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1.4.2 Fachliche Orientierungen
ОглавлениеFachdiskurs
Im aktuellen Diskurs in der Sozialen Arbeit haben sich einige handlungsleitende Orientierungen durchgesetzt, die für KOFA zentral sind. Eine KOFA-Fachperson tritt in die Privatsphäre einer Familie ein und tut dies in der Regel im Auftrag einer Behörde, die ein genaueres Bild über die Situation in einer Familie erhalten will resp. eine Veränderung in der Familie für nötig erachtet. Damit eine solche – häufig unfreiwillige – Intervention gelingen kann, braucht es klare fachliche Orientierungen für die Fachpersonen. Orientierungen und Standards einer Profession verringern die Subjektivität und helfen, das Eindringen in die Privatsphäre zu legitimieren. Es folgen einige für die Familienarbeit bedeutsame Orientierungen der Sozialen Arbeit.
Lebensweltorientierung/Netzwerkarbeit
Lebensweltorientierung ist ein Handlungskonzept der Sozialen Arbeit, bei dem das Einbeziehen und Sich-Einlassen auf die unterschiedlichen Lebenswelten von Klienten/Klientinnen im Zentrum steht. Analyse und Intervention ergeben sich aus einer sozialökologischen, sozialräumlichen Perspektive (Bronfenbrenner, 1982), die den Blick öffnet für die Schutz- und Risikofaktoren in der Lebenswelt [31] der Familien. Dies geschieht in Partizipation mit den Familien und setzt Achtung für andere Lebensentwürfe voraus (vgl. Grunwald & Thiers, 2004). Fachpersonen lassen sich leiten vom Wissen, dass das Verhalten einzelner Personen im Rahmen einer spezifisch strukturierten Lebenswelt entsteht, in diesem Lebensraum bedeutsam ist und in diesem Rahmen verändert werden kann.
In der KOFA-Methodik werden die Lebenswelt und das Netzwerk differenziert erfasst und beschrieben unter Berücksichtigung folgender Merkmale:
> Strukturelle Merkmale
Familien stehen im Austausch mit bedeutsamen Sozialisationssystemen in der Lebenswelt (Schulen, Vereinen, Arbeitsorten, Kirchen etc.). Es geht darum, diese Systeme zu beschreiben: welche Systeme sind bedeutsam, welche Personen sind wichtig, und wie sind diese erreichbar?
> Funktionale Merkmale
Eine zentrale Frage ist, inwiefern das Netzwerk für Bedürfnisse und Anliegen der Familie als Schutzfaktor genutzt werden kann (Art der Kontakte, Frequenz, Bedeutung), und welche Risikofaktoren in der Lebenswelt wirksam sind.
KOFA ermittelt Systeme, Personen und Potenziale in der Lebenswelt während der Diagnostik und nutzt vorhandene Schutzfaktoren für die Interventionsgestaltung. KOFA-Interventionen tragen bei zu einer guten Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren und Systemen in der Lebensweil.
Empowerment
Empowerment ist ein Handlungskonzept, das ausgerichtet ist auf Ermächtigung und Dialog statt auf Disziplinierung, Einmischung und Eingriff. (vgl. Herriger, 2014; Hintermair, 2014)
KOFA konkretisiert die Orientierung am Empowerment-Konzept wie folgt:
> Autonomie und Selbstbestimmung
Den Familienmitgliedern (Eltern und Kindern) steht das Recht zu, ihren Alltag so autonom und selbstbestimmt wie möglich zu gestalten. Familien haben ihre eigene Familienkultur, die es zu respektieren gilt, sofern keine übergeordneten Werte oder Gesetze verletzt werden.
> Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen im Fokus
Interventionen sind so zu konzipieren, dass Familienmitglieder ihre Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen im Alltag erleben, nutzen und erweitern können.
> Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten
Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten im Alltag reduzieren Gefühle von Hilflosigkeit, Machtlosigkeit und Fremdbestimmung bei den Familienmitgliedern. Eine transparente Prozessgestaltung erhöht die Chancen der Beteiligung und der Verantwortungsübernahme.
> Prozesse der Selbstgestaltung
KOFA regt Selbstgestaltungsprozesse an, fördert und unterstützt das Vertrauen in die eigenen Handlungsmöglichkeiten (Erhöhung der Selbstwirksamkeit).
Die Umsetzung des Empowerment-Ansatzes im Alltag der Familienarbeit sind auch Grenzen gesetzt:
> Grenzen bei Selbst- und Fremdgefährdung
[32] Wenn andere Personen bedroht, eingeschüchtert oder erpresst werden, wenn offene Gewalt angewendet wird oder eine Selbstgefährdung vorliegt, setzen Kontrolle und schützende Interventionen ein, weil nur so das Kindeswohl und die Sicherheit in der Familie gewährleistet werden können.
> Grenzen bei behördlicher Anordnung
Nicht immer erfolgt Familienhilfe auf der Basis von Freiwilligkeit. So entsteht eine nur schwer zu lösende paradoxe Situation: Prozesse der Ermutigung und Verantwortungsübernahme sind mit Zwang schwer in Einklang zu bringen. In der Familienarbeit ist die Situation des Zwangs häufig bei einer Abklärung des Kindeswohls gegeben – entsprechend anspruchsvoll ist die Balance zwischen der behördlichen Anordnung, Selbstgestaltungswünsche der Familienmitglieder und dem Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung in der Familie (Herriger, 2014; Pankofer, 2000). Wolf spricht in diesem Zusammenhang vom Spannungsverhältnis zwischen kontrollierenden und helfenden Elementen und diskutiert Voraussetzungen für konstruktive Wirkungen (Wolf, 2012, S. 215-235).
Transparenz und Partizipation
KOFA legt großen Wert auf eine transparente Prozessgestaltung. Die Familienmitglieder sollten wissen, was geplant ist, wer für was zuständig ist, welche Schritte zu tun sind etc. Berichte werden mit der Familie besprochen und von den Eltern mitunterzeichnet. Nur bei vorhandener Transparenz ist Partizipation, d.h. Beteiligung und Verantwortungsübernahme, überhaupt möglich. Speziell zu beachten ist dabei der Kindeswille, d.h. der Miteinbezug der Sichtweisen und Veränderungswünsche der Kinder (vgl. Detterborn, 2007)
Im Falle einer Kindeswohlgefährdung kann die Transparenz von Seiten der Behörden teilweise eingeschränkt werden. So kann es nötig sein, dass ein Bericht der zuständigen Behörde unterbreitet werden muss, bevor die Familienmitglieder den Bericht gelesen haben. Wenn immer möglich sind die Kontakte mit der Familie jedoch so transparent zu gestalten, dass klar ist, wie Informationen gesammelt werden, wer die Informationen fachlich verarbeitet und wer über nächste Schritte entscheidet.