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Auf den Spuren eines folgenschweren Aufstands

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Über fünfzig Jahre ist es her, dass die Gay Liberation, die schwule Befreiungsbewegung, in New York ihren Anfang nahm. Fünfzig Jahre, in denen Aktivistinnen, Aktivisten und Mitglieder der LGBTQ+- Community nicht müde wurden, nicht müde werden, sich für gleiche Rechte, Freiheit und Akzeptanz für lesbische, schwule, bisexuelle, transidente und queere Personen einzusetzen.


Daan genießt die Sonne vor Pinky’s Space in Greenwich Village.

Etwa fünfzig Jahre später liefen Daan und ich in kurzen Hosen, Socken mit kleinen Regenbogen-Aufnähern und einer Kamera um den Hals die Treppe von der U-Bahn hinauf. Wir beide waren ziemlich aufgeregt, zusammen in New York zu sein und den Spuren der modernen LGBTQ+- Community zu folgen.


PIZZA FÜR EINEN US-DOLLAR

Unser bevorzugter Boxenstopp, wenn wir die Straßen von New York erkundeten, waren die Pizzerien, in denen man ein Stück Pizza schon für einen US-Dollar bekam. Für den kleinen (und großen) Hunger zwischendurch. Unser Highlight war die Bleeker Street Pizza in der Nähe vom Stonewall Inn.

bleeckerstreetpizza.com

»Eigentlich sollte Greenwich Village besser queeres Viertel genannt werden«, murmelte Daan mit immer nachdenklicher werdendem Blick in seinen dichten roten Vollbart. »Schließlich wohnt hier nicht nur die schwule Community von New York, sondern auch viele andere queere Menschen.« Recht hatte er. Augenscheinlich war das ganze schwule Stadtviertel in Manhattan regenbogenbunt und aufgeschlossen. Zahlreiche Regenbogenfahnen hingen von Balkonen, queere Menschen jeden Geschlechts, jeder Geschlechtsidentität, jeder ach so individuellen Manier, sich zu kleiden oder zu schminken, saßen schnatternd in den zahlreichen Cafés am Straßenrand. Und kleine Regenbogenaufkleber zierten die Eingangstüren der Lokale und Geschäfte in der ganzen Nachbarschaft. Mittendrin, irgendwo in diesem kunterbunten Mix aus Autos, Menschen und Fahnen, liefen wir, ein schwules Männerpaar, Hand in Hand die breiten Straßen entlang. Immer wieder bogen wir in mit alten Bäumen begrünte Seitenstraßen ab, um noch mehr von dem New Yorker Leben einzufangen. An jeder Ecke roch es anders, nach indischem Curry, Frittiertem oder einer Pizza. Und immer dann, wenn wir an den Straßenübergängen für die großen, vorbeibrummenden SUVs stehen blieben, gaben wir uns einen flüchtigen Kuss – und niemanden schien das zu stören. Im Gegenteil.

Queere Paare kamen uns entgegen und der ein oder andere bärtige Mann warf uns im Vorbeigehen ein verschmitzt-charmantes Lächeln zu. Wir waren auf dem Weg zum Stonewall Inn, einem der für die LGBTQ+- Community wichtigsten Orte in den USA, vielleicht sogar auf der ganzen Welt.

Doch anstatt mit der Kamera die Sehenswürdigkeiten der Umgebung festzuhalten, nutzten Daan und ich die Zeit, uns darüber zu unterhalten, wie es damals, also in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, wohl gewesen sein musste, homosexuell zu sein. In einer Zeit, in der Begriffe wie »gay« oder »queer« fast ausschließlich Schimpfwörter waren.

»Kannst du dir eigentlich vorstellen, dass wir so, wie wir gerade unterwegs sind, also Händchen haltend, dass man uns für dieses Verhalten damals eingesperrt hätte?« Ich blickte in ein betroffenes Gesicht. »Ich weiß nicht, wie ich das überlebt hätte. Oder wären wir bereits mit Frauen verheiratet? Würden wir uns heimlich mit Männern treffen?«

Daan antwortete: »Wahrscheinlich würden wir jeden Tag aufs Neue schauspielerische Höchstleistungen vollbringen, vollbringen müssen. Unsere Gedanken und Gefühle würden wir, denke ich, in der Öffentlichkeit verstecken. Doch alles das aufgeben, was mich ausmacht, wofür ich heute stehe, nur um das Gesicht und den Status in der Gesellschaft nicht zu verlieren? Ich kann mir das auch nicht vorstellen.«

»Und wenn dein Überleben davon abhinge, egal wohin du auswandern würdest?«, fügte ich hinzu.

»Mmmhh, guter Punkt. Zum Glück müssen wir diese Entscheidung nicht treffen.«

Mit den Augen erkundeten wir weiter die Umgebung und sahen dieses Stückchen New York plötzlich aus einer ganz anderen Perspektive. »Wir würden uns wahrscheinlich nicht einmal kennengelernt haben«, erwiderte Daan.

Reisen als offen schwul lebendes Paar bringt uns ein Stück näher zusammen und lässt uns über die eigenen Erfahrungen nachdenken und jedes Reiseziel mit ganz persönlichen Erlebnissen in Verbindung bringen. Für unsere New-York-Reise ist es unser Besuch des Stonewall Inns. Stehen die letzten Junitage des Jahres 1969 und die Unruhen im und vor dieser Bar doch für den Beginn der modernen LGBTQ+-Rechtsbewegung, mit der Befreiungsbewegung der Homosexuellen ganz am Anfang.

Doch war das wirklich so?

WORLDPRIDE, EUROPRIDE, INTERPRIDE

Pride-Paraden gibt es überall auf der Welt. Die Demonstrationen tragen entscheidend dazu bei, die Rechte der LGBTQ+-Community zu stärken und für eine größere Akzeptanz zu sorgen. Aber eine Pride-Veranstaltung in New York, Tokio oder Berlin bedeutet noch längst nicht, dass Homo- oder Transphobie dort oder anderswo auf der Welt kein Problem mehr darstellen. Erinnerten CSD-Veranstaltungen in den Neunzigerjahren und Anfang des 21. Jahrhunderts manchmal an eine Berliner Loveparade, werden diese aktuell wieder politischer, was damit zu tun hat, dass Rechtpopulismus, Antisemitismus, Rassismus und Sexismus erneut zunehmen, sogar rechte Parteien sich als offen schwulenfeindlich positionieren. Im Mittelpunkt der meisten Prides steht nach wie vor die Pride-Parade, bei der die LGBTQ+-Gemeinschaft und ihre Verbündeten zusammenkommen und die Bedeutung der Vielfalt demonstrieren. Seit 1991 wird der Titel »Europride« jährlich an eine europäische Stadt vergeben, die neben der traditionellen Pride-Parade mehrere sportliche, künstlerische und auf Menschenrechte ausgerichtete Veranstaltungen organisiert. Der WorldPride wird seit 2000 in unregelmäßigen Abständen von Ländern wie Italien, Israel, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Spanien und den Vereinigten Staaten veranstaltet. 2019 feierten New York und die ganze Welt anlässlich des fünfzigstens Jahrestags der Stonewall-Aufstände auf der Christopher Street die größte internationale Pride der Geschichte. Allein in Manhattan nahmen fünf Millionen Menschen an ihr teil. 2021 richteten Dänemark und Schweden die Veranstaltung zum ersten Mal gemeinsam aus. Wie einmal vom Schwulen Netzwerk NRW gesagt wurde, bleiben Prides authentisch und erfolgreich, wenn sie stets Repression und Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart thematisieren und über den Tellerrand hinausschauen.

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Pride-Paraden weltweit


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