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Eine Geschichte von Rücksichtslosigkeiten

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Ein kurzer Blick zurück kann verdeutlichen, dass die Ereignisgeschichte von Rücksichtslosigkeit nicht nur gegen die Natur, sondern auch gegen die Mitmenschen geprägt ist. Ein Beispiel für die Macht westlicher Industrialisierung und die Inbesitznahme von Ländern als fruchtbarem Boden findet sich in der Besiedlung Amerikas und der Vertreibung der Ureinwohner. Nomadische Kulturen wurden im Sinne westlicher Rationalität ohne Rücksicht vertrieben, um im Kampf um das Territorium die Rechte der stärkeren Waffen durchzusetzen. In solchen Phasen ursprünglicher Akkumulation spielt die Macht eine entscheidende Rolle, nach der Eroberung verwandelt sich die rohe Gewalt in eine Macht des Besitzes. Besonders die amerikanische Gesellschaft, die von Anbeginn auf Freiheit und Demokratie in ihrer Verfassung setzen wollte, war geprägt durch Sklaverei und Genozid an den Ureinwohnern, um Geschäftsinteressen der weißen Einwanderer durchzusetzen. Die Waffenfreiheit, bis heute ein Ausdruck des ursprünglichen gewaltvollen Pioniergeistes der amerikanischen Gesellschaft, wird weiterhin als Mittel der Gewalt genutzt, um die eigenen Besitzrechte zu schützen. Sie gehört zum Lebenskonzept in der Eroberung und heute der schlichten Verteidigung des Erreichten. Der Kampf ums Lokale und Nationale ist seither geprägt durch territoriale Inbesitznahme, Errichtung einer autoritativen Staatsgewalt und langfristige Verrechtlichung der Besitzverhältnisse. Zudem ist es der innere Raum, der die Raumstruktur der gesamten Gesellschaft dann weiter verdichtet, denn dort, wo die Fabriken entstanden, wurden auch die beengten Wohnräume der Arbeitenden gebaut und als Städte geformt.

Die Nicht-Nachhaltigkeit hat sich im Kapitalismus zu einem Standard-Lebensmodell entwickelt: Der innere Raum in den Ländern ist in der Industrialisierung durch grundlegende Veränderungen in der Verdichtung und Verzweigung geprägt. Die Anzahl der Städte nimmt immer weiter zu, und sie wachsen durch Zuzug von Arbeitskräften und ein Anwachsen der Bevölkerung insgesamt. Infrastrukturen werden ausgebaut, Verkehrswege werden zum Transport von Waren und Menschen sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße immer weiter entwickelt, es entsteht ein dichtes Netz immer stärker beschleunigter Transportmöglichkeiten. In der Infrastruktur werden Gebäude für Gesundheit, Erziehung, Verwaltung, Kulturrepräsentation und Denkmäler errichtet; Kanalisation, Beleuchtung, Gasversorgung, Elektrizität und Telefon prägen den Ausbau, der heute als selbstverständlich erscheint, aber in der menschlichen Geschichte eine noch junge technische Revolution darstellt. Die Städte entwickeln auch Naherholungsgebiete wie Parks und Freizeitanlagen. Große Teile des Ausbaus erfolgen zunächst unreguliert, später versuchen Bauordnungen mit mehr oder minder Erfolg, den Städten ein Profil zu geben. Insbesondere der Wohnraum der Masse der arbeitenden Bevölkerung ist verdichtet, überbelegt und schlecht ausgestattet. Auch diese Altlasten sind bis in die Gegenwart Teil einer meist vergessenen Nachhaltigkeitsagenda.

Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2

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