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Kapitel 4

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Derek war über Asien Richtung Osten geflogen und war bereits in London angekommen. Michael flog auf der Westroute über den Pazifik und landete mit zehn minütiger Verspätung in New York. Es war vereinbart, dass er sich im Anschluss an ihren Trip eine fünftägige Auszeit gönnte. Eine große Feier zum siebzigjährigen Bestehen von ‚Burk & Cannon‘, der Anwaltskanzlei seines Vaters, stand an. Dazu natürlich jede Menge Gäste. Während des Anflugs auf den J.F. Kennedy Flughafen flogen die Piloten eine Kurve, so dass man durch den wolkenlosen Himmel die Skyline von Manhattan sehen konnte. Das Fehlen der Twin Towers trübte die Freude über den Anblick jedesmal erheblich. Beim Verlassen des Terminals war es stets dasselbe Ritual. Immer kam jemand auf ihn zu und bot ihm an, ihn in die Stadt oder sonstwohin zu fahren. Mit dem Privatwagen natürlich und für wenig Geld. Zuerst war es ein Schwarzer, dann ein Weißer und später noch zwei Typen mit Rastalocken, vermutlich aus der Karibik. »Ich möchte ein Taxi nehmen, haben Sie vielen Dank«, wiegelte er mit fester Stimme ab. Er war kein blauäugiger Tourist, sondern Amerikaner und wusste, worauf er sich einlassen konnte. Es war wie eine Erlösung, als er die Glastür aufstieß. Das Klima stand in krassem Widerspruch zu Malaysias feuchter Hitze. Es war trocken und die Nachmittagsluft hatte sich schon ein wenig abgekühlt. Das Taxi an erster Position war offiziell registriert. Erschöpft ließ er sich auf die Rücksitzbank des Fords fallen. »Ich muss zunächst auf die Fifth Avenue, in Höhe 49. Straße. Fahren Sie mich bitte durch Brooklyn über die Williamsburg Bridge nach Downtown Manhattan und von da aus die First Avenue, Richtung Norden. Dort warten Sie dann einen Moment. Die Fahrt geht anschließend weiter nach Long Island, einverstanden?«

Der Fahrer, ein Litauer, wie er ihm später noch offenbaren würde, freute sich aufrichtig, da sich das lange Warten für ihn diesmal gelohnt hatte. ‚Burk & Cannon’ war eine der größten und erfolgreichsten Anwaltskanzleien des Landes. Sein Urgroßvater, Jatzek Burkowsky, wanderte, aus der Gegend um Krakau stammend, vor hundert Jahren nach Amerika aus. Er verdiente sein Geld zunächst in den Rinderschlachthöfen von Chicago und zog dann während der Wirtschaftskrise in den zwanziger Jahren an die Ostküste, weil ihm dort ein Bekannter einen Job verschafft hatte. Sein Großvater erhielt in den dreißiger Jahren ein Stipendium für ein Jurastudium und gründete später mit einem seiner Kommilitonen die Kanzlei. Sein Partner Scott Cannon war es, der ihn damals dazu gedrängt hatte, seinen Namen auf ‚Burk’ zu vereinfachen. Sein Vater wiederum trat zur Freude seines Großvaters in seine Fußstapfen und stieg nach seinem Jurastudium als Juniorpartner ein. Gern hätten sie es gesehen, wenn auch Michael die Familientradition fortgesetzt und sich dazu gesellt hätte. Er hatte bereits Entgegenkommen signalisiert, indem er ein Jurastudium an einer Eliteuniversität absolviert hat. Aber das Ganze lag ihm nicht. Seine Leistungen waren eher mittelmäßig, außerdem konnte er sich nicht vorstellen, jemals als Anwalt zu arbeiten. Insgeheim hasste er Anwälte. Ihre Winkelzüge und Strategien hatten für ihn bestenfalls etwas mit Recht, jedoch nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Er kannte das Geschäft von Haus auf und mehr als ein Geschäft war es für ihn auch nicht.

Es gab kein Schild am Eingang. Nichts deutete von außen darauf hin, das hier auf zwei Stockwerke verteilt die fünftgrößte Kanzlei der Stadt mit ihren sechzig Mitarbeitern untergebracht war. Michael wusste, welchen Klingelknopf er zu betätigen hatte und nach einiger Zeit schaltete jemand die Sprechanlage ein.

»Hey, hier ist Michael, Michael Burk«, sagte er, worauf die Eingangstür sofort summte und aufsprang.

»Michael, ich habe Sie lange nicht mehr gesehen«, sagte eine ebenso hellhäutige wie hagere Dame mit rot getöntem Haar zur Begrüßung, als er oben ankam. »Leben sie noch immer in Europa?« Es war Dorothee, eine langjährige Mitarbeiterin aus dem Büro, mit ihrer riesigen schwarzumrandeten Brille, die stets den Eindruck vermittelte, als würde sie das schmale Gesicht, das ihr sicheren Halt gewährte, erdrücken. Und von der er dachte, dass sie längst in Rente gegangen sei. »Wie geht es Ihnen?«

»Danke, es geht mir blendend«, antwortete er zuvorkommend.

Was hätte er sonst sagen sollen? Dass das Gegenteil der Fall war, weil er beim Tauchen in Südostasien zufällig eine Ansammlung von Toten entdeckt hat, gefesselt in einem Schiffsrumpf auf dem Grund des Ozeans?

»Sie sind alle zum Dinner. Heute ist Mittwoch«, erklärte sie ihm. Mittwochsnachmittags ging der gesamte Stab traditionsgemäß zum Dinner in eines der umliegenden Restaurants. Das hatte er vergessen. Er hatte versprochen, dass er kommen würde. Nur wann genau, hatte er nicht gesagt. Deshalb hatte sich auch niemand auf ihn eingestellt. Gut, dass er den Taxifahrer angewiesen hatte zu warten. Er wollte sich sowieso nicht lange in der Kanzlei aufhalten. Er hatte lediglich gehofft, flüchtig ein paar alte Gesichter zu erspähen. Er war erschöpft und hatte entschieden, sich nun auf direktem Weg nach Hause fahren zu lassen. Der schlechte Straßenbelag, über den das Yellow Cap mit seinen einfachen Blattfedern rumpelte, erinnerten ihn daran, dass er nicht in Europa, sondern in seiner Heimat New York gelandet war. Dennoch genoss er die Fahrt durch Queens, weiter in Richtung Osten, während er dabei gebannt aus dem Fenster sah. Er liebte London. Aber New York war für ihn noch immer die großartigste Stadt der Welt. Hier war er geboren worden, aufgewachsen und hier hatte er seine Jugend verbracht. Er war der Spross reicher Eltern, die ihm eine behütete Kindheit ermöglicht hatten. Weit weg von den sozialen Brennpunkten und fern ab der Kriminalität auf den Straßen. An den Schulen, die er besuchte hatte, gab es keine Gangs und auch keine Gewalt. Es wurde dunkel, als sie sich dem Familiensitz näherten. Trotzdem konnte er sehen, dass der weiße Zaun, der das Anwesen umgab, frisch gestrichen war. »Dort ist es. Halten Sie bitte rechts vor dem Tor«, sagte er durch die Trennscheibe. In den dreißiger Jahren erbaut und weitestgehend aus massivem Holz gefertigt, gehörte es zu den traditionellen Landhäusern, die in den Long Island Counties zu finden waren. Nur die äußeren Enden mit ihren großen Kaminen waren aus Stein gemauert. Die Wände waren zur Außenseite mit weißen Schindeln bedeckt, von denen sich moosgrüne Fensterläden abhoben. Wie die meisten Anwesen in der Gegend lag es weit zurückversetzt, umgeben von mächtigen Bäumen, deren herabfallendes Laub in den Herbstmonaten eine romantische Atmosphäre schuf. Auf einem Anbau war ein Wintergarten errichtet, von wo aus ein guter Ausblick auf das gesamte Grundstück und darüber hinaus gegeben war. Drinnen brannte Licht und es dauerte nicht lange, bis seine Mutter und seine Schwester, die seine Ankunft bemerkt hatten, auf das Taxi zugeeilt kamen. »Wie schön, dass du gekommen bist, mein Junge, wir alle haben uns schon so auf dich gefreut«, sagte seine Mutter freudig erregt. »Und wie gut du aussiehst, so braungebrannt, wie du bist.«

»Oh, ja, ein richtiger Mädchentyp«, ergänzte seine Schwester ironisch aus dem Hinterhalt. Er schloss sie beide in die Arme, drückte sie abwechselnd so fest er konnte.

»Dad hat vom Auto aus angerufen, als er losgefahren ist. Er wollte den Freeway nehmen und wird hoffentlich bald hier sein.« Sofort griffen sie sein Gepäck und brachten es ins Haus, während er das Taxi bezahlte. Sie hatten kein Personal. Trisha, seine Mutter, war Mitte vierzig und eine resolute Frau, die es ablehnte, sich bedienen zu lassen. Sie hatte ebenfalls studiert und früher als Anwältin gearbeitet. Seit sie die Kinder zur Welt brachte ging sie nicht mehr arbeiten und widmete sich ausschließlich ihrer Familie und dem Haus. Es bereitete ihr Freude, sich um alles selber zu kümmern. Lediglich die Fenster ließ sie einmal pro Woche putzen, seit sie vor ein paar Jahren von der Leiter gefallen war und sich zwei Rippen gebrochen hatte. Drinnen duftete es nach Apfelkuchen. »Oh, mein Gott, daran habt ihr tatsächlich gedacht«, stieß er freudig aus. Schon als Kind hätte er sich am liebsten nur von

warmem Apfelkuchen mit Schlagsahne ernährt.

»Wenn du schon einmal vorbeischaust, was äußerst selten vorkommt, dann sollst du dich auch wohlfühlen«, sagte seine Schwester.

»Höre ich da etwa einen Vorwurf heraus?«

Ellens Gesicht wurde plötzlich ernster, während sie sich umsah, um sicher zu gehen, dass sie im Augenblick alleine waren.

»Findest Du es tatsächlich in Ordnung ein einziges Mal in zwei Jahren deine Eltern zu besuchen? Du kennst Trishas Familiensinn und wie sehr sie dich vermisst, kannst du dir denken!«

»Hey, was soll das? Ich bin gerade fünf Minuten hier und wir streiten uns schon wieder. Ich lebe mein eigenes Leben, verstehst du? Und darauf bin ich stolz.«

»Niemand verbietet dir dein eigenes Leben zu führen. Aber bedenke, wer du bist und woher du kommst. Du musstest nicht wie Robert in das Rekrutierungsbüro am Times Square gehen und dich verpflichten, nur um studieren zu können.«

»Was sagst du da? Rob ist in die Army eingetreten?«

»Ja, im Herbst letzten Jahres. Nicht einmal das wusstest du. Und seit einem halben Jahr ist er im Irak. Aber an einer sicheren Stelle. Er hat dort irgendwie mir Logistik zu tun und sitzt an einem sicheren Ort, weit weg von Bagdad.«

»Oh, verdammt. Das habe ich nicht gewusst.«

»Und im Gegensatz zu dir schreibt er seinen Eltern regelmäßig. Du könntest wirklich mehr Respekt zeigen. Wenn du schon zu faul bist, Briefe zu schicken, könntest Du wenigstens ab und zu mal anrufen.«

Es war nur eine Frage der Zeit, bis er von Ellen seine erste Rüge erhielt. Von je her war sie so etwas wie sein schlechtes Gewissen. Der Fingerzeig auf all seine Eskapaden. Nie hätte sie es gewagt, den Erziehungsstil ihrer Eltern in Frage zu stellen. Trotzdem war sie der Überzeugung, dass eine striktere Gangart hier und da einen anständigeren Menschen aus ihm gemacht hätte. Insbesondere, was sein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht anbelangt. Auch seiner Familie war es nicht entgangen, dass er bei Mädchen stets leichtes Spiel hatte. Darin mag der Grund liegen, warum er es nicht fertig brachte, sie auch ausreichend zu achten, was zumindest bei seiner Schwester regelmäßigen Unmut auslöste.

»Das werde ich, Helen. Ich verspreche es dir. Von nun an werde ich es tun«, versuchte er sie zu beschwichtigen. Seine Demutsgeste war nicht gespielt. Er war schockiert gewesen als er von Roberts Militärdienst erfahren hatte. Robert war ein Junge aus der Nachbarschaft, ebenfalls aus wohlhabenden Verhältnissen. Als Kinder spielten sie oft zusammen und gingen später auf dieselbe Highschool. Sein Vater war Textilfabrikant, doch vor sieben Jahren machte er mit seiner Firma Pleite. Seitdem besaßen die Tannas nichts mehr, außer einen Berg an Schulden, den sie vermutlich nie mehr loswürden. Da Roberts schulische Leistungen nicht für ein Stipendium reichten, jobbte er zunächst und beschloss dann, in die Army einzutreten. Als Gegenleistung würde ihm dann ein Studium gewährt. Insgeheim tat es Michaels Ego außerordentlich gut, ihnen so wichtig zu sein. Und so lange er hier war, würde er genügend Ablenkung haben. Er hatte nicht vor, über das, was er erlebt hatte, zu reden. Ebensowenig wollte er sie damit belasten. Sie hielten die Taucherei ohnehin für gefährlich und wenn sie erfuhren, was passiert war, würden sie erneut versuchen, ihn davon abzubringen. Er wollte seinen Aufenthalt genießen, die Anwesenheit inmitten der Familie, dazu gutes Essen sowie guter Wein und ausspannen. Vielleicht würde er in den nächsten Tagen ein Segelboot mieten, oder im Wald spazieren gehen. Aber ganz sicher würde er mit den Oldtimern herumfahren, die sein Vater in den umfunktionierten Pferdeställen auf dem Grundstück sammelte und aufbewahrte. Nach einigen Stücken vom noch ofenwarmen Apfelkuchen und ein paar Tassen starkem Kaffee war seine Müdigkeit verflogen. Und kurz darauf war die Familie komplett versammelt. Paul Burk war ein hoch gewachsener Mann. Er überragte seinen verstorbenen Vater, seine Kinder und seine Frau sowieso. Er ließ sein Sakko und den Aktenkoffer auf einer Anrichte zurück und eilte zu den anderen in die geräumige Küche. Burk wurde noch streng erzogen und gehörte nicht zu denen, die Menschen umarmen, noch wollte er selber umarmt werden. Ein fester Händedruck musste zur Begrüßung genügen, was nicht hieß, dass er seinen Sohn nicht ebenso liebte wie seine Frau es tat. »Schön, dich endlich wiederzusehen,« sagte er tief ausatmend. »Wie geht es dir, Sohn?« Seine hellblauen Augen strahlten vor Freude, dabei lächelte er erwartungsvoll.

»Gut, Dad. Mir geht es wirklich gut. Wie könnte es auch anders sein, wenn ich hier bei euch bin. Ihr seid schwer gealtert. Du und Mom habt eine Menge neuer Fältchen bekommen.«

»Pass bloß auf, du Spitzbube! Wo ist Derek? Hast du ihn nicht mitgebracht? Oder hätte es einer formellen Einladung bedurft?«, erkundigte er sich. »Er war doch noch nie in Amerika. Das hatte er doch gesagt als wir in London waren, ist es nicht so?« Dabei blickte er auf Trisha und seine Tochter.

»Derek hat einen wichtigen Job zu machen. Es reicht schon, dass ich nicht mit zurückgeflogen bin. Außerdem hat er doch geheiratet, ihr wisst schon.«

»Was ist mit diesem Mädchen aus London?«, wollte seine Mutter wissen. «Seid ihr noch zusammen? Du hast noch gar nichts von ihr erzählt. Wie war doch gleich ihr Name?«

»Nun, sie hieß Sally, aber wir sind nicht mehr zusammen. Wir haben uns äh… auseinander gelebt«.

»Und wie hieß die andere noch gleich?«, kam es jetzt von Ellen.

»Welche andere?«, fragte Michael verdutzt.

»Na die, mit der sie dich erwischt hat!«

»Hört zu! So war das nicht, ...ich schwör’s euch!«, erwiderte Michael und sah dabei angestrengt in die Runde. Keiner von ihnen konnte sich ein hämisches Grinsen verkneifen. »Was ist mit James Cameron?«, fragte Paul Burk, um seinem Sohn Weiteres zu ersparen.

»David Cameron, Dad. James Cameron ist der Regisseur von

,Titanic‘. Der jetzige Premier heißt David.«

»Auch gut. Und, wird er es demnächst noch einmal schaffen?«

»Hat er nicht schon seine zweite Amtszeit?«, redete Trisha dazwischen.

»Nein«, antwortete Michael. »In Europa ist das meist egal. Das Regieren ist dort nicht auf zwei Perioden wie bei uns beschränkt.«

»Was ist aus Tony Blair geworden?«, fuhr Ellen fort. Den fand ich total cool. Ist der jetzt wieder mit seiner Band zusammen?«

»Sie hat Recht«, kam von Michael die Rettung. »Blair spielte während seiner Studienzeit in Schottland in einer Band. Sie nannten sich ,Ugly Rumuors‘. Blair trug tatsächlich lange Haare, aber man warf ihm vor, immer nur Mick Jagger von den Stones zu imitieren.«

»Was trägst du da um den Hals? Ein Souvenir aus dem fernen Osten?«, wollte Paul Burk wissen und deutet auf die Kette.

»So was ähnliches. Ich habe es am Strand gefunden. Aber nun ist es schon kaputt. Ich glaube, es ist ein Drachen«, sagte Michael und holte es unter seinem Shirt hervor.

»Es könnte aber auch ein Seepferdchen sein«, entgegnete Trisha von der Seite.

»Es ist ein Drache, ganz sicher«, beendete Paul Burk die Begutachtung.

Dann war es soweit. Trisha holte nun ihren herzhaft duftenden Braten aus dem Ofen und das Begrüßungsdinner konnte beginnen. Sie aßen lange und saßen noch bis spät in die Nacht hinein zusammen. Dabei redeten sie über Europa, seinen Job in London, von Derek und immer wieder von Europa.

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