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Manhattan – flog ein Backstein oder ein Stöckelschuh?

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Historiker, die sich intensiv mit dem Leben von Lesben, Schwulen, Transidenten und Queers beschäftigt haben, weisen jedoch darauf hin, dass die Bestrebungen für Gleichberechtigung bereits viele Jahre vor 1969 ihren Anfang nahmen. Schon im späten 19. Jahrhundert, 1897, um genau zu sein, gründete Magnus Hirschfeld in Berlin zusammen mit Max Spohr, Franz Joseph von Bülow und Eduard Oberg das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, die erste Schwulenrechtsorganisation der Welt. Mit dem Beginn von Nazi-Deutschland erlebten Homosexuelle, die in den Zwanzigerjahren eine bunte Subkultur geschaffen hatten und kaum verfolgt wurden, einen herben Rückschlag. Die gesellschaftliche Meinung wurde politisch motiviert, es wurde denunziert, und Homosexuelle wurden kriminalisiert, ihnen wurde nachgestellt und sie wurden an der Seite von Juden und anderen »ungewollten« Minderheiten in Konzentrationslager verschleppt. Man geht davon aus, dass bis zu 10 000 Männer mit dem Rosa Winkel im Rahmen des Holocausts den Tod fanden.


Verhaftet, gefoltert oder getötet: in Gedenken an verfolgte LGBTQ+

Dieses Erbe als Deutscher beeinflusst mein und unser Handeln und Denken bis heute. Nicht nur, weil ich aus Deutschland komme, sondern weil wir als schwule Männer in der damaligen Zeit dieser verfolgten Minderheit angehören würden. Sensibel gegenüber dieser Geschichte und mit den eigenen Erfahrungen, als schwuler Mann beschimpft und verfolgt zu werden, bin ich mir gleichzeitig meiner Verantwortung bewusst, etwas dafür zu tun, dass diese Grausamkeiten nicht erneut geschehen werden. Nicht in Deutschland und nirgends auf dieser Welt.

Es dauerte seine Zeit, bis sich die Situation für Schwule und Lesben nach dem Zweiten Weltkrieg wieder beruhigte. Die ersten Schritte setzten dann auch Homosexuelle in den USA in Richtung Gleichstellung mit der »Homophilenbewegung« zwischen 1951 und 1971. Mit dem Begriff »homophil«, was so viel bedeutet wie »dem Gleichen zugewandt«, versuchten schwule Männer, den Fokus von ihrer Sexualität abzulenken und rechtliche Probleme und politische Verfolgung zu vermeiden. Bereits 1951 wurde unter dieser Prämisse in Los Angeles die Mattachine Foundation gegründet, mit dem Ziel, die Rechte schwuler Männer zu schützen und zu verbessern. Nur zwei Jahre später folgte die Mattachine Society, die sich in den ganzen Vereinigten Staaten ausbreiten konnte. Doch auch lesbische Frauen begannen sich zu organisieren. Mit den Daughters of Bilitis wurde 1955 die erste amerikanische Lesbenorganisation ins Leben gerufen.

Doch bei allen Fortschrittsgedanken und erfreulichen Entwicklungen dieser Zeit darf nicht vergessen werden, dass Homosexualität noch bis zum 17. Mai 1990 von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation der UNO, als Krankheit eingestuft wurde. In Deutschland wurden einige Männer bis in die Neunzigerjahre hinein aufgrund ihrer Homosexualität ausgemustert. Auch in den USA galten verschiedene Gesetze und Regulierungen, die die Rechte für Homosexuelle einschränkten und teilweise illegalisierten. So war es in den frühen Sechzigerjahren im Bundesstaat New York sogar illegal, als schwuler Mann in einer Bar Alkohol zu trinken (wenn man ihn denn als solchen erkannte). Es ging sogar so weit, dass jede Bar oder jedes Restaurant wegen »ungebührlicher Verhaltensweisen« von der Polizei durchsucht oder geschlossen werden konnte. Auch wenn sich dieser Zustand ab 1967 entspannte, galt es als äußerst schwierig für Barbetreiber, eine Schankerlaubnis für ein offen schwules Etablissement zu erhalten. Somit lässt sich auch das von der Mafia betriebene Stonewall Inn zum Teil erklären.

Historisch betrachtet, war es damals also gar nicht so ungewöhnlich, dass Polizeirazzien in dieser und anderen Bars der Umgebung stattfanden. Doch der Zusammenprall von lesbischen, transsexuellen und schwulen Gästen mit der Polizei, die unter anderem auch die Personalien der Gäste aufnehmen wollte, schien ein volles Glas zum Überlaufen zu bringen.


QUEERES NACHTLEBEN IN NYC

New York City hat ein buntes queeres Nachtleben mit vielen Clubs und Bars – jeder findet etwas nach seinem Geschmack. Wir mögen die REBAR in Chelsea, klar, bei so vielen bärtigen Männern. Mit unseren lesbischen Freundinnen besuchten wir auch die gut gefüllte Bar Cubbyhole, eine der drei Lesbenbars in NYC.

rebarchelsea.com cubbyholebar.com

Und dann flog der erste Backstein – oder war es doch ein Stöckelschuh? Der Video-Dokumentation The Stonewall You Know Is a Myth. And That’s O. K. zufolge, die von der New York Times gemacht wurde, mit Interviews von Zeitzeugen der Stonewall-Aufstände, wären beide Gegenstände möglich. Der Schuh ist natürlich dramatischer. Wie bei so vielen geschichtlichen Momenten legen ungenaue, unvollständige Aufzeichnungen und sich widersprechende Augenzeugenberichte den Grundstein für Legenden. So auch hier. Das mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass damals nur wenige lokale Medien über die Zusammenstöße berichteten. Doch es dauerte nicht lange, bis sich das Ereignis wie ein Lauffeuer von der New Yorker LGBTQ+- Community in allen Bundesstaaten und weiter bis nach Europa verbreitete.

Bereits im darauffolgenden Monat wurde der erste Schwulenmarsch in New York vom Washington Monument zum Stonewall Inn organisiert – die Schwulenbefreiungsbewegung, auch bekannt als Gay Liberation Front, war geboren. Nur ein Jahr später folgten die ersten Pride-Demonstrationen in Los Angeles, San Francisco und New York City, denen weitere US-amerikanische Städte folgten. Die erste Demonstration der LGBTQ+- Community in Europa fand im November 1970 in London statt, wo zwei Jahre später auch der Begriff »Gay Pride March« zum ersten Mal verwendet wurde. Die erste Demonstration in Deutschland wurde am 29. April 1972 in Münster abgehalten. Bereits am 30. Juni desselben Jahres folgten die ersten Christopher-Street-Day-Demonstrationen in Bremen, Berlin, Köln und Stuttgart. Heute können LGBTQ+-Reisende an über sechzig CSD-Demonstrationen für gleiche Rechte oder für die Anpassung der Gesetze für Transidente und Regenbogenfamilien in ganz Deutschland teilnehmen.

Von Angst oder Unterdrückung konnten wir im queeren Stadtviertel Manhattans zum Glück nichts mehr wahrnehmen. Keinen einzigen Gedanken mussten wir daran verschwenden, aufzupassen, ob irgendjemand unser Händchenhalten als Provokation aufnehmen und uns physisch oder verbal angreifen könnte. Wie selbstverständlich schlenderten wir vorbei an markanten Hochhausbauten, Eingängen zur Untergrundbahn und zahlreichen Graffiti, die so manch eintönige Häuserfassade in ein lebendiges Kunstwerk verwandelten. Homosexuelle und queere Kulturen haben sich im heutigen New York – wie in vielen Großstädten weltweit – gesellschaftlich etabliert, vor allem in den Stadtteilen Greenwich Village, Chelsea, Brooklyn und auch Queens. Darauf sind die Menschen, die hier wohnen, sichtlich stolz. So auch Meg, eine US-amerikanische Frauen- und Lesbenaktivistin, die wir einmal in Kanada kennengelernt hatten. Die temperamentvolle und selbstbewusste Frau hat den Blog »EveryQueer« und erzählte uns: »Ich liebe meine Stadt und bin besonders stolz darauf, wie sich die Community in New York City in den letzten Jahrzehnten verändert hat und mehr und mehr zu einer queeren Community geworden ist. Außerhalb der Stadtgrenzen, wie in so vielen anderen Metropolen auch, haben es LGBTQ+ jedoch immer noch deutlich schwerer, Gleichgesinnte zu finden und sich in einer queeren Kultur sicher aufgehoben zu fühlen.«

New York City war immer anders und in gewissen Themen dem Rest der USA voraus. Vor allem im ländlichen Raum und den besonders religiös geprägten Gebieten in den Südstaaten, im sogenannten Bible Belt (Bibelgürtel), herrscht weiterhin eine grundsätzliche Ablehnung von queeren Lebensweisen vor, was das Leben der dortigen LGBTQ+- Community bis heute maßgeblich beeinflusst. Wir konnten uns bisher allerdings noch nicht vor Ort überzeugen und hoffen, dies in den nächsten Jahren nachholen zu können. Vor allem in den Gegenden, die in Reichweite von Großstädten liegen, scheint es sich mit einer wachsenden Offenheit der jüngeren Generation langsam zu verändern.


Kuss vor dem Graffiti von Hektad

HOMOSEXUALITÄT WELTWEIT

In Europa, speziell in Deutschland, wurden die Ablehnung und Ausgrenzung von Homosexuellen und deren Handlungen seit 1872 per Gesetz festgeschrieben und im Strafgesetzbuch im Paragrafen 175 geregelt. Sowohl die DDR als auch die BRD behielten die 1935 durch die Nationalsozialisten verschärfte Fassung sogar bei. Jedoch wurden die Verfolgungen und Verurteilungen unterschiedlich gehandhabt und die Formulierungen im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Erst einige Jahre nach der Wiedervereinigung, 1994, wurde der Paragraf 175 ersatzlos gestrichen. Heute wird jedes Jahr am 17. Mai ( 17.5., in Anspielung auf den Paragrafen) der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie beziehungsweise -feindlichkeit in Gedenken an die WHO-Entscheidung und die Opfer der strafrechtlichen Verfolgung gefeiert. Dazu hängen wir unsere Regenbogenfahnen aus dem Fenster, posten ein Kussbild mit dem Regenbogen und versuchen so, ein motivierendes Zeichen zu setzen, um weiter gegen die noch immer herrschenden Ungerechtigkeiten und weltweiten Verfolgungen von queeren Menschen zu kämpfen.


Hand in Hand durch New York Citys Straßen

Couple of Men

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