Читать книгу Indienfahrt 1965 - Klaus Heitmann - Страница 14

11

Оглавление

Gegen zehn Uhr morgens trafen Franz und Werner mit den Autopapieren ein. Während wir uns fertig machten, kamen auch die Bremer vorbei, die wir in Ankara getroffen hatten, und hielten ein Schwätzchen mit uns. Wir machten uns auf den Weg und drangen, eine lange Staubwolke hinter uns herziehend, weiter in die schier endlose Weite des kahlen anatolischen Hochlandes vor. Jedes Mal, wenn uns ein Fahrzeug begegnete, mussten wir die Fenster hochkurbeln, damit wir nicht in dessen Staubwolke erstickten. Im Wagen wurde es dann schnell brütend heiß.

Wir waren noch nicht lange gefahren, als es zu einer neuen psycho-sozialen Explosion kam. Die Straße, die wir befuhren, war voller Schlaglöcher und hatte immer wieder Strecken mit Waschbrettoberfläche, wie sie die Starrachsen der Lastwagen erzeugen. Vikram, der am Steuer saß, hatte offenbar wenig Erfahrung mit Straßen dieser Art und fuhr drauf los. Auf den Waschbrettstrecken fand er nicht das richtige Tempo, weswegen der Wagen derart in rhythmische Schwingungen geriet, dass man befürchten musste, jede Schraube werde sich lösen. Nichts aber zehrt mehr an den Nerven des Mitfahrers und Miteigentümers eines Autos, um das er sich ohnehin Sorge machte, als das nicht endenwollende Rütteln, welches das Waschbrett zur Folge hat. Zudem schien Vikram von den Schlaglöchern geradezu angezogen zu werden, mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Insassen des Wagens, sondern auch unser sorgfältig gestapeltes Gepäck immer wieder kräftig durcheinander gewirbelt wurde. Die Mannschaft schwieg gespannt. Ich aber konnte, wiewohl ich wusste, dass Vikram die Entscheidungsgewalt in Sachen Auto für sich beanspruchte, nach einiger Zeit nicht mehr an mich halten, und bemerkte, dass der Wagen diese Fahrweise wohl nicht sehr lange durchhalten werde. Vikram reagierte erwartungsgemäß heftig und grundsätzlich. Er behauptete, man dürfe in einer Gemeinschaft nicht alles kritisieren, attestierte mir Kritiksüchtigkeit und warf mir, einmal in Fahrt gekommen, gleich auch noch vor, dass ich undankbar und verzogen sei. Daraus entwickelte sich eine generelle Diskussion über kritisches Denken und darüber, dass dieses in Europa einen anderen Stellenwert als in Asien habe. Ich vertrat den, wie ich meinte eigentlich selbstverständlichen Standpunkt, dass problematische Fragen, welche die Gemeinschaft betreffen, von Mitgliedern der Gemeinschaft auch angesprochen werden können und gegebenenfalls sogar müssten, und zwar notfalls auch dann, wenn dies zu Unruhe in der Gemeinschaft führen könne. Als Beispiel nannte ich das Verhalten der Künstler und Intellektuellen, die sich 1933 gegen den allgemeinen Enthusiasmus für Hitler wandten. Hätten die etwa schweigen sollen? Vikram fand meine Grundthese keineswegs selbstverständlich und war auch von meinem Beispiel nicht sonderlich beeindruckt. Er verstieg sich vielmehr zu der Feststellung, dass man um des lieben Friedens willen in der Regel schweigen müsse. Als sein Beispiel führte er sein Verhalten in Belgrad bei der Entscheidung darüber an, ob man für die Reparatur des Wagens gebrauchte Teile verwenden solle. Als erfahrener Autokenner habe er natürlich gewusst, dass dies falsch gewesen sei. Nachdem aber alle froh gewesen seien, eine billige Lösung unseres Problems gefunden zu haben, habe er geschwiegen. Dieses Ausmaß an Kritiklosigkeit machte mich fassungslos, zumal ich den Verdacht nicht los wurde, dass Vikram mit dieser Argumentation nicht zuletzt seine eigene Immunisierung gegen Kritik betrieb. Erregt warf ich ihm vor, es sei eine Schweinerei, wenn er uns sehenden Auges in eine Falle habe laufen lassen. Daraufhin drehte Vikram den Spieß kurzerhand herum und stellte fest, dass ich das ganze Desaster zu verantworten habe. Schließlich hätte ich unter Berufung auf meine große Erfahrung mit VW-Motoren die überhöhten Grenzgeschwindigkeiten für den Gangwechsel durchgedrückt, indem ich die Mitglieder der Gruppe auf eine Weise beeinflusst habe, die ihren Willen ausgeschlossen habe. In der Annahme, dass ich auch in ihrem Sinne gesprochen habe, suchte ich Hilfe bei Franz und Werner. Franz mogelte sich aber aus der Sache mit dem Argument heraus, er könne sich nicht mehr daran erinnern, wie die Entscheidung seinerzeit zustanden gekommen sei. Und Werner, der gerne den überlegenen Weltmann gab, tat, wie immer bei unseren Streitereien, als ginge ihn dies alles nichts an. Gertrud hielt natürlich zu Vikram und Jitendera spitzte den Streit mit der Behauptung zu, ich hätte Vikrams Fahrstil ganz allgemein kritisiert, wozu ich nicht das Recht habe. Er wurde hektisch und verfiel wieder in jene geradezu kindlich-eigensinnige Verhaltensweise, in der er sich verteidigte, als ginge es um sein Leben. Damit war der Sündenbock eindeutig bestimmt und sein Status in unserer zusammen gewürfelten Truppe vorläufig definiert. Man verlangte von mir, dass ich künftig schweigen solle, was ich um des lieben Friedens willen unter Aufrechterhaltung eines mentalen Vorbehaltes konzedierte.

Über diese Diskussionen begann unser Abstieg vom Hochland hinunter zum Schwarzen Meer. Die Landschaft wurde wieder grün und vielfältig, was auch die Stimmung hob. Bei Samsun erreichten wir die Küste, wo wir uns, da es inzwischen dunkel geworden war, direkt am Strand niederließen. Im Mondlicht leuchteten die sich brechenden Wellen auf.

Indienfahrt 1965

Подняться наверх