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Kapitel 13

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Kurz vor Mittag hatte es aufgehört zu regnen. Llandudno lag sechzig Kilometer westlich von Liverpool entfernt, an der Irischen See. Kurz bevor Michael ankam, riss die Wolkendecke auf, als wolle sich die kleine Stadt an der walisischen Küste bei klarem Himmel und leichtem Wind präsentieren. Llandudno lag auf der schmalen Zunge einer Halbinsel und hatte zu jeder Seite hin einen Strand, an dessen langen Promenaden alte, ehrwürdige Hotels in viktorianischem Stil aufgereiht waren. Am Ende der Insel erhob sich der ‚Great Ormes Head’, ein breiter Felsen, der die Ausdehnung des Ortes auf den vorderen Teil der Insel verhinderte. Wer hier geboren wurde, hatte nicht allzu viele Möglichkeiten. Und wer etwas werden wollte, ging nach London, oder gleich in die Armee. Denn die war überall präsent und warb mit dem Slogan:

‚Be the best’. Llandudnos Männer kämpften in allen Kriegen, an denen England beteiligt war. Neben dem Club der Luftwaffenveteranen und dem der Navy, gab es noch einen eigenen Pub der Royal Artillerie sowie das rote Haus der British Legion. Und ‚Ty Gwyn’ natürlich. Das weiße Haus. Ein Sanatorium am Rande der Stadt für psychisch versehrte Veteranen, mit Panoramablick auf die gesamte Bucht. Derek tat im Grunde beides: Erst ging er zur Armee und später nach London. Michael glaubte Llandudno zu kennen. Den Weg zum Friedhof im Südosten der Stadt aber fand er nur mit Mühe. Er hatte nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen an der Trauerfeier teilnehmen würden. Deshalb fiel es auch nicht auf, dass er so spät dazu stieß. Die Anteilnahme war enorm. Die meisten kannten Derek von Kindesbeinen auf. Er hatte nie erwähnt, so viel Verwandtschaft zu haben. Der ewige Tratsch und die Querelen untereinander waren mitunter einer der Gründe, warum er von hier weg wollte. Auch Brian und Ken, seine Jugendfreunde, waren gekommen, um Abschied zu nehmen. Zusammen mit ihnen zog er während der Schulzeit um die Häuser und verschaffte sich eine Menge Ärger. Brian und Ken traten ebenfalls in die Armee ein. Sie waren regelmäßig nach London gekommen, um Derek zu treffen. Auch Michael kam regelmäßig hinzu und verbrachte gemeinsam mit ihnen die Abende. Sie mochten ihn jedoch nicht. Wahrscheinlich weil er Amerikaner war und reiche Eltern hatte. Schwer zu verkraften für ein paar Jungen aus der Arbeiterklasse. Die Trauerrede wurde auf walisisch gehalten. Michael verstand kein Wort, aber der tiefe Schmerz, den alle ringsherum empfanden, wurde ihm dennoch zuteil. Dereks Familie stand neben dem Sarg. Shaun Colemans Augen waren vom Weinen gerötet. Penny Coleman, seine Mutter und Samantha, Dereks Frau, sahen mitgenommen aus. Sie hatten kein Make Up aufgelegt, da es sich mit den Tränen, die sie noch regelmäßig vergossen, vermischt hätte. Pennys Gesichtsblässe stand in krassem Gegensatz zu ihren rötlich gefärbten, kurzen Haaren. Er bemerkte, wie sie sich allmählich abwand und den Menschenauflauf unter Tränen verließ. Derek war ihr einziges Kind, seine Schwester starb bei einem Badeunfall im Meer, als er noch ein Säugling war. Wie sein Vater war sie mächtig stolz auf ihn. Samantha indessen verzog keine Miene und blieb standhaft in der ersten Reihe, bis der Priester seine Trauerrede beendet hatte. Dann begannen die Beileidsbekundungen, die Umarmungen, das Händeschütteln. Michael wollte es auf dem Friedhof kurz machen. »Wir treffen uns gleich im `Stuart´s«, sagte Dereks Vater und hielt seine Hand lange Zeit fest, als wollte er ihn hindern, weglaufen. Der Pub lag unweit der Conway Road, nach dem Haus der Colemans. Sie besaßen ein Reihenhaus, schmal, aus roten Backsteinen und zu eng, als dass die gesamte Trauergemeinde darin Platz gefunden hätte. Als Michael den Pub betrat, stellte er fest, dass viele bereits ihre Trauer überwunden hatten. Ein großer Teil war mittlerweile beim dritten oder vierten Pint angelangt. Eine wilde Fachsimpelei über die örtlichen Rugby Vereine war im Gange, einhergehend mit vereinzelten Zwischenrufen und dem ein oder anderen Witz. Die Colemans saßen in einer Sitznische, über ihnen ein Portrait der Queen. Geduldig hatten sie auf Michael gewartet. Als er hinzukam, wurde er aufrichtig und herzlich umarmt. Sie mochten ihn von Anfang an und er mochte sie.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gestand er leise.

»Setz dich, Junge, ich glaube, wir können es uns denken«, sagte sein Vater, ein kräftiger Mann mit kurz geschorenen Haaren.

»Wir haben sehr gelitten in den letzten Tagen. Jetzt werde ich sterben müssen, ohne einen Sohn zu haben.«

»Sie hatten einen, Mr. Coleman. Den besten, den ich mir vorstellen kann«, entgegnete Michael.

Shaun Coleman jobbte morgens für einen Paketzusteller und verkaufte ab Mittag Fish und Chips in einem Imbiss. In ein paar Jahre wollte er sich zur Ruhe setzen und sich nur noch um seinen Garten kümmern.

»Wie wird es jetzt mit dir weitergehen, Michael?«, fragte Penny, seine Mutter. »Du hast nicht viele Freunde in London.«

»Allerdings«, antwortete er. »Um mich aber sollten Sie sich keine Sorgen machen. Wenn ich darf, würde ich Sie gern öfters besuchen kommen.«

»Natürlich, Michael. Du bist hier jederzeit willkommen«, kam es sofort von Shaun. Dann stand er auf und ging zum Tresen, um ein paar Pints zu holen.

»Hast du schon irgendetwas rausgekriegt?«, fragte Samantha plötzlich.

»Wovon redest du?«, entgegnete Michael überrascht.

»Derek war der korrekteste Mensch der Welt. Wir wissen das und du weißt es noch besser. Dass er nicht angeschnallt war und sogar betrunken gewesen sein soll, will einfach nicht in meinen Kopf. Wir haben die ersten drei Raten für unser Haus bezahlt. Und er wusste, dass ich ein Kind von ihm wollte. Das alles passt überhaupt nicht zusammen.«

Sie war innerlich aufgewühlt. Sie griff nach einer Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch lag.

»Ruhig, Sammy, ganz ruhig«, ging Dereks Mutter dazwischen.

»Es gibt unglückliche Zufälle im Leben.«

»Was hat euch Derek nach seiner Rückkehr erzählt,« fragte Michael ungeduldig.

»Nun, dass ihr ein gesunkenes Schiff gefunden habt, mit jeder Menge Toten darin«, sagte Samantha. »Und dass du hineingetaucht bist mit deiner Kamera«, fügte sie hinzu.

»Weiter. Sonst nichts?«

»Und dass Steven ihn mit der Recherche beauftragt hatte. Du warst ja noch drüben in Amerika.«

»Hat er euch erzählt, wie weit er gekommen ist?«, setzte er energisch nach.

»Natürlich. Er war fast fertig und hatte Steven ganz schön heiß gemacht.« »Davon weiß ich gar nichts«, zischte er wütend.

»Das stimmt«, schaltete sich Penny wieder ein. »Er sagte uns, dass er dafür eigentlich einen Orden verdient hätte. Ja, das hatte er gesagt.«

»Er wollte es uns nach seiner Ankunft am Freitag erzählen und nun ist er...«, begann seine Frau zu schluchzen.

Michael indessen verspürte mächtigen Groll. Was sollte das? Warum hatte Steven nichts davon erwähnt? Am liebsten hätte er sofort zu seinem Mobilfunktelefon gegriffen. Shaun Coleman war vom Ausschank zurückgekehrt und verteilte die Biere am Tisch.

»Auf Derek, unseren geliebten Sohn«, sagte er pathetisch, während er sein Bierglas in die Runde hielt. »Und auf das es ihm dort, wo er jetzt ist besser geht.«

»Auf Derek«, erwiderte Michael und leerte das Glas mit einem Zug.

Eigentlich hätte er nichts trinken dürfen, weil er gegen Abend wieder zurück in London sein wollte. Aber es war ihm augenblicklich egal. In ihm brodelte es. »Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll«, fing er an. »Aber ich hatte von Anfang an so eine seltsame Ahnung. Ich kann natürlich nichts beweisen, es ist rein intuitiv. Aber es fällt auch mir noch immer schwer zu glauben, dass es nur ein Unfall war. Genau wie Samantha. In London hält man mich schon für paranoid«, gestand er.

»Wahrscheinlich sind wir das auch«, räumte Samantha ein.

»Vielleicht wollen wir nur nicht wahrhaben, dass es so war«, sagte sie weiter und zerdrückte ungestüm ihre Zigarette im Aschenbecher. Shaun und Penny Coleman starrten überfordert zu ihnen hinüber.

»Genug damit! Hören wir auf!«, sagte Michael abrupt. Er merkte, dass der Zeitpunkt unpassend war, um das Thema weiter zu erörtern. Seine Familie hatte schon genug durchgemacht. So redeten sie nur noch über Belangloses. Dinge die nicht wehtaten und keine tieferen Gefühle weckten. Nach zwei Stunden war es soweit. Michael hatte sein drittes Pint getrunken und musste sich wieder auf den Weg machen. Noch einmal umarmten sie sich und versicherten sich gegenseitig, in Verbindung zu bleiben. Bevor er jedoch den Ort verließ, wollte er es sich nicht nehmen lassen, zur Promenade zu fahren, um noch einmal aufs Meer zu blicken. Er wusste nicht, ob er überhaupt jemals hierher zurückkehren würde. Außerdem würden ein paar Schritte zu Fuß dabei helfen, den Alkohol abzubauen. Wenn die Polizei ihn in diesem Zustand erwischen würde, hätte er ein weiteres Problem, nämlich den Verlust seiner Fahrerlaubnis. Es war spätnachmittags. Die Sonne wurde schwächer und hüllte die pastellfarbenen Hotels am Strand in ein rötliches Licht. Er atmete noch einmal tief und wollte sich dann auf den Weg machen. Als er sich umdrehte, erschrak er. Wie aus dem Nichts stand Shaun Coleman auf einmal vor ihm und sah ihm eindringlich in die Augen. »Michael, wenn an der Sache wirklich etwas faul ist...«, beschwor er ihn mit zittriger Stimme.

»Mr. Coleman, ich weiß, was ich Derek schuldig bin. Ihr werdet die ersten sein, die es erfahren, wenn ich etwas herausfinden sollte«, versicherte er Dereks Vater.

Der lächelte traurig und reichte Michael zum Abschied die Hand. Was mag jetzt in dem armen Mann vorgehen, fragte er sich, während er vom Wagen aus zusah, wie Coleman schweren Schritts nach Hause wankte.

Der Malaysia Job

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