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Kapitel 8

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Es war früh morgens und die endlos langen Gänge vom Heathrow Airport kamen ihm jetzt noch weiter vor als sonst. Wie nach den meisten Nachtflügen fühlte er sich ausgelaugt. Hinzu kam, dass er sich völlig deprimiert fühlte. Als er die Augen öffnete, war alles wieder da. Der Schmerz über Dereks Verlust und die daraus entstandene Leere. Und die Frage, wie es nun weitergehen soll, ohne ihn. Die Piccadilly Line war noch leer. Der Berufsverkehr mit seinem gewaltigen Pendleraufkommen würde erst in zwei Stunden einsetzen. Lediglich Teile des Flughafenpersonals, die ihre Nachtschicht rumgebracht hatten und sich ihrem wohlverdienten Schlaf entgegensehnten, belegten gemeinsam mit ein paar jungen Rucksacktouristen den Zug. Michael hatte nur wenige Stationen zu fahren und war erleichtert, dem grellen Neonlicht der Waggons wieder entrinnen zu können. Jedesmal, wenn er von einem seiner Tauchaufträge heimkehrte und die Stufen der ‚West Kensington Metrostation’ emporstieg, war er begeistert. Wie New York war London für ihn eine riesige Show, mit Millionen von Darstellern, jeden Tag aufs Neue, zum Beispiel die gewaltigen klassizistischen Gebäude mit den weißen Säulen, die die Vordächer trugen und von der einstigen Größe des britischen Empire zeugen. Oder die London Taxis, deren Aufbau ihn stets an Oldtimer erinnerten sowie die roten Doppeldeckerbusse, die sich wie ein Heer roter Blutkörperchen durch die pulsierenden Verkehrsadern der Stadt drängten. Für ihn das Sinnbild für Europa. Doch diesmal war es anders. Der freudige Blick auf die Charakteristiken seiner Wahlheimat war ihm durch den Schmerz, den er in sich trug, abhanden gekommen. Wie ein Wesen, das das Tageslicht scheute, hastete er mit verkniffenem Gesicht die ‚North End Road’ entlang, bis zur ‚Bramber Road’, wo er seine Wohnung hatte. Das Knarren der hölzernen Stufen und die abscheulich grüne Tapete im Treppenhaus hießen ihn wie immer auf vertraute Weise willkommen. Seit einem halben Jahr hatte er die Unterkunft für sich allein. Jack Metzer, sein Mitbewohner, mit dem er seit zwei Jahren zusammenwohnte, war wieder ausgezogen und in die USA zurückgekehrt. Er stammte ebenfalls von der Ostküste, aus Norfolk und studierte Wirtschaft am renommierten ‚Peers College’. Nur gemeinsam konnten sie sich zunächst die enge Bleibe in Londons Zentrum leisten. Aber er mochte Jack nicht, denn Jack war überheblich und arrogant. Obwohl Michael selber aus der amerikanischen Oberschicht kam, hatte er nichts übrig für dünkelbehaftete Leute in seinem Alter. Ihre unterschiedlichen Arbeitszeiten und Interessenlagen sorgten dafür, dass sie sich kaum begegneten. Michael jobbte anfangs als Verkäufer für Sportartikel in einem Fachgeschäft. Wenn er nach Hause kam, hatte Jack gerade erst das Haus verlassen. Er arbeitete in einem der Steak Restaurants in Soho, Londons Vergnügungsund Touristenviertel. Dort konnte er mit den üppigen Trinkgeldern rechnen, die die zahlreichen amerikanischen Besucher regelmäßig springen ließen. Erst spät in der Nacht kehrte er zurück. Als Michael dann den Job bei ‚Divers Ground’ bekam, hatte er ein höheres Einkommen, woraufhin er in der Lage war, nach Jacks Abschied alleine die hohe Miete zu tragen. Er zog die Vorhänge zu und ließ sich aufs Bett fallen. Die Trauer, die ihn erfüllte, hatte offenbar auch Auswirkungen auf seine körperliche Verfassung. Noch immer war er schlapp und furchtbar niedergeschlagen, weshalb er sich langen und tiefen Schlaf entgegensehnte. Bevor er einnickte, bemerkte er das Blinken der Kontrolllampe an seinem Anrufbeantworter. Wenn er wieder aufwachte, würde er genug Zeit haben, ihn abzuhören. Aber auf keinen Fall jetzt.

Das dumpfe Pochen von draußen wurde stetig schneller und lauter. Zunächst erinnerte es an einen Trommler, der mit seinen Trommelstöcken auf der Fensterbank eine Kostprobe seines Könnens gab und dabei sein Tempo steigerte. Als er aufwachte und die Orientierung wiedererlangte, begriff er, dass ein gewaltiger Regenschauer gerade draußen niederprasselte und den Himmel über der Stadt verdunkelte. Sein erster Weg führte ihn in die Küche, um sich ein paar Tassen starken Kaffee zu kochen. Es war bereits nachmittags und nach einer halben Stunde war auch der Platzregen wieder vorbei. Michael saß auf dem Fensterbrett und genoss die frische, kühle Luft, die der kurze, heftige Schauer hinterlassen hatte, als eine Stimme von hinten zu ihm drang. Es war der Anrufbeantworter, der sich eingeschaltet hatte, um zum wiederholten Mal Stevens Stimme aufzuzeichnen. Steven wusste, dass Michael heute eintreffen würde und hatte bereits mehrmals versucht, ihn zu erreichen. »Michael, Junge, du bist wieder da. Es macht wohl wenig Sinn, dich zu fragen, wie es dir geht. Nicht wahr?«

»Ganz recht, Steven. Ich bin heute morgen eingetroffen und habe den Tag verschlafen. Schmerz baut sich nur langsam ab. Ich kann es noch nicht fassen, dass er jetzt nicht mehr da ist.«

»Uns allen geht es genauso. Die Stimmung in der Redaktion ist absolut bedrückend. Ich musste heute morgen seinen Schreibtisch leerräumen und dabei die Schubladen aufbrechen. Niemand wusste, wo die Schlüssel sind. Stell dir vor, wie ich mich fühle. Andy Jones soll jetzt seinen Platz einnehmen.«

Die Reaktion ließ auf sich warten. »Jones ...na gut, warum nicht? Ist mir sowieso egal.«

»Wie wäre es, wenn wir heute Abend essen gehen?«, fragte Steven. »Dann können wir in Ruhe reden. Da wären einige Dinge, die es zu erörtern gäbe.«

»Einverstanden, gut, Moment noch... was ist mit dem Unfall? Gibt es irgendetwas Neues? Ich meine, was sagt der Obduktionsbericht?«

»Lass uns heute Abend darüber reden! In aller Ruhe, okay?« Michael atmete tief aus. »Ja, gut, bis dann.«

»Um acht im ‘Donagals’.«

»In Ordnung, um acht«, sagte er abschließend und legte den Hörer neben sich aufs Bett. Grübelnd verharrte er dort noch einige Minuten, bevor er ins Bad ging, um zu duschen. Noch immer beschäftigten ihn dieselben Fragen. Dass Derek unangeschnallt gegen einen Baum geprallt sein soll, wie Sally ihm berichtet hatte, wollte einfach nicht in seinen Kopf. Ausgerechnet Derek, der zwei mal pro Woche den Reifendruck seiner Räder am Fahrzeug prüfte, der die Sicherungen für sämtliche Stromanschlüsse in seiner Wohnung aus dem Kasten nahm, wenn er über das Wochenende zu seinen Eltern fuhr und der mehr über die Brandverhütungsvorschriften im Redaktionsgebäude wusste, als der zuständige Sicherheitsdienst. Ferner war er dafür bekannt, noch nie einen Strafzettel bekommen zu haben.

Der Malaysia Job

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