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Die Ausgangslage: Neoliberal und schwer berechenbar

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Im Zirkel von Zusammenschlüssen und Verkleinerungen erscheinen komplementäre Strategien der Gewinnmaximierung: erst Gewinne durch Zusammenlegung, dann Gewinne durch Verkleinerung, dann wieder Zusammenlegung und so fort. Die beschäftigte Arbeit wird zum Faustpfand einer Gewinnberechnung mit Arbeitsmigration, Leiharbeiten und Scheinselbstständigkeiten, die Spekulation zum großen Geschäftsmodell bei verringerter Arbeitslast. Das Problem aber bleibt, dass die vielen Menschen, die arbeiten, um zu leben, auf das Kapital, das Arbeit scheinbar großzügig als Lohn und Einkommen »gibt«, angewiesen bleiben. Die Herrschaftsverhältnisse haben sich jedoch in Richtung eines wachsenden Kapitals verschoben und sind zugleich flüssiger, abstrakter, undurchschaubarer geworden. Persönlich kann der jeweilige Kapitalist, der hinter undurchsichtigen Firmenkonstruktionen steht, immer weniger ausgemacht werden. Die ihm angedichtete soziale und nachhaltige Verpflichtung für das Allgemeinwohl ist eher Wunsch als Wirklichkeit. Und die staatlichen Bürokratien der regulierenden Moderne, die steuernd im Sinne der Allgemeinheit und des Überlebens in der Nachhaltigkeit wirken könnten, zeigen sich im beschleunigten Kampf selbst als zunehmend vom Kapital abhängig und selten fähig, für einigermaßen gerechte Verteilungen und nachhaltige Zustände zu sorgen. Aus einer liberalen Wirtschaftspolitik in Zeiten der Industrialisierung wurde in den letzten Jahrzehnten eine neoliberale Entfesselung aller Märkte.

Die neoliberale Verflüssigung hat vor allem die Finanzströme und die Gewinnchancen des Kapitals beschleunigt. Beginnend 1970 – mit der Aufhebung der Währungssicherung durch Goldreserven – entstand ein Papiermarkt der Geldgeschäfte, der seine wirkliche Beschleunigung dann in den digitalen Wertzurechnungen und Echtzeiten des Internets finden konnte (zur Geschichte vgl. Ferguson 2008). Die Digitalisierung ist nur ein äußerer Begriff für eine Vielzahl an algorithmischen Operationen, die Informationen aufbereiten und verarbeiten. So wie die Finanzströme nach eigenen Algorithmen konstruiert und gelenkt werden, so werden auch die Wissensströme im Internet verteilt und in Suchmaschinen aufbereitet. In der Kürze der Zeit, seit dieses System existiert, hat es die Menschheit in völlige Abhängigkeit von fast jeglicher Informationsverarbeitung, der digital aufbereiteten Geldströme und ihrer Verwertbarkeit, des Wissens und seines Einsatzes, gebracht, und es dient immer mehr als virtuelles Gedächtnis der Menschheit. In einer Mischung aus Nachrichten (news) und Täuschungen (fake news), aus lokaler Sprache und Englisch (sowie zunehmend Chinesisch) als überwiegend globaler Sprache, aus Anwendungsfenstern und Programmiersprachen, aus öffentlich zugänglichen und kommerziell erwerbbaren Informationen wächst dieses Netz von Tag zu Tag und macht durch interne Automatisierungsvorgänge, durch Bebilderung und Videos alle Seiten der flüssigen Moderne einsehbar und verständlich, ohne dass man das, was geschieht, umfassend verstanden haben muss. Eine beobachtende Teilnahme ist scheinbar alles, was notwendig ist, eine aktive Teilnahme scheint in dieser Beobachtung bereits eingeschlossen und mitgekauft zu sein.

Für die meisten Menschen bleibt vor diesem Hintergrund die Arbeit ein notwendiger Teil ihrer Überlebensstrategie, um daraus Mittel zu gewinnen, die durch die Art des Lebens geprägt sind: Konsum. Je mehr die auf Wachstum orientierte kapitalistische Produktion an Wachstum generiert, je mehr dabei auch ein zwar ungleich verteilter, aber dennoch erkennbarer Überfluss bei fast allen Menschen ankommt, desto mehr tritt der Konsum als Bezugspunkt und Spannungsverhältnis gegenüber den Wirkungen der Lebensweise auf die Natur und Umwelt auf. Um dieses Spannungsverhältnis soll es in den folgenden vier Unterkapiteln gehen:

Zunächst erörtere ich im Folgenden Veränderungen in der Wahrnehmung von Geschwindigkeit, Beschleunigung und Verdichtung des Raums, die in der neoliberalen Entwicklung auftreten.

Anschließend wird der Konsum als Vorstellung und wesentliches Ziel im neoliberalen Kapitalismus beschrieben, wobei darauffolgend gezeigt wird, dass es dabei eine durchgehende Kapitalisierung alles Nachhaltigen gibt. Abschließend will ich erörtern, wie sich die Ströme der Gewinne und die Tropfen der Nachhaltigkeit gegenüberstehen.

Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2

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