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Kapitel 3
ОглавлениеDas Boot legt bald darauf an einem Hausboot in Sichtweite der Brauerei an.
Bis vor drei Jahren war es die älteste Brauerei Berlins. Früher wurde dort eine Fähre betrieben. Auf der anderen Seite des Flusses war, ein viel frequentierter Biergarten.
Der heutige Spreetunnel unterführt die Müggelspree. Er ersetzte die Fähre. Er ist ein arg tropfender, immer kühler und klammer Tunnel.
An den Wochenenden wird er von einer Menge Ausflüglern und Ausflüglern benutzt. Zugleich ist er zu hunderten von Spinnen bewohnt.
Die Natur hat sich über die Jahre die Bucht zurückerobert. Sie ist nun komplett bewaldet. Nur noch kleine Mauerreste sind von der Ausflugsgaststätte übrig. Der Mensch scheint kaum Spuren hinterlassen zu haben.
Bis auf den Schiffsverkehr ist das Hausboot abseits gelegen. Er führt in Sichtweise vorbei, stört jedoch die Idylle überhaupt nicht. Der Anlegeplatz zeigt zu der befahrenen Seite. Dort legen wir im Augenblick an. Wir werden von einem blonden Mann erwartet.
Das Boot legt neben einem kleinen Ruderboot an. Es wackelt wie eine Nussschale auf hoher See, als die Schiffsschraube das Wasser aufwirbelt.
Als das Boot vertäut ist, springt Lisa als Erste auf das Hausboot und begrüßt den dort wartenden Mann stürmisch. Das muss Kai sein. Stutzig werdend beobachte ich es, denn ich bin davon ausgegangen, dass der in den blauen Shorts Lisas Freund ist. Lisa winkt alle zu sich auf das Hausboot hinüber. »Kommt schon!«
Ihr Bruder ist den Gästen behilflich, die sich nicht wagen, auf das Hausboot zu hüpfen. Er reicht allen seine Hand und geleitet sie über den schmalen Holzsteg zu Kai. Der wartet mit Lisa in seinem Arm auf dem Hausboot.
Speziell die Damen nehmen den Service gerne an und stehen Schlange bei Lisas Bruder. Mir entgehen die scheuen Blicke nicht. Die Eine oder Andere schmachtet ihn regelrecht an. Nun hält er mir seine Hand hin und ich erschrecke. Sicher glaubt er, dass ich mich ohne seine Hilfe nicht rüber wage.
Aus Unkonzentriertheit sehe ich auf seine Hand mit den feinen Linien darin hinab. Er hat genau zwischen seinem kleinen Finger und der Herzlinie eine auffällig tiefe Kerbe. Uta, die Handlesen spannend findet, hat mal erwähnt, dass dort an der Hand die Ehelinien liegen.
Ich sehe ihn an. Wie er hier so vor mir steht, überragt er mich um einiges, obwohl ich schon größer als der Durchschnitt der Frauen bin. Auf der Brücke saß er und seine schlanke Figur konnte mir dadurch nicht ins Auge stechen. Umso beeindruckter bin ich nun. Seine Haare schimmern in einem leichten Glanz und locken sich in sanft.
Aber am auffälligsten sind seine Augen. Wie Lisa hat er einen dunklen Rand an der Iris, der mehr als anziehend auf mich wirkt. Es gibt dem Auge eine ungeheure Tiefe.
Ich erstarre zu Stein, als er seinen Kopf leicht dreht und der seitliche Lichteinfall seine Iris erleuchtet. Mir kommt der Bernstein, den ich vor Jahren auf Rügen im Urlaub gegen das Sonnenlicht gehalten hatte in den Sinn.
Der Bernstein, den ich fand, wurde durch Umwelteinflüsse verunreinigt. Genau das machte allerdings den Wert für mich aus.
Was andere als unreinen Bernstein ansahen, war für mich ein kostbarer Schatz. Ich besah ihn mir pausenlos in der Sonne. Diese Farbe war faszinierend.
Ich habe ihn noch immer und er ziert mein Regal.
So in Gedanken kann ich nicht wegsehen, denken, oder handeln. Ich stehe da und nehme wahr.
In den Sarg legte ich etwas hinein und küsste ihre bedeckte Stirn. Der Sarg wurde durch Nägel verschlossen und in die Erde dunkle hinabgelassen …
»Was! Du springst in deinem Bikini ins Wasser, um zum Boot zu schwimmen? Hier hast du Angst, wenn ich dir zum Hausboot rüber helfen will? Ist jetzt nicht wahr, oder?«, sagt er lachend und präsentiert makellose Zähne bis in die hinterste Reihe.
Er reißt mich aus meinen Erinnerungen. Ich werde ärgerlich. Es ist seine Art. Zum zweiten Mal an diesem Tag kommt er mir mit einem Spruch, der mich in einer Weise ungehalten macht, die ich an mir nicht kenne. Sie ist mir neu.
Erst begafft er mich auf der Brücke und äußert sich gleichzeitig abfällig. Dann kommt er mir jetzt hier mit diesem arroganten Gehabe. Mein Hirn schaltet automatisch auf Kontra um.
»Muss ja dann wohl daran liegen, dass du mir vorhin so mega sympathisch vorgekommen bist. Bin halt total in dich verknallt und trau mich deswegen nicht. Ups, jetzt hab ich mich verraten!« Schnell hebe ich meine Hand vor dem Mund und tue so, als sei mir eben ein Geheimnis entfleucht. Dabei schauen meine Augen zynisch zu ihm herauf.
Zweifelsfrei ist er es gewöhnt, dass alle ihn anhimmeln und nun mache ich mich darüber lustig. Spott ist ihm sicher nicht geläufig.
»Was bist du doch für ein Miststück!«, sagt er leise und leicht nach vorn gebeugt. Ich sehe in sein Gesicht und suche blind seine Hand, die er gesenkt hat, als er näher getreten war. Nun halte ich sie so, als wolle er mir über den schmalen Steg zum Hausboot behilflich sein. Verwundert blickt er von seiner Hand in mein Gesicht.
»Vielen Dank für die Blumen. Jetzt hast du es wohlauf deinem Bildschirm, was? Ich stamme aus dem gleichen Gestüt wie Ninette«, durchschneide ich scharfzüngig seine Gedanken und hoffe, dass meine Worte sitzen.
Zuckersüß lächele ich und es muss klar zu erkennen sein, dass es aufgesetzt ist. »Darum mag mich Ninette ja auch so«, füge ich an.
Wie beabsichtigt, ist er sprachlos. Mit seiner Hand in meiner steige ich über den schmalen Steg und springe Kai und Lisa vor die Füße. Beide sehen mich freundlich lächelnd an. Kai nimmt meine Hand zur Begrüßung und bekommt plötzlich große Augen. »Du musst die Springerin sein!« Seine grauen Augen, denen alle Farbe zu fehlen scheint, sehen dabei kurz zu Yanick auf, der mich noch immer irritiert anstarrt.
»Ja, sie heißt Ella«, erklärt ihm Lisa und Kai nickt aufgeregt.
»Willkommen!« Er beugt sich galant zu meiner Hand und küsst sie, nicht ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.
Ich schätze ihn auf dreißig. Er trägt einen gepflegten Drei-Tage-Bart und ist komplett in Leinen gekleidet. Ganz schlicht fügt er sich so in die gemütliche Atmosphäre der Umgebung ein. Anders ausgedrückt, er ist die gemütliche Atmosphäre.
»Geh zu den anderen Gästen. Wir begrüßen nur noch schnell den Rest. Setz dich bitte!«
Er deutet auf eine Terrasse, auf der bereits die meisten Gäste versammelt sind. Sie unterhalten sich heiter und einige höre ich bis hier lachen. Es herrscht eine sehr gelöste Stimmung. Jeder kennt sich. Zumindest habe ich den Eindruck.
Ich nicke Kai zu und gehe mir ebenfalls einen Platz suchen.
Die Terrasse ist großzügig angelegt. Von hier wirkt sie sogar noch größer, als das gesamte Hausboot zu sein scheint. Lounge-Möbel auf denen Kissen liegen sind farblich passend gewählt. Es wirkt natürlich und leger. Ich komme mir vor, als wäre ich auf einer Restaurantinsel gelandet, nicht auf einem Hausboot. Gut. So viele Hausboote habe ich, ja in meinem Leben noch nicht zu Gesicht bekommen.
Ich wuchs wie gesagt sehr karg auf. Das hier ist für mich purer Luxus. Den bin ich nicht gewöhnt.
Als, wie versprochen, alle Gäste auf dem Hausboot begrüßt sind, kommen Lisa und Kai Arm in Arm auf die Terrasse. Sie wirken sehr vertraut und lächeln sich an, als Lisa das Wort an alle richtet.
»Aufgepasst, ihr Lieben!«, ruft sie in die plappernde Menge hinein.
Die Menge verstummt und ich weiß, dass sie geübt und gewohnt ist vor vielen Menschen zu sprechen. Alle Köpfe drehen sich zu ihr um.
»Kai hat uns Häppchen vorbereitet. Wer also Hunger hat und einen kleinen Imbiss mag, greift bitte zu.«
Ich denke mir ihren kleinen Bikini weg. Dann stelle ich sie mir mit sorgsamer Hochsteckfrisur in einem elegant geschnittenen Kleid vor. Sie ist sich auf jeden Fall ihrer Auswirkung bewusst. Das ist angeboren, geübt, gelebt und unterscheidet sie von der breiten Masse. Der Teufel macht immer auf den größten Haufen. Allerdings muss ich sagen, dass Lisa überhaupt nicht wie eine verwöhnte Göre wirkt. Selbstbewusst ja, arrogant nein.
Kai und Yanick öffnen nun die bodentiefen Fenster und schieben sie zur Seite. Hinter den Fenstern öffnet sich ein Wohnzimmer, in dem ein sehr großes Buffet aufgebaut wurde. Der Wohnraum wird so Teil der Terrasse und umgekehrt. Ein Sommer hier muss himmlisch sein. Luxus in der Natur.
Das Buffet sieht erstklassig aus und wirkt wie eine kulinarische Offenbarung. Der Tisch ist mit einer Menge Hingabe angerichtet worden. Dieses Buffet einen kleinen Happen zu nennen gleicht einer Beleidigung und ist zugleich eine Ohrfeige für die Köche. Eindeutig ist zu erkennen, dass an nichts gespart wurde.
Ich fühle mich wie in einem Märchen. Ein schmuddeliges, armes Mädchen darf für einen Tag ein völlig anderes Leben führen.
Wie spät ist es? Ich will wissen, wie viel Zeit mir noch bleibt, bis die Pferde wieder zu Mäusen werden. Ich bin Aschenputtel. Kam die sich genauso komisch vor wie ich mir?
Die Gäste strömen murmelnd auf das Abendessen zu. Sie verteilen sich um die kulinarischen Köstlichkeiten, die mit Liebe zum Detail angerichtet wurden. Ich schaue über einige Schultern und finde es fast zu Schade etwas zu entnehmen und es sich dann schnöde in den Mund zu schieben. Hätte ich mein Handy dabei, würde ich Uta jetzt ein Foto schicken. Sicher würde sie genau wie ich Bauklötze über diese Pracht staunen. Wo sie doch schon bei meinen Röllchen ausflippt. Die sind glatt lächerlich.
Der Mann in den blauen Shorts erscheint neben mir und lächelt mich freundlich an. Es ist der, der Lisa vorhin auf dem Boot geküsst hatte.
»Entschuldige bitte, ich habe leider deinen Namen vergessen«, begründe ich ihm, dass ich ihn nicht mit seinem Namen ansprechen kann. Er lächelt. Wie ich wartet er darauf, einen Blick auf die Speisen zu werfen. Das Gedrängel ist dicht. Nur langsam lichten sich die Reihen.
Jetzt haben wie einen Spalt und ich betrachte mir das Angebot aus der Nähe.
»Schon gut. Bei so vielen neuen Namen kein Wunder. Ich bin Johannes, aber alle nennen mich Jo.«, sagt er.
»Ja, extrem viele neue Namen«, lächele ich. »Ihr kennt euch sicher alle untereinander.«
Ich bin dankbar, dass er mir meine Vergesslichkeit nicht nachträgt. Es waren einfach zu viele Namen in zu kurzer Zeit.
»Ich habe jetzt echt Hunger«, sagt Jo, hält sich seinen Magen und verschafft sich einen Überblick über das reichliche Essensangebot. Er deutet auf einen Teller und sieht mich an: »Hier, probiere das! Eigentlich musst du von allem probieren. Kai hat in der Bölschestraße ein angesagtes Restaurant. Alles auf dem Tisch kommt von dort. Sein Essen ist schlicht und einfach köstlich.«
Gemeinsam gehen wir das Buffet ab. Wir füllen unsere Teller und plaudern miteinander.
Ich lausche Jos Erklärungen über Speisen, die mir fremd sind. Ich stelle Fragen und zu guter Letzt ist mein Teller randvoll. Wir suchen uns einen freien Sitzplatz, setzen uns und essen.
Ich schnappe auf, dass Lisa heute dreißig wird. Sie feiert einen runden Geburtstag.
Dreißig ist für viele Frauen eine mystische Zahl. Entweder löst die Panik aus oder Trübsal.
Ich sehe kurz zu ihr. Danach schweift mein Blick über die Terrasse.
Eine ungewohnte Welt. Ich fühle mich ein wenig fremd. Niemand ist unhöflich, niemand sieht mich schief an, aber wäre ich nicht im Bikini, wäre glasklar, dass ich anders bin.
Im Hintergrund läuft dezent Musik. Einige Gäste tanzen auf einer kleinen Tanzfläche. Die Atmosphäre ist wie die in einer gepflegten Bar in der Innenstadt.
Eine spezielle Party, auf der das Leben mit Sorgen, Geldnöten und Wirren des Alltages keine Rolle zu spielen scheint.
»Hmhm, wirklich. Du hast recht. Es ist kaum zu glauben!«, sage ich die delikat gefüllten Schinken-Röllchen in meiner erhobenen Hand betrachtend.
Sie sind paniert und mit einem würzigen, schmelzenden Käse umhüllt. Die Gewürze passen dabei wahnsinnig gut zum Käse.
Das müsste Uta mal probieren. Ihre Schaltzentrale wäre ganz gewiss das Buffet. Schade, dass sie nicht hier ist und diesen Nachmittag mit mir teilen kann. Wir hätten einen Wahnsinnsspaß. Ich fingere mir als Nächstes den Happen mit dem Steinpilzpesto und würde am liebsten in die Waagerechte sinken. Göttlich! Jo bemerkt meine Verzückung und grinst breit kauend.
Ich folge seinen Augen zu Lisa, die bei Kai steht und vertraut mit ihm flirtet.
»Sind sie ein Paar?«, erkundige ich mich bei Jo, der auf seinen Teller sieht.
»Nein. Wem ihr Herz gehört ist nicht leicht zu durchschauen. Also jedenfalls für mich«, antwortet er und guckt mich an.
»Vorhin auf dem Boot dachte ich du und sie …«
»Freie Liebe. Das volle sechziger Jahre Programm«, unterbricht er mich in meinem Satz.
»Das ist doch kein Konzept, das aus den sechziger Jahren stammt«, widerspreche ich. »Schon lange vorher setzten sich Frauen für die gesellschaftlich akzeptierte Trennung von Ehe und Sexualität ein. Es wurde der Masse leider erst durch die Pille möglich. In den sechziger Jahren.«
»Du kennst dich aber aus.«
»Weil es ein interessantes Thema ist. Vor allen, wie viel Arbeit uns noch für dieselben Rechte bevorsteht.«
»Bist du eine Emanze?«
»Wenn du damit meinst, dass sexuelle Übergriffe als solche geahndet werden, ohne dass mehr als ein Nein dazu gehört. Für gleiche Arbeit der gleiche Lohn gelten sollte, ja. Dann fasse ich jetzt mal Emanze als Kompliment auf. Nimm es mir nicht übel, aber solche Sprüche zeigen doch, wie geduldig Papier ist. Auch Gesetzestexte. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Pah!«
»Schon gut!«, lacht Jo amüsiert auf. »Ich bin einer von der guten Sorte.«
»Scheint so, denn sonst würdest du ja Lisas Vorlieben ablehnen. Damit auch sie«, necke ich ihn.
Er sieht verträumt zu Lisa, die sich lachend in Kais Arm schmiegt. »Sie ist einfach unglaublich. Als Frau. Lisa ist die Verrückte von den beiden und war schon immer eine kleine Rebellin. Weißt du, Lisa bindet sich nicht, sie will leben. Und ich will sie genau so, wie sie ist.« Er lächelt geistesabwesend und beißt von einer Käsekartoffel ab.
»Wie lange kennst du die beiden?«
»Lisa und Yanick? Schon ne gefühlte Ewigkeit.«
»Ninette mag wohl keiner hier, außer Lisas Bruder?«, horche ich ihn dezent aus.
»Ich glaube, selbst der nicht mal. Schau dir das doch an«, sagt er abfällig und nickt mit seinem Kopf in die Richtung, in der Ninette steht. Schmollend lehnt sie an der Hauswand. Sie starrt zu Yanick, der sich mit Lisa auf der Tanzfläche zu einem langsamen Merengue dreht. Elegant bewegen sich Bruder und Schwester. Seine Drehungen führt er geschickt aus und er baut gekonnt Salsa-Schritte ein, wenn Lisa kurz von ihm getrennt tanzt. Sie scheinen gut zu harmonieren und lächeln glücklich. Sicher tanzen sie oft zusammen und haben Spaß daran. Lisa fädelt sich unter seinem Arm durch und bewegt sich erotisch mit der Hüfte, als die nächste Drehung durch Yanick erfolgt. Das Lied ist zu Ende. Er dreht sie schnell, während er ihre Haare freundschaftlich küsst. Lisa lacht laut hörbar auf und stupst ihn in seine Seite.
»Sie merkt das nur nicht«, holt Jo mich aus meinen Beobachtungen und sieht angewidert zu Ninette hinüber.
»Ich habe sie in Aktion erlebt und konnte sie auf Anhieb nicht ausstehen!«, gestehe ich leise und er nickt mir zu. Ich konzentriere mich auf meinen Teller, der noch immer mit vielen Köstlichkeiten beladen ist. Genüsslich falte ich etwas Bündner Trockenfleisch und schiebe es in meinem Mund, wo es leicht säuerlich auf meiner Zunge prickelt und dann schmilzt.
»Lisas Bruder war irgendwie auch so …«
»Nicky? Ach, der ist schon in Ordnung. Ella?«, unterbricht mich Jo. »Nachher, wenn alle gegangen sind, kannst du gerne mit Kai, Lisa und mir …, wenn du magst?«
Der prüfende Blick auf Jo sagt mir, dass es sein völliger Ernst ist.
»Freie Liebe machen? Tut mir leid Jo, aber so bin ich nicht veranlagt. Ich bin da eher die Monogame, weißt du? Eher so zu zweit, mit heruntergelassenen Rollos, Kerze und romantischer Musik. Ganz furchtbar spießig und vor allem mit Herz und Seele«, antworte ich schnell, aber ehrlich.
»Na, dann eben nur wir beide. Und ich treibe schon irgendwo eine romantische Kerze für dein Herz auf«, schlägt er mir eifrig und mit großen Augen vor. Sein Angebot ist ernst.
»Jo. Wirklich. Ich mag Romantik und das ganze Pipapo. Ich glaube wirklich nicht, dass das eine gute Idee ist. Da regt sich nichts bei mir.«
»Aber bei mir.«
Ich lache laut. Lisa nähert sich uns.
»Na, ihr Beiden? Schmeckt es euch? Braucht ihr noch etwas?«, will sie wissen, setzt sich auf den Boden vor uns und guckt abwechselnd von Jo zu mir.
»Lisa, du süße Maus«, begrüßt Jo sie und beugt sich zu ihr herunter. Sein Mund landet auf ihren schön geformten Lippen.
»Eben wollte er mir eine Kerze anzünden, damit ich romantisch werden kann«, unterbreche ich beide in ihrem Zungenkuss und ziehe ihre Blicke auf mich. Mit großen, leuchtenden Augen beäugt Lisa mich und wandert an meinem Zopf entlang. Der hängt über meine Schulter nach vorne.
»Wie schöne Haare du hast. Darf ich mal anfassen?«, fragt Lisa deutlich interessiert.
»Klar.«
Sie greift an mein Zopfende und fährt mit ihren Fingern durch die Haarspitzen, als sei es edelste Seide.
»Die sind so weich«, schwärmt sie und kitzelt sich damit ihre Wange. Sie kichert und wiederholt das bei Jo, der lachend seinen Kopf dreht. Ich sehe auf und blicke direkt in die Augen von Yanick, der in einer kleinen Gruppe steht und uns beobachtet. Sauertöpfisch sind seine Augenbrauen zusammengezogen. Sofort wendet er sich ab.
Lisa legt fasziniert den langen Zopf auf meinem Oberschenkel ab und fährt mit ihrer flachen Hand darüber. Damit streichelt sie nicht nur mein Zopfende, auch mich. Ich sehe zu ihr hinunter und sie schlägt ihre Lieder zu mir auf. Es kommt mir wie ein Anliegen vor und sicher gibt es wenige Menschen, die ihr etwas ausschlagen können.
»So wundervoll, wie alles an dir«, sagt sie leise in meine Augen blickend. »Magst du noch bleiben, wenn nachher alle gegangen sind? Kai, Jo und ich feiern noch ein bisschen allein weiter. Gegen eine zweite Frau haben sie bestimmt nichts einzuwenden.«
»Jo hat bereits erwähnt, dass das möglich wäre.«
»Hast du das?«, fragt Lisa verzückt an Jo gewandt, der breit grinsend nickt.
»Du weißt genau, was ich mag, nicht wahr?«, sie zieht ihn zu sich.
Wieder an mich gewandt beschwört sie mich mit treuen Hundeaugen: »Ich habe doch heute meinen Wunsch-Geburtstag und du bist doch mein Geschenk.«
So, jetzt sagt sie, was sie die ganze Zeit gedacht hat. Ich muss meine Grenze ziehen.
»Ich weiß, dass du heute Geburtstag hast. Diese Wunsch-Geburtstags-Abmachung gilt aber nicht zwischen uns. Und Jo habe ich auch schon erklärt, dass meine Ambitionen in monogame Richtungen gehen und ausschließlich beim männlichen Geschlecht liegen. Da ist leider nichts zu machen.«
Der bekümmerte Blick von Lisa wandert zu Jo. Ihr Gesicht wird lang. »Schade, dabei bin ich so verliebt in dich.«
»In wen bist du mal nicht verliebt, Lisa?«, fragt Jo sie aufheiternd.
»In Ninette«, antworte ich, an die Person denkend, die mir spontan in den Sinn kommt. Beide sehen mich an. Gemeinsam prusten wir laut los und verstummen erst nach Minuten.
»Die zählt nicht. Die mag überhaupt niemand«, gluckst Jo und verschluckt sich fast beim Trinken.
»Komm Jo, tanz mit mir! Und du überlegst es dir noch mal, ja? Bitte!«
Verneinend schüttele ich mit dem Kopf und wende mich wieder meinem Teller zu. Lisa tanzt mit Jo. Kauend beobachte ich diese wundervolle Frau, die Glück hat, in einer Zeit geboren zu sein, in der sie ihre sexuellen Freiheiten voll ausschöpfen kann. Wie ein Flummi hüpft sie um Jo, der Mühe hat mit ihrer Energie und Lebensfreude Schritt zu halten.