Читать книгу Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2 - Kersten Reich - Страница 26

Das Anthropozän als Folge des Kapitalismus

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Im ersten Teil des ersten Bandes sind die Grenzen der Erde im Anthropozän hinreichend beschrieben worden. Aber solche Beschreibungen folgen eher naturwissenschaftlichen Analysen der Faktenlage um die Nachhaltigkeit. Einige Forscherinnen argumentieren, dass dies unzureichend ist: Sie wünschen eine Umbenennung des Anthropozäns in ein Kapitalozän, weil heute der Kapitalismus die Erdgeschichte schreibt. Aber ist es sinnvoll von einem »Capitalocene« zu sprechen?

Wenn Moore und andere (2016) die Argumente zusammenfassen, dann kann die Konstruktion des Anthropozäns mit zahlreichen Inhalten in Richtung Kapitalozän gefüllt werden. Offensichtlich ist eine zunehmende Kapitalisierung aller Märkte, was Auswirkungen bis in die letzten Winkel der Erde hat. Die Strategien der Gewinnmaximierung wirken überall auf der Welt, lokal und global. Sie erzeugen Verwerfungen, die überall auf der Welt zu spüren sind. Und sie bedingen einen Umgang mit der Natur, der in die Nachhaltigkeitskrise führt.

Durch eine solche Argumentation entsteht eine gewisse Begriffsverwirrung. Das Anthropozän beschreibt zwar eine menschengemachte Veränderung des geophysikalischen Zeitalters, besonders sichtbar im Klimawandel, aber dies soll nicht menschliches Verhalten charakterisieren, sondern die Wirkungen, die ökologisch auftreten. Das menschliche Verhalten entspricht eben keinem erdgeschichtlichen Zeitalter, auch wenn es dessen Bedingungen beeinflusst. Aber welchen Nutzen soll es überhaupt haben, wenn immer weitere Zeitepochen, wie sie von Haraway (2016) in Bezug auf die Auswirkungen menschlicher Handlungen konstruiert werden – und es damit um eine menschliche Ereignisgeschichte geht? Mir scheint es auszureichen, wenn begriffen ist, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise der Motor und die Ursache für viele der Veränderungen ist, die wir negativ im Anthropozän erfassen können. In der menschlichen Ereignisgeschichte erfahren wir sie sowohl in der sozialen Ungerechtigkeit als auch in den Effekten der Nachhaltigkeitskrise. Solche Ereignisgeschichte wird je nach selektiven sozialen Interessen aber auch unterschiedlich konstruiert. Viele Menschen deuten beispielsweise den Konsum positiv, weil sie dessen Folgen für die Nachhaltigkeit ausblenden. In der menschlichen Ereignisgeschichte kann diese Ausblendung sowohl einen rigiden Profitkapitalismus als auch einen auf Wohlstand bedachten Konsum miteinander verbinden, um ein erfolgreiches Leben zu bezeichnen. Im Anthropozän aber sind die Maßstäbe andere: Hier wird über die Wirkung der Grenzen der Erde und ihre Auswirkung auf das Überleben auch der Menschen allein durch die äußere Welt entschieden.

Die Menschheit insgesamt profitiert bisher von dem wachsenden Wohlstand, unterschiedlich zwar, wie die Geschichte der sozialen Lagen zeigt, aber das Versprechen spätestens seit der Französischen Revolution lautet, dass bei besonderer Anstrengung alle erfolgreich im Überleben und darauf aufbauend später in den reichen Ländern im Konsum sein können. Freiheit wird zur Konsumfreiheit, Gleichheit zu einem Mindesteinkommen, Brüderlichkeit zu sozialen Netzen in schwierigen Zeiten. Der erreichte materielle Wohlstand der Welt scheint dem zumindest in den Industrieländern, die den Kern der beschleunigten Entwicklung von Ausbeutung der Ressourcen und Verschwendung bilden, bis heute zu entsprechen.

Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2

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