Читать книгу Krise und Untergang der römischen Republik - Karl Christ - Страница 9
Frühe und Späte Republik
ОглавлениеGehen wir von der Wirtschaftsstruktur aus, so bleibt in der frühen Republik eine weitgehende agrarische Selbstversorgung, die Subsistenzwirtschaft, vorherrschend. Der Anteil der Sklaven an der Produktion ist gering, kennzeichnend vielmehr die sogenannte patriarchalische Form der Sklaverei, das heißt die Integration einzelner Sklaven in die Hauswirtschaft. Der Radius des Handels war in der Regel beschränkt, Ansätze der Geldwirtschaft treten erst seit dem Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. und zunächst in sehr rudimentären Formen auf. Ihre Intensivierung und volle Ausbildung erfolgt erst im Laufe des 3. Jahrhunderts v. Chr., und in der wiederholten Neuordnung des römischen Währungssystems finden gerade die Krisen der Punischen Kriege einen sehr bezeichnenden Niederschlag.
Die späte Republik weist in diesen Feldern dagegen völlig verschiedene Strukturen auf. Gewiß hält sich auch jetzt noch in vielen Landschaften Italiens der agrarische Kleinbetrieb, wohl in größerem Umfang, als dies die Analytiker gelegentlich zur Kenntnis nehmen, aber die systematische Restauration der alten Wirtschaftsordnung konnte, nach den weitflächigen Zerstörungshorizonten gerade des 2. Punischen Krieges in Italien und unter den veränderten Bedingungen des 2. Jahrhunderts v. Chr., nicht mehr gelingen. Einerseits nahm nun die Weidewirtschaft beträchtlich zu, andererseits dehnten sich die Zellen der „Villenwirtschaft“ immer weiter aus, damit eine durch Spezialisierung und Rationalisierung überlegene, marktbezogene Wirtschaftsform, in der sich die alte Führungsschicht deswegen besonders stark engagieren konnte, weil ihr dafür sowohl die notwendigen Kapitalien als auch die erforderlichen Arbeitskräfte zur Verfügung standen.
Denn erst jetzt kann man in einzelnen Regionen Siziliens, Unteritaliens und Etruriens von einer „Sklavenhalterwirtschaft“ in dem Sinne sprechen, daß auf den großen Weideflächen Dutzende, in den einzelnen Landgütern ebenfalls jeweils bis zu 2 oder 3 Dutzend Sklaven eingesetzt wurden. Tausende von Kriegsgefangenen und ein systematisch organisierter Sklavenmarkt erhöhten fortlaufend die Gesamtzahl der im Produktionsprozeß befindlichen Sklaven, wobei freilich im agrarischen Sektor, im Handwerk und bei den Haussklaven jeweils völlig verschiedenartige Arbeitsbedingungen bestanden.
Im Bereich der Wirtschaft kommen zur Zeit der späten Republik noch zwei weitere, neue Faktoren hinzu: Einmal verdichtete sich nun die Verflechtung der italischen Wirtschaft in jene des gesamtmediterranen Wirtschaftsraumes in zunehmendem Maße, zum andern wurde die Eigengesetzlichkeit der voll entwickelten Geldwirtschaft mit den Möglichkeiten der Kapitalkonzentration und des Zinswuchers rasch fühlbar. Neue, wirtschaftlich aktive Gruppen kristallisierten sich heraus, zugleich boten Kriegführung und Provinzialverwaltung den Angehörigen der römischen Führungsschicht die Möglichkeit zur Beschaffung jener beträchtlichen Geldmittel, ohne die eine politische Karriere in Rom jetzt in der Regel nicht mehr möglich war.
Auch für die Bereiche der äußeren Machtbildung, der äußeren Politik und der Organisation des römischen Imperiums ist ein starker Kontrast in den Erscheinungsformen der frühen und der späten Republik festzustellen. Bis zum 2. Punischen Krieg waren Italien und dessen unmittelbares Vorfeld mit dem römischen Machtbereich identisch. Dieser, in sich relativ geschlossene Raum konnte in den abgestuften Rechtsformen der römisch-italischen Bundesgenossenschaft organisiert und beherrscht werden. Römische und latinische Kolonien reproduzierten fort und fort die gesellschaftliche und wirtschaftliche Basis der bevorrechtigten cives Romani und ihrer latinischen Bundesgenossen, ihr Netz sicherte zugleich die Herrschaft der Römischen Republik militärisch und politisch ab.
Im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. hatte Rom nun den Preis für sein immer weiter ausgedehntes Engagement zu bezahlen. Die Interventionen in Spanien, Griechenland, Nordafrika und Kleinasien führten alle Versuche ad absurdum, die römische Beherrschung jener Räume lediglich mit den mehr indirekten Mitteln einer Hegemonie aufrechtzuerhalten. Rom mußte schließlich weite Territorien in die unmittelbare Provinzialverwaltung übernehmen, eine administrative und politische Aufgabe, die mit dem Instrumentarium eines immer noch aristokratisch geführten Stadtstaates nicht mehr zu lösen war. Der rasche Wechsel der Statthalter verhinderte kontinuierliche Planungen ebenso wie die Konsolidierung und Effizienz der Verwaltung, die in den Provinzen lange Zeit ganz offen lediglich die praedia, die Ausbeutungsobjekte des römischen Volkes, sprich seiner führenden Schicht, sah. Die Formen der italischen Bundesgenossenschaft ließen sich auf diese Räume erst recht nicht mehr übertragen, und da die römischen Bundesgenossen zwar immer noch in erheblichem Ausmaß an den Einsätzen, dagegen nicht mehr am Gewinn der römischen Expansion beteiligt waren, wurde die Bundesgenossenfrage zu einem neuen Problem der römischen Herrschaftsstruktur.
Die machtpolitisch vielleicht auf den ersten Blick so imponierende Ausweitung der römischen Herrschaft im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. darf zudem nicht den Blick dafür verstellen, welche Belastungen, Konsequenzen und Rückwirkungen sich hieraus für die alte staatstragende Schicht der freien römischen Vollbürger, das heißt der Kleinbauern und Handwerker, ergaben. Nicht die großen, massierten Feldzüge im hellenistischen Osten oder in Nordafrika, sondern die jähre-, ja jahrzehntelangen Einsätze in Spanien haben das italische Bauerntum paralysiert, waren doch schon allein die längere Abwesenheit, Krankheit oder schwerere Verwundung des Eigentümers eines Kleinbetriebes häufig identisch mit dem Ruin seines Besitzes. Gleichzeitig wurde auch hier die Führungsschicht korrumpiert. Nach den Erfahrungen unserer Zeit dürfte es einleuchten, daß eine Großmacht auch an den peripheren Problemen eines kolonialen Kriegsschauplatzes scheitern kann, in dem ihre militärische Überlegenheit nur bedingt zum Einsatz zu bringen ist und ihre skrupellose Kriegführung die tiefsten moralischen und psychologischen Reaktionen auf das Mutterland nach sich zieht, schließlich fundamentale Voraussetzungen des Selbstverständnisses der Großmacht in Frage stellt.
Kontinuität und Radien des militärischen Einsatzes zogen in der Zeit der späten Republik auch eine tiefgreifende Veränderung der Heeresverfassung nach sich, diese wiederum eine solche der gesamten politischen Struktur. Hatte sich die römische Armee bisher aus einer Bürgermiliz rekrutiert, die von meist alljährlich wechselnden Kommandeuren befehligt wurde, so forderten die militärischen Aufgaben des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. längerfristig dienende Verbände, damit die Erweiterung der Rekrutierungsbasis in der römischen Gesellschaft, ebenso wie die Übertragung langfristiger Befehlsgewalt an militärische Experten oder an Politiker, von denen eine Mobilisierung der Verbündeten auf dem speziellen Kriegsschauplatz zu erhoffen war.
Wichtiger als die militärtechnischen Konsequenzen, die diese Veränderung nach sich zog, waren jedoch ihre sozialen und politischen Auswirkungen. Denn sie führten alsbald zur Überlagerung und Auflösung jener Klientelverhältnisse, die bislang Gesellschaft wie Politik der Römischen Republik entscheidend strukturiert hatten. Das wechselseitige Bindungsverhältnis zwischen den Angehörigen der römischen Führungsschicht, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Macht, ihrer politischen Einflußmöglichkeiten, ihrer Kompetenz wie ihres Sozialprestiges in der Lage waren, in wirtschaftlichen, juristischen und sonstigen Notfällen eine wirksame Unterstützung zu gewähren oder dem Schwächeren zu seinem Recht zu verhelfen, und den von ihnen abhängigen Personengruppen war ursprünglich die bedeutsamste gesellschaftliche und politische Grundlinie innerhalb des römischen Staates gewesen. Da dieses Bindungsverhältnis auch auf die außeritalischen Gebiete der Republik übertragen wurde, kam es zunächst zu einer beträchtlichen Ausweitung des Einflusses einzelner Geschlechter der römischen Aristokratie, die durchaus bedenkliche Entwicklungsmöglichkeiten in sich barg und zumindest das System gleichrangiger rivalisierender Kräfte innerhalb der Führungsschicht allein schon durch ihre Dimensionen zu sprengen drohte.
Allein die entscheidende Veränderung vollzog sich an anderer Stelle und in anderen Zusammenhängen. Den Inhabern der großen Heereskommandos wuchsen in den längerfristig dienenden Verbänden „Heeresgefolgschaften“ zu. In der Praxis erhielt die Beziehung des Soldaten zu „seinem“ Feldherrn, der sich auch um seine Versorgung zu kümmern hatte, Vorrang gegenüber den traditionellen Bindungen an den alten Patron seiner Heimat, Vorrang erst recht gegenüber den abstrakten und unpersönlichen Bindungen an Senat und Volk, Staat und Republik. Der politische Einsatz — und Mißbrauch — der Heeresklientel mußte schon deshalb unumgänglich werden, weil diese existentiell begründet war. In dieser Heeresklientel zeichnete sich damit auch jener Machtfaktor ab, der über das Schicksal der Republik entscheiden sollte.
Der Kontrast zwischen früher und später Republik muß deshalb so stark betont werden, weil, rein äußerlich betrachtet, in Verfassungsnormen und Rechtskategorien die Kontinuität überwiegt. Noch immer lag die Souveränität dieser Republik theoretisch bei allen freien Bürgern, waren die Funktionen des Senats, die Kompetenzen der Volksversammlung, Namen und Aufgaben der Magistrate dieselben geblieben. Es zeigt sich hier, daß die lediglich formale verfassungsrechtliche Sicht die Entwicklungen der späten Republik ebenso schlecht in den Griff bekommt wie die rein personale.
Im ersten Fall ist die Feststellung zwar richtig, daß die Inadäquanz der Mittel des Stadtstaates für die Aufgaben des Imperium Romanum zur Krise führte, aber eine solche Betrachtung wirkt lediglich abstrakt und statisch. Sie kann nicht plausibel erklären, warum die Verfassung dieser Republik nicht der neuen Situation entsprechend weiterentwikkelt wurde, so wie das in früheren Jahrhunderten, als Folge der Ständekämpfe ebenso wie als Folge der römischen Herrschaft über ganz Italien, der Fall gewesen war.
Auch die überwiegend personale Betrachtungsweise stößt hier an Grenzen. Es ist wohl unbestreitbar, daß in keiner Phase der Geschichte der Römischen Republik einzelne Persönlichkeiten eine solch bedeutsame Rolle spielten wie gerade im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. Männer wie die Scipionen, Cato, die Gracchen, Marius, Sulla, Pompeius und Caesar — um nur die Namen der wichtigsten zu nennen — bestimmten wiederholt den Kurs der römischen Politik im Innern wie im Äußeren. Doch diese Namen bezeichnen zugleich auch die Grenzen der Macht einzelner Persönlichkeiten, denn es gehört zu den Merkmalen der Epoche, daß die Mehrzahl der führenden Politiker durch Gewalt endete, die Gracchen in Rom untergingen, Pompeius von einem ehemaligen Untergebenen ermordet wurde, Caesar ein Opfer auch seiner Freunde wie Cicero das der Proskriptionen des jungen Octavian, den er so sehr gefördert hatte, geworden ist.
Die hier sichtbar werdende Radikalisierung der Politik erfaßte indessen nicht nur die Spitzen der politischen und militärischen Gruppierungen, sondern Tausende, ja Zehntausende von Gegnern oder auch nur begüterten Bürgern, die gerade nicht zur eigenen Gruppe gehörten. In Fanatismus und Brutalität hielten sich Aristokraten und ihre Opponenten die Waage. Exzesse dieser Art aber wären auf die Dauer kaum denkbar, wenn es dabei lediglich um persönliche Ambitionen gegangen wäre. Gerade hier wird vielmehr erkennbar, daß die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft der späten Republik nicht allein auf persönliche Motive und auch nicht allein auf den Einfluß weniger großer Einzelpersönlichkeiten zurückgeführt werden kann.
Sollen die damit skizzierten Entwicklungen in einer angemessenen Weise zur Darstellung kommen, so ist es erforderlich, das alte Epochendatum 133 v. Chr. aufzugeben und weiter zurückzugreifen. Tatsächlich ist eine solche Tendenz nicht neu, sondern schon seit geraumer Zeit in nicht wenigen Werken zu beobachten, die sich um eine angemessene Einordnung des Geschehens wie um die Analyse des sozialen Wandels in der späten Republik bemühen. Es geht dabei nicht darum, um jeden Preis eine neue Periodisierung innerhalb der Römischen Geschichte durchzusetzen, sondern darum, jene Einheit insgesamt zu erfassen, die durch die Entwicklung selbst konstituiert wird.