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Signalnormierung oder Müller’sche Mimikry

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„Fritz“ (eigentlich Johann Friedrich Theodor) Müller, ein nach Brasilien ausgewanderter Deutscher, der sich als ausgezeichneter Naturforscher von Darwin die Ehrenbezeichnung eines „Fürsten der Beobachter“ verdiente, entdeckte einen Fall von Ähnlichkeit bei zwei nicht verwandten Schmetterlingen, die beide ungenießbar sind. Kennzeichen Müller’scher Mimikrysysteme sind mehrere ungenießbare Arten, die dasselbe Warnsignal nutzen. Sie erfüllen damit nicht das Kriterium der Signalfälschung, wie schon ihr Entdecker Fritz Müller (1879) ebenfalls an neotropischen Schmetterlingen erkannte, und sind daher besser als Signalnormierung denn als Mimikry zu bezeichnen. Müller führte in dieser Arbeit die mathematische Behandlung in die Evolutionsökologie ein, indem er den Vorteil der Ähnlichkeit zweier giftiger Arten, der durch die geringeren Verluste aufgrund der Ähnlichkeit entsteht, einfach berechnete. Es kann leicht der Eindruck entstehen, dass Müller’sche Mimikrysysteme nur Gewinner kennen: Die ungenießbaren Arten, die ein gemeinsames Warnsignal nutzen, profitieren gegenseitig von ihrer Schutzwirkung, und einem Räuber bleiben dadurch viele unangenehme Erfahrungen erspart. Doch theoretische Überlegungen von Speed (1993) kommen zu einem anderen Ergebnis. Nur selten werden die beiden mit ähnlichem Warnsignal ausgestatteten Beutearten für Prädatoren genau gleich ungenießbar sein. Selbst wenn sie sich nur wenig in ihrer Ungenießbarkeit unterscheiden, sollte ein Räuber zumindest in Notzeiten die eher genießbare Beute vorziehen, wenn er sie nur unterscheiden könnte. Wenn giftige Inhaltsstoffe zweier ähnlicher Arten nicht additive, sondern synergistische Wirkungen entfalten, profitiert der Räuber, wenn er sich auf eine Beuteart beschränkt, selbst wenn beide Arten für sich gleichermaßen ungenießbar sind. Unter diesen besonderen Umständen werden beide giftigen und mit Warnfarben ausgestatteten Arten gleichermaßen zu Vorbild und Nachahmer. Menschliche Probanden, die am Computer nach „Beute“ suchten, zeigten, dass der „Räuber“ nicht die Genießbarkeit verschieden aussehender Beutetiere erlernt, sondern ungenießbare „Beute“ anhand von bestimmten Merkmalen vermeiden lernt, die sie von genießbarer „Beute“ unterscheidet (Beatty et al. 2004).

Besonders komplex sind die sympatrischen Mimikryringe wie sie beispielsweise in den tropischen Regenwäldern Süd- und Mittelamerikas vorkommen. Was versteht man darunter? James Mallet und Lawrence Gilbert (1995) arbeiteten in einem sehr kleinen Gebiet im Corcovado Nationalpark in Costa Rica. In diesem Gebiet fanden sie fünf Mimikryringe, deren Falter untereinander sehr ähnlich sind. Alle Falter haben eine schwarze Grundfarbe (▶ 3):


▲ 3 Mimikry-Ringe in einem tropischen Regenwaldgebiet im Nationalpark Corcovades in Costa Rica. Die Abbildung zeigt die Lage der Schlafplätze von Heliconius-Arten und einigen anderen Faltern aus drei Mimikry-Ringen. Jeder Falter ist im schematisch abgebildeten Regenwald in der mittleren Schlafplatzhöhe abgebildet. Ein Balken in der Farbe des Mimikryringes gibt die Standardabweichung der Schlafplatzhöhe an. (Nach Mallet & Gilbert 1995)

 Der Rote Ring zeichnet sich durch eine rote Vorderflügelbinde aus. Ihm gehören Heliconius melpomene und H. erato an.

 Der Gelbe Ring ist durch zwei gelbe Vorderflügelbinden gekennzeichnet. Dazu zählen H. hewitsoni und H. pachinus sowie die ähnlichen H. sara und H. doris.

 Der Tiger-Ring mit gelbem Punktmuster auf den Vorderflügeln und roten Hinterflügeln besteht aus H. ismenius, H. hecale, Melinaea scylax und Tithorea tarricina.

 Dem Orange-Ring mit stark orangefarbenen Arten gehören Dryas iulia, Dione juno, Agraulis vanillae, Dryadula phaetusa, Eueides aliphera, E. lybia und E. vibilia an.

 Der Transparente Ring besteht aus den Arten mit teilweise transparenten Flügeln. Bei nicht nah verwandten Arten kann die Durchsichtigkeit der Flügel ganz verschieden erreicht werden; durch fehlende Schuppen, durchsichtige oder hochgestellte Schuppen. In ihrer Studie behandelten die Forscher die Arten des Transparenten Ringes wegen ihrer abweichenden Ökologie nicht.

Wie kommt es zur Koexistenz von fünf Mimikryringen in einem eng begrenzten Gebiet? Die an den einzelnen Mimikryringen beteiligten Arten weisen offenbar im Verhalten Gemeinsamkeiten auf, die sie für Prädatoren schwerer unterscheidbar machen. Die Arten mancher Ringe sind meist in einer bestimmten Flughöhe im Regenwald anzutreffen in der die Arten anderer Ringe seltener zu finden sind. Ursache dafür können sowohl der Wuchsort der Nektarfutterpflanzen der Falter als auch die Futterpflanzen der Raupen sein, die die Weibchen zur Eiablage aufsuchen. Mallet und Gilbert fanden außerdem heraus, dass die Angehörigen eines Mimikryrings oft gemeinsam übernachten und ihre Übernachtungsplätze Nacht für Nacht aufsuchen (▶ 3). Die Arten jedes Mimikryrings bevorzugen bestimmte Übernachtungsplätze, die durch ihre Höhe und das Mikrohabitat von denen anderer Mimikryringe zu unterscheiden waren. Wie kann ein Zusammenhang bestehen zwischen Übernachtungsplätzen und visuellen Signalen, die sich an tagaktive, Insekten fressende Vögel richten? Während des Tages sind Schmetterlinge für Vögel schwer zu jagen, da sie sehr schnell den Angriffen ausweichen können. In der Morgen- und Abenddämmerung herrschen jedoch geringere Temperaturen, bei denen die Falter relativ träge und angreifbar sind. Während die Schmetterlinge abends schon ihre Ruheplätze aufgesucht haben, sind die räuberischen Vögel noch aktiv, und während die Schmetterlinge morgens noch klamm an ihren Ruheplätzen sitzen, sind die Vögel schon unterwegs. Jede Insekten fressende Vogelart jagt vorwiegend in bestimmten Habitaten und Flughöhen. Wenn also die verschiedenen „Schmetterlingsringe“ auch jeweils nur in bestimmten Habitaten und Höhen übernachten, verringern sie damit den Feinddruck. Das einheitliche Signal der Arten eines „Schmetterlingsrings“ wendet sich also gegen spezifische Prädatoren mit einem bestimmten Suchbild.

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