich, dass es mir nicht geglückt ist. Gut! Dann bin ich eben voller Überraschungen! Ich drängele mich an ihm vorbei, weil ich meinen Weg fortsetzen möchte. Ihm scheint es ja Spaß zu machen.
»Hast du Hunger?«, fragt er mich und fasst mich am Arm an, damit ich stehen bleibe.
»Du willst Zeit schinden?«
»Wenn du es so nennst«, entgegnet er und lacht so verführerisch, dass mir der Kuss von vorhin wieder in den Sinn kommt. Ich bin doch aber auch so eine dumme Pute. Kaum schmachtet mich einer an, der schöne Augen hat, schmelze ich. Himmel, das ist gefährlich.
»Wie nennst du es?«, frage ich vorwitzig und bleibe wieder stehen.
»Kennenlernen.«
»Kennenlernen?«
Ich sehe fassungslos in dieses dreist und hoffnungsvoll blickende Gesicht. Es scheint ihn überhaupt nicht zu beeindrucken, dass er sich um eine Kratzbürste bemüht.
Ich sehe seinem erhobenen Finger nach. Der deutet auf zu einem Döner-Laden, der vis-a-vis liegt. Vor dem Imbiss stehen ein Tisch und vier Stühle. Yanick sieht mit begeisterten Augen zu mir. Er lacht leise, denn ihn scheint mein verdutztes Gesicht zu erheitern. Ist er am Ende doch nett? Ich sehe Yanick an. Er hebt seine dunklen Augenbrauen fragend hoch.
»Kennenlernen?«, fragte ich skeptisch.
Es sind mehr vorsichtige Anteile als ungläubige, die mich zögern lassen.
Einerseits fand ich ihn auf seiner Terrasse anziehend. Er war sehr sympathisch. Jedoch kurz darauf wieder wie am Mittag oberflächlich und versnobt. Also was ist er denn jetzt wirklich?
»Woher weißt du so genau, dass ich das überhaupt nach all dem Scheiß heute Abend womöglich möchte?«, frage ich schnippisch nach.
»Nun«, setzt er an, »eben sagtest du: W enn ich so auf der Brücke gewesen wäre, wie jetzt, hättest du mich vielleicht angefangen zu mögen. Das heißt, doch, du würdest mich vielleicht gerne mögen. Du kennst mich nur noch nicht. Also lernen wir uns kennen. Ist doch logisch.«
»Nein. Ich sagte: Wir hätten Spaß haben können «, verbessere ich ihn, denn ich will bei der Wahrheit bleiben.
»Genau und um miteinander Spaß haben zu können, muss man sich ja ein wenig mögen. Und ich sagte: Das heißt, doch du würdest mich vielleicht gerne mögen. Du kennst mich nur noch nicht. Also lernen wir uns kennen. Ist doch logisch .«
Ich sehe zu Boden, denn er quatscht mich gerade in diesen.
»Quasselst du eigentlich immer so viel, dass es deinem Gegenüber schwerfällt dein Gesagtes überhaupt auf Logik hin zu überprüfen?«
Yanick zieht seine Mundwinkel nach oben und entblößt seine teuren Beißerchen. Da ist es wieder, dieses Lächeln, als hätte er meine Antwort schon vorher gewusst.
»Wenn du mich kennengelernt hast, wirst du dir ein Urteil bilden können. Ich laufe dir bis nach Tokio hinterher, wenn es sein muss. Es sei die Ehre nach den Taten erwiesen .«
»Oh Mann!« Mit weit aufgerissenen Augen drehe ich mich um meine eigene Achse. Ist der gewieft! Jetzt haut er mir das russische Sprichwort um die Ohren und Schwups … stehe ich in Zugzwang.
»Komm, setzt dich! Ich habe Hunger und kann dir so unmöglich bis nach Tokio hinterherlaufen oder klar denken.«
»Und das will ja keiner«, sage ich mit gesenkter Stimme.
»Ich hoffe«, grient er mich offen an. »Ich meinte es mit dem Neustart ohne Scheiß ernst.«
»Also gut.« Von seiner Unbeirrbarkeit ein kleines Bisschen beeindruckt, tippele ich mit meinen nackten Füßen auf die andere Seite der Straße. Ich setze mich auffällig stoffelig auf einen der freien Stühle. Er muss ja nicht sofort merken, dass mir seine Hartnäckigkeit sehr imponiert.
Wenig später essen wir türkische Pizza. Yanick scheint Appetit zu haben. Sein Kinn ist voll Soße getropft, weil er so gierig schlingt.
Ich muss lächeln, denn es erinnert mich an Uta. Sie knabbert aus sehr merkwürdig an meinen Zucchini-Röllchen. Wie ihr sehe ich ihm jetzt erheitert zu.
»An was denkst du?«, fragt er mich und mustert neugierig mein Gesicht. Mir gefällt, wie er mich ansieht. Das liegt sicher an seinen schönen Augen.
Ich kaue meinen Bissen und antworte: »Uta, meine Freundin. Du hast mich eben an sie erinnert. Sie war mit auf dem Steg.«
»Ehrlich gesagt habe ich nur auf dich geachtet«, sagt er und ich stutze. Denkt er etwa, er beeindruckt mich damit? »Wo sind die Flip-Flops hin?«
»Irgendwo im Straßengraben. Ich habe sie entsorgt. Sie waren zu klein, haben gescheuert und mich belastet. Mir egal, ob da Givenchy drauf stand«, antworte ich und kaue.
Yanick lacht mit Essen im Mund laut auf und ich bekomme bei diesem Anblick Angst, dass er sich verschluckt. Er hat ja Manieren oder ihn kümmert es nicht, was ihn letztlich Punkte bringen würde. Spitzbübisch sieht er mich an und ich stimme in sein Lachen ein. Wahrscheinlich ist er doch anders, als vermutet.
»Was machst du beruflich?«, fragt er mich und beißt ein großes Stück ab.
»Ich bin Kindergärtnerin. Und du?«
»Das Übliche. Nachwuchs in Vaters Unternehmen.«
»Das da wäre?« Was kann das schon interessantes sein, denke ich und ahne, dass jetzt irgendetwas kommt, dass mich langweilt.
»Jurist.«
»Gott, wie trocken«, gebe ich gelangweilt von mir. Und dann noch unter den Fittichen vom Vater.
»Davor habe ich ein paar Semester Psychologie studiert. Das war erst trocken. Rechnen, rechnen, rechnen …«
Meine Augen werden schmale Schlitze und er unterbricht seinen Satz. Darum hatte er zum Beispiel das Spielchen mit Ninette durchschaut? Kopfschüttelnd spreche ich meinen Gedanken aus: »Dazu sage ich jetzt mal nichts. Der Schuster hat immer die schlechtesten Leisten …«
»Du hast gesagt, du sagst nichts dazu! Ich will nicht bis an mein Lebensende darüber reden, was ich einmal falsch gemacht habe. Ich bin auch nur ein Mensch. Ja! Es war falsch. Ja, aber jetzt ist auch mal gut!«
Die Serviette fliegt auf den Tisch und er lehnt sich zurück. Jede Bewegung an ihm verrät mir Gereiztheit. Die Augen, die mich ansehen, die Hand, die zur Serviette greift, der Hals, der krampfhaft den Bissen hinunterwürgt. Der Satz wiederholt sich in meinen Kopf als Endlosschleife.
»Bis an dein Lebensende?«
Er schweigt auf meine Frage und beißt in den Rest der türkischen Pizza. Ich straffe meinen Oberkörper und beobachte ihn aufmerksam. Kauend sieht er mir geradeaus in mein Gesicht. Eben hat er sehr viel gesagt und ich habe die Bedeutung verstanden.
Lügner weichen forschenden Blicken aus. Wie in der Bahn zuckt er mit keinem Muskel im Gesicht. Offen, ehrlich, direkt und seltsam vertraut schaut er zu mir, während die Serviette über sein Mund und Kinn fährt. Das ist sein Ernst und ich bekomme kribbelnde Haut, die sich an meinen Schenkeln hocharbeitet. Erstaunt rege ich mich und werde jetzt unsicher.
Genug kennengelernt!
»Ich will zu Uta, bevor sie schläft.«
Ich springe auf und flüchte vor diesem kometenhaften Charmeur. Erst will er Kinder mit mir, dann gesteht er mir beim Essen, dass er bis an sein Lebensende nicht mehr von meiner Seite weichen wird. Der hat es irgendwie eilig. Kommt vorher nicht noch ein Detail? Utas Wohnung ist nicht mehr weit von hier entfernt. Yanick folgt mir.
»Du kommst mit?«, frage ich verblüfft, als er wieder neben ihr her schreitet.
»Wenn es dich stören würde, hättest du es mir sicher gesagt. Ich meine ich habe miterlebt, wie … wehrhaft du sein kannst.«
Ich beuge mich lachend nach hinten. Er ist dreist und witzig auch noch.
»Was ist mit deinem Großvater und dir?«
Jetzt wird er eine Spur zu neugierig.
»Was soll mit ihm gewesen sein? Er war mein Großvater und starb zu früh für mich.«
Yanick stoppt mich, indem er mir den Weg abschneidet. Er stellt sich mit seiner ausgestreckten Hand gegen eine Hauswand. So versperrt er mir den Weg. Mann!
»Was war das, mit dem Herz prüfen und so?«, will er von mir wissen. Er spricht ganz leise. Sicher hat er meine Flucht nicht ignoriert. Aber was reizt ihn nur so?
Ich bleibe abrupt stehen, weil ich nicht mit ihm über meinen Großvater sprechen will. Er hat zudem richtig verstanden, was Kai erraten hatte. Wozu also darüber reden?
»Du kannst mich später analysieren«, sage ich abweisend und drängele mich ruppig an ihm vorbei, um meinen Weg fortzusetzen. Vor einem Altbau bleibe ich stehen und klingele an einem der unzähligen Klingelknöpfe. Mit gesenktem Kopf warte ich, ob Uta sich meldet.
»Hallo?«, ertönt eine verschlafen klingende Uta.
»Uta, hier ist Ella. Ich wollte meine Sachen holen.«
»Komm rauf!«
Oben angekommen, gebe ich ihr schnell einen Wangenkuss.
»Hallo Uta. Ich hole nur flink meine Sachen. Das ist Yanick. Yanick, das ist Uta«, stelle ich beide miteinander vor. Ich beuge mich zu meiner Tasche, die griffbereit im Flur steht. Uta hat nur Augen für meinen Begleiter.
»Hallo Uta«, sagt Yanick lieblich und hebt seine Hand zum Gruß. Mit weit aufgerissenen Augen und heruntergefallener Kinnlade steht sie da und glotzt uns sprachlos an. Es sieht so aus, als schreit sie stumm. Kein Ton ist zu hören. Ich wäre nicht Jahrzehnte mit ihr befreundet, wenn ich nicht wissen würde, was jetzt in ihr vorgeht. Ihre Augen, aus denen die Sensationslust springt, leuchten.
»Danke für die Klamotten. Wir sehen uns auf Arbeit. Dann reden wir«, beruhige ich sie knapp und verabschiede mich.
Sie klappt ihren Unterkiefer wieder hoch. Sie nickt und lächelt verstohlen Yanick an. Ihre Augen gleiten an diesen stattlichen Mann herunter. Ich ahne, über was wir am Montag sprechen werden. Sie will garantiert alle Einzelheiten hören.
Ich laufe bereits die Treppe hinab und höre die Tür von Utas Wohnung zufallen. Unten an der Eingangstür fragt Yanick: »Wohin jetzt?«
Schweigend trabe ich los, bis ich ein Zerren an der Tasche spüre. Ehe ich mich versehen kann, liegt die Tasche in seiner Hand und ich sehe betreten zu ihm. Ich muss mir überlegen, wie ich mit ihm verfahre. Ich schreite langsam weiter. Es ist nicht mehr weit zu mir und ich will mir bis zu meiner Haustür überlegen, was ich mit dem mir zugelaufenen Hündchen mache. Ich kann es dressieren, ihm apportieren beibringen oder wegjagen?
Wir gehen einige Häuserblocks schweigend nebeneinander her. Es sind kaum Menschen unterwegs. Nacht in Berlin. Ab und zu fährt ein Taxi an uns vorbei.
Die Stille mit ihm ist nicht peinlich. Ab und zu sehe ich verstohlen zu Yanick. Ebenso scheu wieder weg. Er scheint noch immer gut gelaunt, obwohl vermutlich der Weg bis Tokio vor ihm liegt. Ich bleibe stehen und muss darüber kurz lachen. Ich krümme mich leicht gebeugt über meinen eigenen Witz.
»Du lächelst wieder«, stellt er amüsiert fest und bleibt ebenfalls stehen.
Ich sehe zu ihm und da ist es wieder. Wir sind allein und mir wird heiß, weil wir uns drehen. Doch ich trete einen Schritt zurück. Es reicht, damit ich wieder logisch denken kann, oder doch nicht?
Wir gelangen an meinem Haus an und ich sehe an der Hauswand hinauf. Bis eben habe ich überlegt, ob ich ihn hoch bitten werde. Doch wenn ich nachdenke, kommen keine Antworten. Also sehe ich ihn an und vermeide ab jetzt das Denken.
Er preist sich nicht an, bettelt nicht, fleht nicht einmal mit seinen Augen, die mich eben schon wieder kirre gemacht haben. Auch er sieht die Hauswand hinauf.
Unschlüssig betrachte ich ihn. Ich will ihn wegschicken, aber irgendwie auch nicht.
Was überwiegt?