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Kapitel 7

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Sein Koffer lag aufgeklappt auf dem Bett und Trisha sowie seine Schwester kamen in regelmäßigen Zeitabständen auf sein Zimmer, um behutsam nachzufragen, ob er etwas benötigte. Ein Glas Orangensaft oder ein Sandwich diente jeweils als Vorwand, sich ihm irgendwie zu nähern.

»Wie wird es jetzt ohne ihn für dich weitergehen in London?«, fragte ihn Ellen leise.

»Ich... weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«

»Was ist mit den anderen Freunden, die du dort hast?«, fügte sie hinzu.

»Sie sind in Ordnung, aber Derek war mein bester Freund verstehst du. Kein Vergleich zu den anderen. Wir haben immer alles gemeinsam gemacht. Wir haben zusammen gearbeitet, sind zusammen ins Kino und auf Partys gegangen und haben uns alles erzählt. Wenn ich ein Problem hatte, habe ich ihn angerufen und wenn er eins hatte, hat er bei mir angerufen.« Er machte eine lange Pause und holte noch einmal tief Luft.

»Ich fürchte, ich werde nun ganz alleine sein«, gab er seiner Schwester zu verstehen und sah dabei mit geröteten Augen aus dem Fenster. Als er am Morgen aufwachte, war seine Welt nicht mehr dieselbe. Mit Dereks Tod war etwas unwiederbringlich gegangen. Etwas, das zu seinem Alltag gehört und das er zum Leben gebraucht hatte. Die Begegnung mit den Leichen im Frachtraum war schlimm genug für ihn gewesen. Doch im Vergleich zu dem, was er nun verkraften musste, war es nichts. Die Leere, die sich nun in ihm auftat, war schier endlos.

»Es tut mir leid, dass ich euch so bald schon wieder verlassen muss, aber es geht nicht anders«, sagte er, als er nach unten kam.

»Natürlich Mike, das wissen wir alle. Es tut uns auch so leid, was passiert ist«, sagte Trisha. Sie waren alle in der Küche versammelt und hatten auf ihn gewartet. Trisha hatte ihm am Vormittag einen Flug nach London gebucht, während Ellen eiligst ein paar Kleidungsstücke wusch, die er mitgebracht hatte. Paul Burk war mit der Situation überfordert. Er brachte es nicht fertig, auf ihn zuzugehen, ihn gar zu umarmen oder wenigstens ein paar tröstliche Worte an ihn zu richten. Immer wieder war er den Korridor entlanggegangen, in Richtung seines Zimmers. Aber jedes Mal kehrte er wieder um. Er wusste noch nie, seine Gefühle richtig zum Ausdruck zu bringen und hatte deshalb Angst, im entscheidenden Augenblick das Falsche zu sagen. Michael hatte seine Annäherungsversuche einige Male bemerkt und wusste es zu schätzen. Auch seine Familie kannte Derek persönlich. Als sie ihn vor einem halben Jahr gemeinsam in London besuchten, hatte Michael sie gegenseitig bekannt gemacht. Sie gingen ein paar Abende gemeinsam aus und mochten sich. Besonders gefiel seinem Vater Dereks geschliffene Manieren. Sein fester Händedruck, die aufrechte Körperhaltung, sowie seine höfliche und zuvorkommende Art beeindruckten ihn zutiefst. Darüberhinaus die Tatsache, dass er es bis zum Offizier geschafft hatte, obwohl er der walisischen Arbeiterklasse entstammte. »Können wir sonst noch etwas für dich tun?«, fragte Trisha.

»Nein, nein... ich danke euch. Ich verspreche euch, dass ich, sobald es geht, wiederkommen werde. Hast du eine Maschine bekommen?«

»Ja, um viertel vor vier. Wir müssen uns nicht beeilen«, antwortete seine Mutter.

»Wie zum Teufel konnte das passieren?«, brach es aus Paul Burk plötzlich heraus. »War denn Derek ein Raser?«

Michael war erleichtert, dass er sich nun überwand und das Wort an ihn richtete. »Nein, Dad, keineswegs. Bei allem, was er tat, wählte er den sichersten Weg. Wenn er trank, nahm er den Bus oder ließ den Wagen von vornherein zu Hause stehen. Ich weiß wirklich nichts Genaueres. Vielleicht hat auch jemand anders Schuld. Sobald ich Bescheid weiß, rufe ich euch an.« Alle hatten ihre Arme verschränkt, während sie rund um den großen Eßtisch verteilt saßen und nickten bedächtig mit dem Kopf. Keiner im Raum wollte mehr etwas sagen. Irgendwie mussten sie noch die Zeit bis zur Abreise totschlagen, deshalb trat Ellen noch einmal vor den großen Spiegel, um ihr Make up zu korrigieren. Und Trisha räumte weiter die Spülmaschine aus. Wenig später machte sich Paul Burk zur Tankstelle auf, um den Wagen zu betanken, obwohl es gar nicht nötig war. Er hielt die bedrückende Stimmung im Haus nicht mehr aus. Während der Fahrt zum Flughafen machte auch niemand den Versuch, krampfhaft ein Gespräch zu entwickeln. Michael sah aus dem Fenster und bemerkte, dass sich bereits die Blätter verfärbten.

»Bald kommt der Winter«, sagte Michael und versuchte zum ersten Mal ein wenig zu lächeln. »Bei Schnee und Nässe bricht in London wieder der Verkehr zusammen.« In diesem Moment schossen ihm wieder Tränen in die Augen, denn er musste zugleich daran denken, dass es der erste Winter ohne Derek werden würde. Seine Mutter und Ellen saßen neben ihm auf dem Rücksitz und spürten, wie ihn noch einmal seine Gefühle überkamen. »Wenn es dir nicht gut geht, mein Junge, komm wieder nach Hause«, sagte Trisha und legte fürsorglich ihre Hand auf seinen Arm. »Du warst sowieso schon zu lange weg. Wir vermissen dich jeden Tag.«

Er wollte nicht, dass sie ihn in den Terminal begleiten. Noch immer wollte er lieber alleine sein. Er hatte sie so lange nicht gesehen, doch im Augenblick empfand er jede Form von Gesellschaft nur als Belastung. Er verzichtete zum Abschied auf die übliche Umarmung mit Trisha und Ellen und streckte ihnen lediglich seine Hand entgegen, wie es sonst nur sein Vater tat. ‚Ich liebe euch. Bis bald’, dachte er noch, sprach es aber nicht aus, nachdem er ihnen schon den Rücken zugewandt hatte. Dann verschwand er mit zügigen Schritten im Innern der Abfertigungshalle.

Michael hatte noch rechtzeitig genug eingecheckt, um sich einen Fensterplatz zu ergattern. Er befürchtete, dass er vielleicht von Mitreisenden bedrängt werden könnte, oder sie versuchen würden, ihm ein Gespräch aufzuzwingen, was ihm in seiner augenblicklichen Verfassung nur lästig war. Appetit verspürte er keinen. Nur die zwei Schlaftabletten, die er bei sich hatte, nahm er ein. So starrte er zunächst aus dem Fenster, um seinem Nebenmann, einem älteren Geschäftsreisenden, seine augenblickliche Unzugänglichkeit zu demonstrieren. Immer wieder flackerten die letzten Bilder von Derek vor seinem inneren Auge auf, damals, als sie sich in Kuala Lumpur trennten. »Grüß deinen alten Herrn von mir, sowie den Rest deiner Familie. Wir sehen uns nächste Woche. Und lass dir mal wieder die Haare schneiden. Mit den langen Zotteln siehst du aus wie eine Tunte.« Eine kleine Frotzelei zum Abschied, zu der er wie immer sein breites Grinsen aufsetzte, das seinen markanten Unterkiefer umspannte. Dann drehte er sich um und schlenderte den Gang entlang, zur Abflughalle. Die Schlaftabletten trübten seine Erinnerungen nach und nach ein und er schaffte es, den siebenstündigen Flug hindurch fast ohne Unterbrechung zu schlafen, bevor die Maschine zum Landen ansetzte.

Der Malaysia Job

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