Читать книгу 2145 - Die Verfolgten - Katherina Ushachov - Страница 22
20. Avriel Adamski – Atlanta – 08.07.2145
ОглавлениеEr vertraute Ariane. Etwas in ihrem Gesicht schien ihm auf eine instinktive Art vertraut, auch wenn er es nicht benennen konnte.
»Warum bist du also hier?« Sie nippte an ihrem Tee und lächelte ihn freundlich an.
»Warum hast du mich ins Waisenhaus gebracht?«
»Woher weißt du das?« Sie hob beide Augenbrauen.
»Ich habe meine Akte gesehen.«
»Es war der einzige Weg, um dich zu retten. Ich habe behauptet, dass du vor meine Türschwelle gelegt wurdest. Es ist nicht möglich, Babys auf das Mutantengen zu testen. Es kann erst bei Teenagern nachgewiesen werden. Wenn man also nicht weiß, wer deine Eltern sind, dann giltst du automatisch als Mensch.«
Er schluckte immer wieder, aber der Kloß in seinem Hals blieb und drückte ihm die Luft ab. Sie wusste, wer seine Eltern waren. Sie wusste, wer er war.
Sie wusste es.
»Alles in Ordnung? Du bist so still.«
»Es wäre besser gewesen, wenn ich gestorben wäre.«
Sie streckte die Hand aus, über den Tisch hinweg, strich über seinen Ärmel. »Nein. Wäre es nicht.«
»Doch, wäre es.« Mit einem Mal verspürte er das dringende Bedürfnis, sich alles von der Seele zu reden. »Ich weiß erst seit gestern, dass du existierst. Aber andere Hinweise zu meiner Herkunft habe ich nicht.«
Er fühlte sich seltsam, als würde sein Gehirn in einer viel zu engen, mit Watte gefüllten Kiste liegen, als würden seine Gedanken nicht funktionieren, wie er wollte. Avriel fühlte sich hilflos, wollte unbedingt sprechen und konnte nicht, streckte Ariane stattdessen einfach seine ID entgegen.
Ariane las die Daten laut vor: »Avriel Adamski, geboren am 8. Juli 2128 in Atlanta, Verwaltungseinheit Georgia, Großraum Nordamerika, gültig bis zum 21. Januar 2148, wohnhaft in Gordon City, 1.70m groß, blond, grüne Augen, Rasse homo sapiens sapiens.«
Seiner Meinung nach sah er auf dem biometrischen Foto nicht wirklich aus wie er selbst, aber wer tat das schon? Dennoch erkannten ihn die Kameras in der Schule, jedenfalls begrüßte ihn immer eine Roboterstimme am Eingang.
»In einem Punkt hat sich der Aussteller geirrt. Du bist eigentlich ein homo sapiens mutans, wie die Eugeniker unsere Rasse bezeichnen. Ich finde das, wenn ich ehrlich bin, reichlich widerlich, klingt mehr nach Zombie-Apokalypse als nach Wesen, die sich von Menschen kaum unterscheiden.«
Avriel nickte nur. Seit er wusste, was er wirklich war, hatte er sich schmutzig gefühlt, ohne einen Grund dafür angeben zu können. Vielleicht fand Avriel ihre Aussage deswegen so tröstlich, dass er sie spontan umarmte.
Sie wurde leicht rot und schob ihn sanft von sich. Ihre Augen wurden feucht, als ob er etwas Trauriges getan hätte, dabei war es nur eine Umarmung gewesen. Oder hatte er sich das nur eingebildet? Denn im nächsten Moment war ihr Gesicht wieder völlig gefasst.
»Hast du keinen Verdacht geschöpft? Ich meine, man spürt überdeutlich, dass man mutiert.«
»Doch, schon. Ich wollte es aber ignorieren. Vor einigen Wochen habe ich halt Probleme mit der Gesundheit bekommen. Ich konnte auf einmal schlecht atmen, wenn die Luft sehr trocken war. Und wenn die Sonne im Sommer herunterknallte, war ich wie blind. Dann konnte ich immer schlechter schlafen und war aus diesem Grund in der Schule müde. Meine Freundin Valentine …« Er schluckte. Es tat weh, an Valentine zu denken, raubte ihm fast wieder die Sprache.
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, dass sie glaubt, ich wäre ein Mutant, und ich wollte ihr nicht so recht glauben. Weil … ich eigentlich vorhatte, mit ihr eine Familie zu gründen, also was Ernstes … und ich wusste ganz genau, dass das nicht geht, wenn ich wirklich ein Mutant bin … Als ich sie angegriffen habe, war es ein Unfall, und danach … Ich bin auf der Flucht.« Etwas an seiner eigenen Geschichte verwirrte ihn. Nur was?
Auch Ariane schien in Gedanken zu sein. »Warum hast du sie angegriffen? Einfach so passiert das nicht, soweit ich weiß.«
Avriel spürte, wie er rot wurde. »Ich habe sie geküsst und sie hat mich geohrfeigt.«
Ariane nickte. »Und das hat es getriggert. So etwas passiert leider häufiger …«
»Wie kannst du …« Er konnte nicht weitersprechen. Sie hatte das so gesagt, als wäre es etwas Normales, als wäre nichts dabei, wenn ein Mensch getötet wurde. »Sie ist tot! Tot! Und ich …« Er sprang auf und starrte sie an. »Ich will wissen …«
Sie erhob sich und drückte ihn auf den Stuhl. »Sei doch still, ich erkläre dir ja alles, soweit ich kann.«
Aber wie konnte er still sein, wenn es in ihm schrie?