Читать книгу Der Malaysia Job - Karsten Kemper - Страница 14

Kapitel 12

Оглавление

Der Wecker sollte um acht Uhr klingeln. Aber Steven war schneller. Nach dem Signalton auf dem Anrufbeantworter ertönte seine Stimme. »Michael, mein Junge, hey. Ich weiß, dass du da bist. Es ist wichtig, wirklich. Jetzt geh schon ran, bitte.«

Dasselbe wie immer. Der Alkohol hatte seine Wirkung nicht verfehlt und Michael als Nachlass einen dicken Kopf beschert. Auch mit der Orientierung klappte es noch nicht. Bevor er das Telefon erreichen konnte, stieß er sich den kleinen Zeh am Bettpfosten. »Steven, ich wäre doch sowieso gleich noch vorbei gekommen. Das hatten wir doch vereinbart«, sagte er zerknirscht. Steven rief vom Büro aus an. Im Hintergrund herrschte schon die übliche Betriebsamkeit. »Ich weiß, aber es ist wichtig. Sieh doch bitte noch einmal nach, ob du die Diskette irgendwo findest. Ich hab noch einmal alles abgesucht. Sie ist nicht hier und ohne die Aufzeichnungen können wir nicht weitermachen. Es ist unser Beweisstück.«

»Ich tu, was ich kann«, versuchte ihn Michael zu beschwichtigen. »Aber ich bin ebenso sicher, dass ich sie nicht habe. Bis gleich.« Dann legte er auf und schleppte sich ins Badezimmer. »So ein Blödsinn. Wo sollte ich sie denn haben«, murmelte er mißmutig vor sich hin. »Ich bin doch erst gestern wiedergekommen.«

Dann begann er mit der Suche, eine ganze Stunde lang. Gott sei Dank verfügte er nicht über allzuviel Mobiliar. Wichtiger war für ihn immer, was an den Wänden hing. Nachdem er seine Wohnung auf den Kopf gestellt hatte, sah er im Briefkasten nach, unter dem Fußabstreifer vor seiner Tür, unter dem seines Nachbarn und durchwühlte den Müll im Hof. ,Wenn mich jemand so sehen könnte‘, spottete er über sich selbst. Zum Schluss war der Wagen an der Reihe. Kofferraum, Handschuhfach, sämtliche Ablagen und Nischen, sogar unter den Fußmatten sah er nach. Derek hatte einen Schlüssel für seinen Wagen, genauso wie Michael einen für seinen hatte. Beide Fahrzeuge waren gebraucht und Michaels Wagen musste ständig in die Werkstadt. Deshalb einigte man sich, im Bedarfsfall seinen Wagen dem jeweils anderen zu leihen. Meistens jedoch benutzte man sowieso den Bus. »Mann, bin ich bescheuert«, grummelte er vor sich hin. Die Idee, dass Derek währen seiner Abwesenheit die Diskette in seinem Wagen deponiert haben könnte, war für ihn unvorstellbar. Aus welchem Grund hätte er das tun sollen? Und ohne ihn zu informieren? So aber konnte er wenigstens sagen, dass er sie wirklich inständig gesucht hätte. Am Ende nichts, wie schon erwartet. Zurück in der Wohnung genehmigte er sich noch eine Tasse Kaffee, dazu eine Packung vertrockneter Kekse, die die Suche nach der Diskette überraschend zum Vorschein gebracht hat. Dann machte er sich für die Beerdigung fertig.

Zum Glück gab es im Hinterhof eigene Parkplätze. In der Innenstadt einen Parkplatz zu finden wäre wegen der vielen Anlieferer montagmorgens im Umfeld der Cannon Street unmöglich gewesen. Als er das Redaktionsgebäude betrat, war er spät dran. Alle wussten, wie eng er mit Derek befreundet war. Schließlich hingen sie von Anfang an wie Kletten aneinander. Dementsprechend unpersönlich war das Verhältnis zu den Anderen im Haus. Nun aber war er auf sich allein gestellt und musste zukünftig mit ihnen klar kommen. Die Reaktionen waren eigenartig. Jeder, der ihn kannte, benahm sich ungewollt merkwürdig. Er tat ihnen leid. Sie konnten sich denken, wie sehr Dereks Verlust an ihm zehrte. Aber das Verhältnis, das er zu den meisten pflegte, war eben nicht intensiv genug, als das man ihm die Hand auf die Schulter hätten legen können, um ihm ein Wort des Bedauerns auszusprechen. So hielt man inne, wenn er vorbeiging, blinzelte verständnisvoll mit den Augen, oder tat so, als sei man sehr beschäftigt oder gerade auf dem Sprung. »Mach die Tür zu! Mach schon, Tür zu«, befahl Steven hektisch und deutete nervös auf die Kaffeemaschine. Michael befolgte seine Anweisung und goss sich noch einmal eine Tasse frisch gekochten Kaffee ein. Er telefonierte und erzeugte dabei wie immer eine Hektik, die einem Praktikanten abschrecken könnte, den Beruf des Journalisten zu ergreifen. Steven liebte seine Arbeit. Sobald er das Büro betrat, stand er unter Strom. Manch einer hielt ihn sogar für manisch depressiv. Sein Aschenbecher füllte sich nach und nach und sein Hemd zeigte bereits Schwitzflecken unter den Achseln. Obschon er auf die sechzig zuging, hatte er noch keinen Herzinfarkt erlitten, was viele für ein Wunder hielten. Es gehörte zu seinen Gewohnheiten, beim Telefonieren mit den Armen zu gestikulieren, sowie es Südländer tun. Dann legte er auf, verschränkte seine Hände im Nacken und sah Michael an.

»Und, hast du die Diskette?«, fragte er.

»Nein, natürlich nicht«, antwortete er völlig gelassen.

»Verdammt noch mal, so kommen wir nicht weiter,« schnauzte er Michael an.

»He, das ist nicht fair. Du tust so, als sei das alles meine Schuld. Ich bin erst seit gestern morgen wieder hier und soll daran Schuld haben, wenn hier eine Diskette abhanden kommt?«

»Tut mir leid, Michael. So war das nicht gemeint. Aber du weißt selber, wie wichtig die Aufzeichnungen sind.«

»Vielleicht war die Diskette im Unfallwagen.«

»Nein, der Unfallwagen wurde von der Polizei komplett ausgeräumt. Seine Eltern haben alles mitgenommen. Ich habe schon mit ihnen geredet. Sie wissen auch nichts von einer Diskette.«

Steven war inzwischen aufgestanden und hatte sich ebenfalls eine Tasse Kaffee eingegossen.

»Gestern war die Polizei bei mir«, sagte Michael unerwartet.

»Die Polizei?« Steven war überrascht. »In welcher Angelegenheit?«

»Es geht um Derek. Sie haben in seinem Unfallwagen eine Waffe gefunden.«

»Eine Waffe. Derek besaß eine Waffe?«

»Ich weiß es nicht. Die Sache ist verdammt mysteriös«, sagte Michael nachdenklich.

»Fang nicht schon wieder damit an. Verschwörungstheorien bringen uns hier nicht weiter.«

»Langsam, Steven! Ich bin nicht der Einzige, der so denkt. Die Polizei hält es auch für möglich...«

»Moment«, schnitt Steven ihm das Wort ab. »Wer war gestern bei dir?«

»Ein Polizist, ein Inspektor. Mitte fünfzig, weiß-graue Haare, ein echter Gentleman.«

»Und der hat behauptet, dass Derek umgebracht wurde?«, entgegnete Steven abfällig.

»Nein, nicht direkt. Aber es gibt begründete Zweifel an der Unfalltheorie. Derek starb auf einer einsamen Landstraße. Du sagst, er war betrunken…«

»Alkoholisiert.«

»Und dazu nicht angeschnallt. Außerdem wurde in seinem Fahrzeug eine Waffe gefunden. Und jetzt ist auch noch die verdammte Diskette weg. Was zum Teufel geht hier vor? Und was ist mit dir los? Wo sind deine Instinkte? Wo bleibt dein Biss? Sagtest du mir nicht einmal, du wärst Reporter von Beruf?« Auch Michael hatte sich unterdessen erhoben und war im Gesicht rot angelaufen. Steven hingegen sagte gar nichts mehr. Er lehnte mit dem Rücken an der Tür und spitzte den Mund. Dann ging er langsam zu seinem Kleiderständer, holte einen Zeitungsausschnitt aus der Innentasche seines Trenchcoates hervor und warf ihn auf den Schreibtisch. »Hier, schau Dir das mal an!« Es war eine abgetrennte Seite aus einer Tageszeitung, Rubrik ‚Gebrauchtfahrzeuge’. Darauf ein deutlich eingekreistes Inserat. ‚Gebrauchter Motorroller, nur wenige Kilometer, guter Zustand.’ Dazu die Adresse und Telefonnummer. »Ich hatte es in einer seiner Schreibtischschubladen entdeckt, als wir sie vorhin aufbrechen mussten. Jetzt weißt du, warum er gerade dort verunglückte. Die Adresse ist ganz in der Nähe. Er hatte es nicht mehr weit. Der Roller sollte ein Geschenk für seine Frau werden, sagte der Typ am Telefon. Ich glaube, dass es Derek mir gegenüber sogar erwähnt hatte. Aber ich hatte es wohl vergessen. Tut mir leid.«

Michael war völlig sprachlos und ließ sich noch einmal auf den Stuhl sinken.

»Lass uns reden, wenn du zurück bist, okay?«, sagte Steven nach einer langen Pause. »Du bist spät dran.«

Der Malaysia Job

Подняться наверх