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Kapitel 5

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»Bitte den Führerschein und die Zulassung!«, sagte der Officer ebenso freundlich wie bestimmend. Weil zum Segeln nicht genug Wind wehte und er sich zum Wandern im Wald nicht überreden konnte, hatte er einen Buick ‚Master’, Baujahr 1927, aus Dad´s Sammlung genommen und war damit in die Stadt gefahren. Dort fuhr er den Broadway runter bis zum Union Square und dann die Park Avenue wieder Richtung Norden, einfach so. Nähe Central Park, Ecke 63. Straße hatte er sich bei ‚Livingston’ einen neuen Smoking für die Feier gekauft. Seinen alten hatte er in London gelassen. Weil er unregelmäßig aß, seit er nicht mehr zu Hause wohnte, hatte er abgenommen. Deshalb passte er ihm nicht mehr, außerdem hatte er ihn nie getragen. Auf dem Rückweg von Manhattan nahm er die Stadtautobahn und behinderte geringfügig den Verkehr. Nicht, dass er nicht genug Tempo machte. Er beschleunigte nur nicht schnell genug. Eine Polizeistreife wurde auf ihn aufmerksam und zwang ihn zum Anhalten. Dass die Papiere in Ordnung waren, wie ihm über Funk gemeldet wurde, wunderte den Mann in Uniform keineswegs. Er hatte ihn ohnehin nur angehalten, um sich das Prachtstück näher ansehen zu können. Er sah sofort, dass der Wagen nicht restauriert war, sondern sich noch immer im Originalzustand befand, was äußerst selten ist. »Würden sie bitte die Haube öffnen«, forderte er ihn desweiteren auf.

»Ich möchte mich vergewissern, ob auch alles in Ordnung ist, wegen des hohen Alters, verstehen sie?«

»Sie dürfen sich sogar reinsetzen, Sir, wenn Sie möchten.« Daraufhin fühlte sich der Polizist entlarvt und beendete sein

Spiel. Was nun folgte, war eine zwanzig minütige Fachsimpelei, die damit begann, dass auch er ein altes Auto, einen 48er Buick

‚Roadmaster’, in der Garage hatte, dessen Restaurierung eine Menge Geld verschlungen und ihn beinahe die Scheidung gekostet hatte.

Der letzte Abstecher auf seiner Fahrt führte ihn zur Cougar University, ins Zentrum von Queens, nördlich von Brooklyn. Michael selber hatte dort nie studiert, dafür aber Brian, ein damaliger Freund von ihm. Brian hatte Geschichte studiert und regelmäßig von den Vorlesungen eines gewissen Dr. Sinner geschwärmt, dessen Vorträge zur chinesischen Geschichte die Anwesenden im Hörsaal regelmäßig in den Bann gezogen hatten. Wenn es Brian vorzog, eine Vorlesung zu schwänzen, waren es stets andere, jedoch nie die von Sinner. Die beste Zeit, um einen Dozenten an einer Universität in unterrichtsfreier Zeit anzutreffen, war für gewöhnlich in den Nachmittagsstunden. Vorausgesetzt, dass Dr. Sinner an dieser Universität noch immer tätig war. Die meisten Vorlesungen waren auf den Vormittag angesetzt, damit dem Lehrpersonal der Nachmittag für die organisatorischen Dinge zur Verfügung stand, allen voran für ihre Forschung. Glücklicherweise gab es auf dem Campus einen bewachten Parkplatz, auf dem Michael den Buick sicher abstellen konnte. Während er das Atrium des altehrwürdigen Gebäudes durchschritt und eine Gruppe ausgelassener Studenten mit ihrer legeren Kleidung, ihren großen Taschen und Rucksäcken beobachten konnte, fühlte er sich an seine eigenen Jahre an der Hochschule erinnert. Aber seine Erinnerungen waren nicht sehnsüchtiger Natur. Wenn jemand seinem Vater zuliebe vier Jahre lang einen Studiengang belegte, den er sich nie freiwillig ausgesucht hätte, war er selbstverständlich froh, wenn er es endlich hinter sich gebracht hatte.

Michael folgte der Beschilderung, die zum Verwaltungstrakt wies und fragte dort nach dem Dozenten. »Sie meinen selbstverständlich Professor Sinner«, sagte die Dame in der Verwaltung ein wenig vorwurfsvoll.

»Nun, wenn er Vorträge in chinesischer Geschichte hält, meine ich natürlich Professor Sinner. Sie müssen entschuldigen, ich bin schon lange nicht mehr hier gewesen.«

»Gewiss tut er das. Professor Sinner ist mittlerweile ein weltweit anerkannter Experte auf dem Gebiet. Sie kennen ihn noch aus ihrer Studienzeit?«

»Nein, Madam. Ich habe Rechtswissenschaften studiert, an der ‚Henry Bolter Universität’. Aber schon damals habe ich von ihm gehört.«

»Einen Moment, bitte! Ich muss erst auf den Plan schauen, ob der Professor noch im Haus ist. Sie müssen verstehen, heute ist Freitag.« Nach ein paar Anschlägen und einem prüfenden Blick auf den Bildschirm ihres PC´s entspannte sich ihr Gesicht wieder.

»Sie haben Glück, Mr.…?«

»Burk. Michael Burk«, antwortete er und lächelte, während er sie von oben ansah. Obwohl sie vom Alter her beinahe seine Mutter hätte sein können, bewirkten seine blauen Augen, im Zusammenspiel mit seinen blonden Locken und seinem sportlichen Statur, dass die Dame hinter ihrem Pult zunehmend Mühe hatte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Sie haben Glück. Der Professor ist noch anwesend. In welcher Angelegenheit möchten Sie ihn denn sprechen? Ich bin nicht neugierig, aber das ist bei uns so üblich.«

»Sagen Sie ihm bitte, es ginge um Mord.« Michaels Worte hatten ihren verstohlenen Blicken ein Ende bereitet. Wortlos sah die Dame erschrocken von ihrem Stuhl aus zu ihm empor und zupfte, während sie schon aus dem Zimmer eilte, ihren Rock zurecht. Nachdem sie zurückgekehrt war, gab sie sich nun bewusst kühl und distanziert. »Der Professor wird gleich da sein. Sie können sich schon mal in den Nebenraum begeben und auf ihn warten. Dort befindet sich auch ein Kaffeeautomat«, erläuterte sie ihm kurz. Nach etwa zwanzig Minuten, Michael nippte längst an seiner zweiten Tasse Kaffee, öffnete sich lautstark die Tür und ein kräftiger Mann mit einem Polohemd und einer Baseballmütze auf dem Kopf betrat den nüchtern möblierten Raum. Er ließ ein Bündel schrillbunter Magazine aus verschiedenen asiatischen Ländern auf den Tisch fallen. »Meine Wochenendlektüre«, sagte Sinner locker und fröhlich. »Und Sie sind Mr. Burk?«

»Ja, Sir. So ist es. Ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt«, antwortete er und packte die kräftige Hand, die sich ihm entgegenstreckte.

»Ach ja, wie denn?«, entgegnete der Professor lachend.

»Etwa mit weißem, wehenden Haaren, einer Brille mit runden Gläsern und einem weißen Kittel über den Schultern?« ‚Sinner’ war Ende Vierzig, muskulös und sah ausgesprochen gut aus. Rein äußerlich glich er eher einem Footballoder Baseballtrainer, so wie sie meistens am Spielfeldrand stehen, man kennt das aus dem Fernsehen. Aber dem Klischee vom genialen, geistig entrückten Professor wurde er nicht ansatzweise gerecht. »Wissen Sie, Mr. Burk. Wenn ich nicht fünfmal wöchentlich ins Fitnesscenter gehen würde, um mich wie ein Stier zu verausgaben, würde ich den Job hier gar nicht durchstehen. Wahrscheinlich wäre ich längst explodiert. Und was machen Sie so? Man sagte mir, Sie hätten studiert?«

»Ja, Sir. Das war vor sechs Jahren, um genau zu sein. Jura, an der ‚Bolter Universität’. Aber ich bin nicht Anwalt geworden.«

»Und was machen sie zur Zeit?«, fragte er beiläufig, während er ein wenig Staub von der Tischplatte wischte.

»Ich tauche, Sir. Ich bin Profitaucher und arbeite für ein Tauchsportmagazin. In Europa allerdings.«

»In Europa«, sagte Sinner überrascht. »Das klingt interessant.«

»Ja. In London, um genau zu sein. Und deswegen bin ich hier.«

»Welchen Rat kann ich Ihnen geben?« fragte Sinner überrascht. »Vom Tauchen verstehe ich nämlich überhaupt nichts.«

»Nein Sir. So war es nicht gemeint. Aber Sie sind ein Fachmann in Dingen, die mit dem fernen Osten, speziell mit China, zu tun haben. Ihr Ruf als Sinologe eilt Ihnen weit voraus. Ich habe schon damals während meines Studiums von Ihnen erfahren.«

»So etwas zu hören, tut verdammt gut. Dann hat sich die Schinderei also doch gelohnt«, gab Sinner lachend zum Besten.

»Es ist so. Ich bin… nein, wir sind… ich meine… Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Sie sind der erste Mensch, mit dem ich darüber rede.«

»Sie sagten, es ginge um Mord. Ist das richtig?« Der Professor spürte, wie sehr Michael mit sich im Zwiespalt war und bemühte sich nun um Ernsthaftigkeit.

»Es war vor ein paar Tagen, am Montag. Wir, also mein Partner und ich, hatten einen Tauchauftrag, westlich von Malaysia. Es galt, eine chinesische Dschunke zu finden, die dort vor fünfhundert Jahren gesunken sein soll.«

»Interessant! Und haben Sie sie gefunden?«, fragte Sinner.

»Nein, leider nicht. Dafür aber etwas anderes. Wir sind auf einen modernen Frachter gestoßen und haben im Laderaum ein paar dutzend Leichen gefunden. Sie waren alle aneinandergefesselt, Rücken an Rücken. Ich… hatte die Kamera dabei und habe alles aufgenommen.«

»Mein Gott. Was für ein Anblick. Das muss schlimm für Sie gewesen sein«, sagte Sinner. »Waren Sie schon bei der Polizei?« »Nein, noch ist es nicht soweit. Mein Tauchpartner ist bereits in London, um dem Geheimnis des Frachters auf den Grund zu gehen.«

»Ich verstehe. Sie wollen zuerst eine Story für ihr Magazin daraus machen und dann die Behörden einschalten.«

»So ist es. Aber es wird schnell gehen. So eine Recherche dauert nicht lange.«

»Okay, Mr. Burk. Warum sind Sie zu mir gekommen?«

»Die Menschen in dem Schiff sind allesamt Asiaten. Aber aus welchem Land sie stammen, kann ich nur spekulieren. Irgendwie sehen die doch alle gleich aus. Oh, entschuldigen Sie, Sir. Das sollte natürlich keine rassistische Äußerung sein.«

»Gewiss nicht.«

»Unter den Toten waren jede Menge Frauen sowie ein kleiner Junge, vielleicht sieben oder acht Jahre alt.« Michael führte seine Hände zum Kopf und nahm die lederne Schnur mit dem zerbrochenen Anhänger von seinen Schultern. »Sie alle waren nur spärlich bekleidet und hatten nichts bei sich, woraus sich irgendwelche Schlüsse ziehen ließen. Außer diesem Medaillon hier. Es gehörte dem Jungen. Er trug es um den Hals.«

»Ein halber Drache«, sagte der Professor. »Ausnahmsweise ohne Flügel.« Sinner nahm den Gegenstand entgegen und betrachtete ihn kritisch von allen Seiten. »Warten Sie einen Augenblick«, sagte er zu Michael und verließ vorübergehend den Raum. Er blieb nicht lange weg und als er zurückkam, hielt er ein Vergrößerungsglas in seiner Hand, mit dem er begann, das Medaillon noch einmal zu begutachten. Nach wenigen Sekunden schon war er mit seiner Analyse fertig, legte das Objekt zur Seite und rieb sich kurz die Augen. »Tja, Mr. Burk. Es gibt Augenblicke, auf die man lieber verzichten würde, weil sie unangenehm sind, so wie dieser. Sicher sind Sie zu mir gekommen, weil sie sich aufgrund meiner Fachkompetenz ein fundiertes Urteil über dieses Stück erhofft hatten. Ein Gutachten, das Sie eventuell weiterbringen würde, auf dem Weg zur Wahrheit. Oder besser gesagt, etwas, was Ihnen Aufschluss über die Herkunft dieser Toten gäbe. Abgesehen davon, dass es zerbrochen ist, kann ich ihnen dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass es sich nicht um einen eindeutig zuzuordnenden oder gar spezifischen Halsschmuck handelt. Das Metall ist billig und bereits oxidiert. Nichts Wertvolles also. Wenn sie in China über die Märkte gehen, finden sie Tausende solche Anhänger und mindestens genausoviele Motive. Der Drache ist das gängigste Symbol in diesem Land und überall gegenwärtig.«

»Sie wollen damit sagen, es ist Massenware, Ramsch?«, fragte Michael frustriert.

»So drastisch wollte ich mich nicht ausdrücken«, entgegnete Sinner.

»Aber Sie sollten bedenken, dass es sich bei den Toten höchstwahrscheinlich um einfache Menschen handelt. Einfach heißt in diesem Falle ‚arm’. Denn wohlhabende Menschen tragen exklusiven Schmuck und nicht so etwas.«

»Sie denken also, dass es Chinesen sein könnten? Ich meine, was macht Sie da so sicher?«

»Nun, Mr. Burk«, entgegnete der Professor, wobei er sich mitsamt seinem Stuhl vom Tisch abstieß und sein rechtes Bein auf sein linkes legte. »So wie Sie mir die Sache geschildert haben, vermute ich, dass es sich um Flüchtlinge handelt. Als der Vietnamkrieg vorbei war, machten sich Millionen von Vietnamesen aus dem nun kommunistisch regierten Land auf, um fern ihrer Heimat die Chance auf ein besseres Leben zu erlangen. Die Nachrichten berichteten täglich von den sogenannten ‚Boat People’. Viele von ihnen ertranken unterwegs, wenn ihr überfülltes Boot kenterte. Andere wiederum wurden zurückgeschickt und zur Strafe inhaftiert. Das alles aber spielte sich in den Siebzigern und Anfang der Achtziger Jahre ab. Ich fürchte, dass Sie damals noch zu klein waren, um sich daran erinnern zu können.«

»Da könnten Sie Recht haben, Sir.«

»Aber etwas Ähnliches geschieht heute wieder, allerdings mehr im Verborgenen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Täglich versuchen tausende von Chinesen ihrer Heimat den Rücken zu kehren, um in Amerika oder Europa in Wohlstand und sozialer Sicherheit leben zu können. Meistens sind ihre Erwartungen hierbei viel zu hoch gesteckt. Oftmals erzählt man ihnen, dass das Wasser bei uns aus vergoldeten Hähnen fließt und man hier auf der Stelle reich würde und all das Zeug. Wissen Sie, wie man Amerika in China nennt? Man nennt es den ‚Goldenen Berg’.«

»Man informiert sie vorsätzlich falsch, um sie dazu zu bewegen, illegal auszuwandern?«

»Genau so, Mr. Burk! In China herrscht weitestgehend Korruption. Alles wird von organisierten Verbrecherbanden kontrolliert, den ‚Triaden’. Sie profitieren vom Menschenschmuggel, Rauschgift, Glücksspiel und von Produktpiraterie. Der Preis für eine illegale Überfahrt ist extrem hoch. Keiner der Flüchtlinge kann sich die Flucht von seinen Ersparnissen leisten. Deshalb sind sie meistens gezwungen, einen großen Teil des Geldes in ihrer neuen Heimat abzuarbeiten. Natürlich zu Niedrigstlöhnen und ohne rechtliche Sicherheit. Auch in der neuen Welt sind sie dann den Banden noch immer schutzlos ausgeliefert und werden weiterhin ausgebeutet. Um zum Ende zu kommen, Mr. Burk. Ich bin mir sicher, dass es sich um Chinesen handelt. Von hier aus gesehen jedenfalls.«

»Und was könnte der Grund gewesen sein, warum man sie getötet hat oder sie mit samt dem Schiff untergehen ließ?«

Der Professor kratzte sich kurz am Kopf und sah für einen Moment zur Decke. »Da muss ich passen, Mr. Burk. Die Gründe für solch eine Tat können vielfältig sein und liegen außerhalb meines Ermessens. Ich kann Ihnen dazu leider keine Theorie liefern.«

Ein fester Händedruck von beiden Seiten beendete das Gespräch und Michael machte sich auf den Heimweg. »Haben sie vielen Dank, Professor Sinner! Sie haben mir sehr geholfen.«

»Gerne, Mr. Burk. Wenn die Sache aufgeklärt ist, würde ich mich freuen, wenn Sie mich kurz darüber informieren.«

Der Malaysia Job

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