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VORWORT
ОглавлениеDas allgemeine Interesse an den historischen Ubergangsepochen und Krisenzeiten ist seit den Tagen Jacob Burckhardts beträchtlich gewachsen. Umfang und Qualität der erhaltenen Geschichtsquellen wie Intensität und Dichte der neueren Forschung, aber auch Gegenwartsimpulse haben in gleicher Weise dazu beigetragen, daß Krise und Untergang der Römischen Republik im Mittelpunkt einer lebhaften wissenschaftlichen Diskussion stehen und zu immer neuen Analysen herausfordern. Dabei tritt freilich nicht nur eine irritierende Zersplitterung der Einzelforschung zutage, sondern auch der Trend, die Ereignisgeschichte selbst, den kohärenten Ablauf des historischen Prozesses in allen Bereichen, zu vernachlässigen und sogleich die Abstraktion, beispielsweise der Theorie der sogenannten Römischen Revolution, anzustreben.
Vielleicht ist es erlaubt, die Historiker, die so entschieden auf Abstraktion drängen, auf den elementaren Unterschied ihrer eigenen Situation — und derjenigen ihrer Leser — gegenüber jener des 19. Jahrhunderts aufmerksam zu machen. Die Ereignisgeschichte wurde seinerzeit „überwunden“ von Gelehrten, die sie auf dem Wissensstand ihrer Zeit beherrschten. Heute ist dagegen sehr häufig zu beobachten, daß lediglich Theoreme mit „Empirie“ aufgefüllt werden oder daß erst dann, wenn die voreilig fixierte, ungeprüft hingenommene und kritiklos weitergegebene Abstraktion in die Sackgasse führte, Ereignisse und Verhältnisse selbst näher untersucht werden. Dabei könnte gerade die ältere sowjetrussische Forschung lehren, wohin man gelangt, wenn Fakten vernachlässigt und historische Quellen nicht mehr berücksichtigt werden.
Hier wird bewußt ein anderer Weg gewählt. Das Fundament dieses Buches bildet eine neue Gesamtdarstellung des historischen Prozesses zwischen 200 und 30 v. Chr., in die Analysen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und geistigen Entwicklung integriert sind. Erst alle diese Elemente zusammen erlauben es, Wechselwirkungen, Verlauf und Resultate der Epoche als Ganzes zu erfassen und umfassend zu bewerten. Daraus sind Abstraktionen und Reflexionen erwachsen, stimuliert gewiß auch durch Forschungsstand und Problematik der eigenen Zeit. Der Verfasser hat sich darüber hinaus bemüht, wenigstens an einzelnen Knotenpunkten der Gesamtentwicklung die Dimension der Wissenschaftsgeschichte zu berücksichtigen, charakteristische Wertungen der älteren Geschichtsschreibung aufzunehmen, die nicht in Vergessenheit geraten sollten.
Neben der hier gewählten Methode, der Verbindung von Darstellung, Analyse, Reflexion und Wissenschaftsgeschichte, bedürfen auch die Perspektiven und Proportionen des Werks einer Erläuterung. Selbstverständlich stehen bei diesem Thema die Vorgänge in der Stadt Rom und in Italien im Mittelpunkt. Der in diesem Zeitraum sich vollziehende Aufstieg der Römischen Republik zur Weltmacht des antiken Mittelmeerraums hat indessen zur Folge, daß auch außeritalische Entwicklungen miteinzubeziehen waren: der Niedergang der hellenistischen Staatenwelt, die Machtbildung Mithradates’ VI. von Pontos, Kimbernzug und spätjüdische Geschichte beispielsweise mußten in diesem Rahmen zur Sprache kommen. Andererseits waren bei der Darstellung der Römischen Geschichte gewisse Disproportionen unvermeidlich. Die Überlieferung bietet nun einmal für ganze Jahrzehnte nur wenige verläßliche Nachrichten, während sie für andere Jahre derselben Epoche in besonders dichter Konzentration vorliegt. Da der Verfasser bestrebt war, die Überlieferung immer wieder selbst vorzuführen, wird dieser Befund wohl noch stärker fühlbar.
Schließlich sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses Buch nicht an die Spezialforscher adressiert ist. Die viri eruditissimi werden hier nichts entdecken, was sie nicht ohnehin schon kennen. Die Darstellung wartet auch weder mit gewollt nonkonformistischen Wertungen noch mit dem Glasperlenspiel einer eigenen Begrifflichkeit auf. Sie möchte vielmehr in erster Linie den historisch allgemein Interessierten, nicht zuletzt den Studierenden, die erforderlichen Informationen vermitteln und zu einer neuen Vergegenwärtigung einer der wichtigsten Epochen der Römischen Geschichte anleiten.
Für die Synthese seiner Darstellung hat der Verfasser nicht nur viele Anregungen älterer und neuerer Forscher aufgenommen, sondern auch solche seiner Marburger Kollegen, Mitarbeiter und Hörer. Ihnen allen weiß er sich dankbar verbunden und empfindet es als wohl schönste Genugtuung eines Hochschullehrers, daß er gezwungen ist, mit den Arbeiten der eigenen Schüler zu konkurrieren. Wie die ersten Auflagen dieses Buches (1979, 1984, 1993) zeigten, dürfte dies gelungen sein. In den Neuauflagen wurde der Text jeweils durchgesehen, die bibliographischen Angaben zum Forschungsstand erneuert und erweitert. Letzteres gilt auch für diese Edition: Während die Gesamtkonzeption beibehalten werden konnte, ist besonderer Wert darauf gelegt worden, die wichtigsten Forschungen des letzten Jahrzehnts zu vermitteln. Der „Nachtrag (2000)“ folgt dabei der Disposition der „Bibliographischen Hinweise“ (S. 477ff.). Er beschränkt sich freilich notwendig auf die größeren Werke und wesentlichen Monographien; Aufsätze konnten nur in Ausnahmefällen aufgenommen werden. Sie werden indessen durch die erwähnten neueren Handbücher und Hilfsmittel erschlossen.
Der Verfasser ist Frau A. Schneider, der früheren bewährten Sekretärin des Fachgebietes Alte Geschichte der Philipps-Universität, für ihre wertvolle Hilfe bei der Erstellung der Satzvorlage dankbar, Helmut Neuhaus für Entwurf und Ausführung der Kartenskizzen, B. Wichter für die kritische Durchsicht des Textteils, V Losemann für vielfältige Unterstützung, nicht zuletzt der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, die das Werk einst unter J. Bauer übernahm und nun die Aktualisierung ermöglichte.
Marburg/Lahn, Juni 1999 | Karl Christ |