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VINH – Siegreich

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1954 SPALTETE DER SIEBZEHNTE BREITENGRAD Vietnam in zwei Teile. Der 30. April 1975 markierte eine Grenze zwischen dem Davor und dem Danach, zwischen dem Ende des Krieges und dessen Folgen, zwischen der Macht und der Angst. Davor hörten wir Hàs Lachen, sobald sie den Motor ihres Rollers abgestellt hatte. Fröhlich spielte sie mit den Kindern auf der Straße Himmel und Hölle, neckte den Gärtner damit, wie unwiderstehlich er in seinem fadenscheinigen Hemd aussehe, und fürchtete sich auch nicht, wenn unsere Wachhunde sie anbellten … Danach heiratete Hà einen General aus Vinh, einer Stadt im Norden, die völlig zerbombt, aber noch voller umherirrender Seelen war, darunter die Eltern des Generals, die er nicht wiedergesehen hatte, bis sie unter den Trümmern begraben waren. Ohne diesen General wäre Hàs gesamte Familie in die unbewohnbaren Sumpfgebiete geschickt worden, die sich »Neue Wirtschaftszonen« nannten.

Als Gattin des Generals durfte Hà weiterhin Englisch unterrichten und musste für ihre Monatsration an Zucker, Reis und Fleisch nicht Schlange stehen. Niemand wagte es, abfällige Kommentare über die Frauen zu machen, die eine solche Entscheidung getroffen hatten. Doch die Blicke der anderen verletzten Hà genauso wie die Schläge des Generals, die sie ergeben hinnahm. Ihren Eltern blieben die Geräusche, die ihre Unterwerfung verrieten, nicht erspart, weil sie nur durch einen neu aufgehängten Vorhang von ihnen getrennt war. Um sich nicht wie Tiere auf den General zu stürzen, schwiegen die Eltern. Stellten sich tot. Sie hatten Angst, Hà könnte dem Beispiel ihrer Nachbarin folgen, die sich eine Kugel in den Kopf gejagt hatte, nachdem es ihr gelungen war, ihren Mann aus dem Umerziehungslager zu holen, indem sie sich auf das Zusammenleben mit einem hochrangigen Militär aus dem Norden einließ. Der neue Mann stimmte der Befreiung ihres Mannes und dessen Flucht mit ihren Kindern auf einem Boot zu. Als sie weg waren, drückte sie auf den Abzug, um sich selbst zu befreien.

Meine Mutter umsorgte die neue, ungeschminkte und dunkel gekleidete Hà mit derselben Aufmerksamkeit wie zuvor. Stets hielt sie Watte bereit und eine Tinktur, mit der sie alle Wunden versorgte. Dieser Heilpflanzenauszug in Reisschnaps, behauptete die Familientradition, habe den von Bombensplittern aufgerissenen Hals eines Cousins wieder anheilen lassen und bei einer Nachbarin, die von einer eifersüchtigen Ehefrau mit Säure bespritzt worden war, die Infektion der Verätzungen verhindert, außerdem brächte er blaue Flecken zum Verschwinden, noch bevor die Tränen getrocknet seien.

Hatte Hà vor ihrer Hochzeit mit dem General noch stolz ihre geschminkten Lider gezeigt, so verbarg sie seit dem Beginn ihres Ehelebens ihre blau geschlagenen Augen unter einer breiten Hutkrempe. Ich hatte das Gefühl, dass sie immer kleiner wurde, nicht nur wegen der flachen Plastiksandalen, mit denen sie durch die Gegend schlurfte, sondern auch, weil ihr lautes Lachen fehlte. Sie ging die Stufen hinauf wie ein Schatten, um sich gut in das Schweigen einzufügen, das über dem ganzen Land lag. Die Schlüssellöcher ließen keine heimlichen Gespräche durchsickern. Die Winde wehten, ohne Worte oder Musik mit sich zu tragen. Durch die Luft flogen nur die von Lautsprechern ausgestrahlten Mitteilungen der Regierung, die zum Großkehrtag riefen, an dem sämtliche Bewohner des Viertels gleichzeitig ihre Besen schwingen und die Straßen fegen mussten; die einen Prozess gegen einen ehemaligen Anwalt ankündigten, der von drei Nachbarn verurteilt wurde, weil er es gewagt hatte, in einem Streit den Code Napoléon zu zitieren; die Familien denunzierten, weil sie zu fröhlich Hochzeit gefeiert oder zu heftig um einen geliebten Menschen getrauert hatten… Möglicherweise nutzte meine Mutter diese öffentlichen Ankündigungen auch, um Hà die Adresse eines Schleppers zuzuflüstern, der uns aus Vietnam wegbringen könnte.

Die vielen Namen der Liebe

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