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1.5 Welche Hilfe für wen? 1.5.1 Indikation

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[33] Eine Indikation gibt Antwort auf die Frage, welche Hilfe für das fragliche Klientsystem als geeignet und notwendig eingeschätzt wird. Hauptindikation für eine aufsuchende Familienintervention nach KOFA ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Familiensystems. Die Bewältigung alltäglicher Aufgaben ist gefährdet, und/oder es besteht Unklarheit über die Sicherheit und die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder in der Familie. Ob für die Diagnostik und/oder Intervention die Präsenz im Familiensystem notwendig ist, muss für gegenüber anderen Hilfeformen (z.B. Beratung der Eltern, Elternkurse, Familienrat, Fremdplatzierung) abgewogen werden.

Zwei Indikationstypen – verschiedene KOFA-Module

In der Literatur zu Interventionsprogrammen in Familien werden zwei Indikationstypen unterschieden (Bakker et al., 2000, S. 19ff):

> Familien, in denen primär Erziehungsprobleme auftreten

> Familien, in denen sich Probleme in mehreren Bereichen manifestieren (so genannte Multiproblem-Familien)

Typus 1: Erziehungsprobleme der Eltern im Fokus

Die Kerndiagnose für diesen Typus ist die Überforderung der Eltern bei einer begrenzten und im Ansatz bekannten Auswahl von Erziehungsaufgaben. Die geeignete Hilfe richtet sich entsprechend aus auf die Erweiterung der Fähigkeiten der Eltern. Sie setzt auf die Verbesserung des Wissens der Eltern (Psychoedukation), auf die Verbesserung der Interaktion zwischen Eltern und Kindern (eventuell mit Unterstützung durch Videoaufnahmen) sowie auf die Strukturgebung im Alltag der Familie.

Bei diesem Indikationstypus ist zu prüfen, ob allenfalls ambulante Beratung, Elternbildung oder Erziehungskurse geeigneter sind. Diese Möglichkeiten gibt es vor allem bei Eltern mit guten kognitiven Möglichkeiten und klarer Veränderungs- und Lernmotivation. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Familien erhebliche Schwierigkeiten haben, Gehörtes aus eigener Kraft und über längere Zeit in ihren Alltag zu integrieren.

Sind die Erziehungsprobleme noch nicht klar genug erkannt, wird die Situation insgesamt aber nicht als gravierend oder dringend eingestuft, besteht die Indikation für eines der Interventionsmodule, die immer mit einer Diagnostikphase starten, in der die Situation in der Lebenswelt der Familie differenziert erfasst wird.

Für fokussierte Fragestellungen des Typus 1 (z.B. bei Problemen mit oder in der Schule) gibt es folgende KOFA-Interventionsmodule (siehe für Detailbeschreibungen Kap. 5): KOFA-Schule, KOFA-6-Wochen oder KOFA-6-Monate ggf. mit Videounterstützung (Video-Home-Training VHT, Brümmer & ter Horst, 1997; Marte Meo, Aarts, 2002).

Typus 2: Multiproblem-Familien

[34] Bei Multiproblem-Familien haben wir es mit komplexen Belastungen zu tun, die meist gleichzeitig und in Wechselwirkung auftreten (z.B. Sozialhilfeabhängigkeit in Kombination mit Suchtproblemen und häuslicher Gewalt). Häufig bestehen die Probleme bereits seit längerer Zeit – teilweise über Generationen. Mehrere Alltags- und Entwicklungsaufgaben der Eltern und der Kinder können mit den vorhandenen Fähigkeiten der Familienmitglieder, mit den Ressourcen in der Familie und in der Lebenswelt nicht genügend gut bewältigt werden. Konkrete Problemkonstellationen in Multiproblem-Familien können (einzeln oder in Kombination) sein:

> Erziehungsprobleme der Eltern: Überforderung in der Aufgabe als Mutter bzw. Vater, konflikthafter Alltag, mangelnde Einfühlung in die kindlichen Bedürfnisse, Desorganisation des Haushalts, mangelndes Wissen über kindliche Entwicklung und über Erziehung

> Gewalt gegen Kinder, sexuelle Misshandlung, Vernachlässigung der Kinder

> Suchtprobleme der Eltern und/oder der Kinder

> Psychische Erkrankung der Eltern/eines Elternteils und/oder der Kinder

> Beziehungsprobleme der Eltern: Konflikte, Trennung, Scheidung

> Verhaltensprobleme der Kinder wie Hyperaktivität, Verhaltensprobleme, Lern- und Leistungsschwierigkeiten in der Schule, Schule schwänzen, Delinquenz, Aufsässigkeit gegen die Eltern, Hemmungen und selbstschädigendes Verhalten

> (Drohende) Fremdplatzierung eines Kindes (Pflegefamilie, Heim o.ä.)

> Geistige Behinderung der Eltern/eines Elternteils

> Migrationshintergrund, kulturelle Konflikte in der Familie

> Gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut, Schulden, Wohnprobleme

Aus solchen mehrfach belasteten Familien treffen häufig Gefährdungsmeldungen bei den zuständigen Behörden ein, z.B. von der Polizei, vom Hausarzt, aus der Schule oder aus der Nachbarschaft. Personen im Umfeld der Familie machen sich Sorgen über die Sicherheit und über die Entwicklung der Kinder in dieser Familie. Vereinzelt macht auch die Mutter resp. der Vater selber eine entsprechende Meldung – z.B. aus Anlass eskalierender Paarkonflikte oder bei drohender Fremdplatzierung der Kinder.

In diesen Familien ist eine umfassende Diagnostik in der Lebenswelt mit KOFA-Intensivabklärung indiziert. In vier bis sechs Wochen erarbeitet eine KOFA-Fachperson mit den Standardinstrumenten für eine Abklärung sowie mit weiteren Instrumenten für die Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung (siehe Kap. 4) einen Indikationsbericht zuhanden der Kindesschutzbehörden, welcher Antwort gibt auf die von der Behörde formulierten Fragen. Im Bericht werden Empfehlungen für geeignete und notwendige Interventionen formuliert (z. B. Modul KOFA-6-MonatePLUS oder eine Fremdunterbringung).

Auch das Modul KOFA-6-Wochen ist bei einer Krise in einer mehrfach belasteten Familie indiziert, um die Krise zu bewältigen und eine allfällige Platzierung eines oder mehrerer Kinder zu verhindern.

[35] Zu Beginn der KOFA-Entwicklung wurde dieses Modul häufig genutzt (vgl. Cassée et al., 2010), zurzeit (2018) ist es aber weniger nachgefragt. Ganz anders als in Deutschland, wo diese 6-wöchige Krisenintervention als Angebot des FamilienAktivierungsManagements FAM (Pieper, 2013) rege nachgefragt wird.

KOFA-Manual

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