Читать книгу 2145 - Die Verfolgten - Katherina Ushachov - Страница 24
22. Hendryk Richardson – Atlanta – 08.07.2145
ОглавлениеHendryk war müde und hatte es satt, von seinem Vorgesetzten andauernd zur Mutantenjagd abkommandiert zu werden. Warum immer er? Er wollte lieber Innendienst leisten. Wieso bekam er keinen?
Niemand hasste diese ewigen Nachtschichten mehr als Hendryk Richardson. Vermutlich hasste niemand auf der Welt die ganze Sache mit dem Militär so sehr wie er. Unglücklicherweise war er allerdings der Sohn eines großen Generals – der seinen Sprössling natürlich auf die Militärschule schicken musste.
Hendryk wurde nicht gefragt, er hatte in die väterlichen Fußstapfen zu treten. Dass er aber lediglich dazu taugte, ab und zu eine Siedlung abschaumfrei zu halten, verdross den alten Herrn nicht im Geringsten. Im Gegenteil schmeichelte es ihm, seinen Junior unter dem Kommando des Präsidenten zu wissen.
Wow. Das viel gelobte ›Mutantenvernichtungskorps‹. Genau davon hatte Hendryk immer geträumt. Nicht.
Heute allerdings schien sein Glückstag zu sein. Eine aufgeregte Frau hatte gemeldet, sie wäre abends in die Küche gegangen, um ein Glas Wasser zu trinken. Dabei hätte sie neben dem Zigarettenautomaten gegenüber von ihrem Haus einen Jugendlichen gesehen, der so ähnlich aussah wie der Junge auf dem Fahndungsfoto. Also würde es wenigstens schnell gehen.
Es war ja nicht so, als würden solche Nachrichten nicht mindestens einmal pro Woche bei ihnen eingehen und als könnte die Angabe der Frau nicht auf so ziemlich jeden Teenager passen, der die Sperrstunde etwas ausreizte. Aber die Hoffnung starb zuletzt.
Natürlich musste er jetzt mit seinem Squad dieser Geschichte nachgehen, so unglaubhaft sie ihm auch erschien. Das County war groß. Wenn er der Junge wäre, würde er versuchen, über die Grenze in den nächsten Verwaltungsbereich abzuhauen und nicht ausgerechnet nach Atlanta zu gehen. Das war zu dämlich.
Hendryk wusste genau, dass er für einen Milizsoldaten zu viel dachte, aber er konnte nicht anders. Am liebsten wäre er Philosoph geworden oder irgendetwas in der Richtung. Ethiklehrer erschien ihm momentan besonders verheißungsvoll. Alles, nur keine Knirpse jagen, die zufällig der falschen Rasse angehörten. Anderen Mördern jagte man schließlich auch nicht mit einer paramilitärischen Einheit hinterher.
Ihre Patrouille begann in der Nähe des Zigarettenautomaten, neben dem der Mutant angeblich gesichtet worden war. Sie schritten eilig durch die nächtlich leere Stadt und sahen hin und wieder einen Mann oder eine Frau im Schutz der Dunkelheit durch die Straßen huschen. Hendryk fand es höchst angenehm, dass es heute nicht seine Pflicht war, ihre Papiere zu kontrollieren und sie zu verhaften. Sie alle sahen wesentlich älter aus als der Junge, den er finden sollte. Diese Nacht würden andere Patrouillen sie kontrollieren, nicht seine.
Dennoch war er auf der Hut. Eine alte Frau, die sich beim Anblick der Miliz in einen dunklen Hauseingang drückte, ignorierte er. Ebenso das junge Mädchen mit neonblauem Bob, das so laut Inza Nitty hörte, dass er Loopa Moopa Bling King hätte mitsingen können. Der Junge mit der Rasta-Schirmmütze dagegen …
»Halt! Mutantenpatrouille, Commander Richardson. ID vorzeigen. Sie sind wegen des Übertretens der Sperrstunde verhaftet.«
Mit zitternden Knien reichte der Junge ihm eine Plastikkarte, die Hendryk prompt in den Leseschlitz an seinem Dienst-UniCom einführte. Das Gerät piepste kurz, ehe es deutlich vorzulesen begann: »Echtheit der ID bestätigt. Andrew Gray, geboren am 16. Oktober 2132 in Smyrna, Verwaltungseinheit Georgia, Großraum Nordamerika, gültig bis zum 17. Oktober 2147, wohnhaft in Atlanta, 1.72m groß, rotblond, braune Augen, Rasse homo sapiens sapiens.«
»Er ist es nicht.«
»Nein, nein, ich bin es nicht, ich bitte Sie, lassen Sie mich nach Hause und tun Sie mir nichts!«
»Gray, du hast Glück. Wenn du nur ein paar Jahre älter wärst, hätte ich dich verhaftet. Sergeant Westpoint, Sergeant Tubman …« Hendryk drückte ein paar Knöpfe. »Bringt ihn zu seinen Eltern, Auburn Avenue Nummer fünf. Wenn er noch mal nach Sonnenuntergang draußen erwischt wird, zahlen sie eine fette Strafe, trichtert ihnen das ein.« Er nahm die ID aus dem Gerät und steckte sie Gray zu. Der sah aus, als hätte er eben ein Gespenst gesehen.
Gillian Westpoint packte den Jungen grob am Arm und zerrte ihn zusammen mit Amy Tubman fort.
Um ehrlich zu sein war Hendryk mehr als froh, die zwei Mannweiber nicht mehr bei sich zu haben. Er fand die muskulösen, grimmig dreinschauenden Frauen gruselig.
Langsam aber sicher wurden seine Soldaten jedoch unruhig – es war niemand mehr unterwegs, der ins Raster passte, folglich hatten sie nichts zu tun. Und so wie er sie kannte, konnte sie das auf dumme Gedanken bringen.
Bisher hatten sie auf den Straßen gesucht. Er musste … »Jungs, wir bringen den Wärmescanner zum Einsatz. Der Mutant muss noch in Atlanta sein.«
Die Körpertemperatur von Mutanten war besonders nach Einbruch der Dunkelheit wesentlich niedriger als die eines Menschen. Sie würde auf dem Display sofort auffallen und eine Datenbank konnte abgleichen, ob in den Häusern Mutanten gemeldet waren – und wie viele. Es hatte allerdings seinen Grund, warum das Gerät nur im Notfall benutzt werden durfte. Nicht nur seine Klobigkeit und der mühsame Auf- und Abbau, sondern auch die schieren Kosten, die es pro Minute Laufzeit verursachte. An allen Ecken war das Budget gekürzt worden und er fragte sich immer noch, warum.
Drei von Hendryks Männern begannen mit dem Aufbau des Wärmescanners – das Gerät war nicht nur unhandlich, es musste auch zunächst mit Hilfe eines Stirlingmotors auf die nötige Betriebstemperatur heruntergekühlt werden, um selbst durch Wände hindurch brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Er ähnelte am ehesten einem ferngesteuerten Kühlschrank auf Rädern.
Hendryk legte selbst Hand an. Sein Vorgesetzter würde ihm den Kopf waschen, dass er das teure Gerät für so eine Lappalie wie einen jugendlichen Mutanten einsetzte, aber lieber das, als zu versagen. Er schaltete das Gerät an und richtete es auf das erstbeste Haus in seiner Sichtweite – eines der zweistöckigen Einfamilienhäuser, in denen noch Licht brannte.
Zehn Minuten brauchte das Gerät, um einsatzbereit zu sein, und Hendryk starrte nervös auf das Display an seinem UniCom. Hoffentlich war er in der Nähe, der Wärmescanner würde sie bei einer Verfolgung zu sehr behindern.
Volltreffer. Das Gerät zeigte gleich zwei deutlich unterkühlte menschliche Silhouetten in einem Haus in der Nähe. Und eine davon gehörte laut Auswertungsmodul mutmaßlich einem männlichen Teenager.
Hendryk gab die Adresse ein – und stellte fest, dass der junge Mann nicht dort gemeldet war. Die Frau wohnte allein in dem Haus. Zeit für einen abendlichen Besuch. Und danach hoffentlich Feierabend.
Er ließ den Scanner wieder herunterfahren und ging voraus.