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Schlicht oder auffällig?

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Die Vorstellung offensichtlich perfekt getarnter Tiere oder mit grellen Warnfarben und auffälligen Balzsignalen ausgestatteter Tiere erweckt den Eindruck, als gäbe es nur die Möglichkeiten, entweder eine schlichte oder eine auffällige Körperfärbung zu entwickeln. Ist der Weg Richtung Tarn- oder Schlichtfärbung und Warn- oder Prachtkleid einmal eingeschlagen, scheint die weitere Evolution darin zu bestehen, durch differentiellen Fortpflanzungserfolg diejenigen Genotypen zu selektionieren, die noch besser getarnt oder noch auffälliger gefärbt sind. Dass diese eingängige Darstellung falsch ist, zeigt uns das Beispiel der Guppies (Poecilia reticulata), die John Endler (1991) in jahrzehntelanger Arbeit untersucht hat.

Guppies sind als prächtig bunte Zierfische nicht nur Aquarianern bekannt. Frei lebende Guppies bewohnen klare Waldbäche im Nordosten Südamerikas. Kennzeichnend für ihre Männchen ist ein genetischer Farbpolymorphismus. Es existiert eine Vielzahl von Farbmorphen, die sich in Größe, Anzahl und Farbton von Pigmentfarbflecken unterscheiden. Diese Farbflecken werden durch Carotinoidfarbstoffe erzeugt und variieren von gelb über orange bis rot. Zusätzlich bestehen mehrere Formen der Grundfärbung: Die durch schillernde Schuppen hervorgerufene Strukturfärbung kann grün, blau oder silbrig sein. Alle Anteile der Farbmuster sind genetisch verankert und erblich. Welche der vielen Farbmorphen die Männchen überwiegend ausbilden, ist regional verschieden und hängt von den Lichtbedingungen im Flusswasser sowie von der Art und Häufigkeit tagaktiver Fischräuber ab.

Die Guppyräuber, der Buntbarsch Crenicichla alta, der Zahnkarpfen Rivulus hartii sowie die Garnele Macrobrachium crenulatum, sind nicht nur unterschiedlich gefährlich, sie greifen auch aus unterschiedlicher Distanz an und sie besitzen abweichende Farbsehsysteme. Außerdem kommen einzelne Räuber zusammen mit den Guppies in Gewässertypen vor, die sich in den spektralen Lichtbedingungen voneinander unterscheiden. John Endler ging von der Überlegung aus, dass zwei gegenläufige Selektionsdrucke auf die Männchen bei der Ausbildung ihrer Farben wirken: Große bunte Farbflecken lassen die Männchen sowohl für die arteigenen Weibchen als auch für Räuber auffälliger erscheinen. Unter hohem Räuberdruck erwartete Endler daher eher weniger auffällige Männchen, bei geringem Räuberdruck dagegen besonders auffällige. Diese Vermutung konnte er durch Beobachtungen bestätigen. Darüber hinaus erbrachten seine Untersuchungsergebnisse neue und differenzierte Einsichten über den Anpassungswert einer Körperfärbung und die sie beeinflussenden Faktoren.

Je gefährlicher der Räuber, desto geringer ist der Anteil der Körperoberfläche mit Farbflecken bei den im gleichen Biotop lebenden Guppies. Guppies, die zusammen mit dem gefährlichen Buntbarsch im Gewässer leben, weisen auf insgesamt 7 % der Körperoberfläche kleine bunte Flecken auf, die der Buntbarsch aus seiner großen Angriffsdistanz nur schlecht wahrnehmen kann. Andere, die in Gewässern zusammen mit dem weniger gefährlichen Zahnkarpfen leben, haben bereits auf 10 % ihrer Körperoberfläche bunte Flecken. Wieder andere, die in Flüssen mit der relativ gering gefährlichen und rotblinden Garnele leben, haben 22 % ihrer Körperoberfläche mit großen bunten Flecken bedeckt. Orangerote Farbflecke sind besonders häufig bei Guppymännchen, die geringem Räuberdruck durch die Garnele ausgesetzt sind. Auch solche Männchen, die mit dem räuberischen Buntbarsch zusammen vorkommen, besitzen bevorzugt orangerote Farbflecke, denn der Buntbarsch ist nur wenig empfindlich für orangerote Farben. Stets sind in lokalen Populationen solche Farben bei Guppymännchen häufiger, die für die Räuber weniger gut, für die arteigenen Weibchen hingegen besonders gut gesehen werden können. Darüber hinaus konnte Endler beobachten, dass Guppymännchen bevorzugt während der Morgen- oder Abenddämmerung balzen. Berechnungen zeigten, dass im roten Dämmerlicht die jeweiligen Farbmuster der Guppymännchen für ihre Weibchen besser, für die jeweiligen Räuber dagegen schlechter sichtbar waren. Die Farbmuster wirken also intraspezifisch (innerhalb einer Art) als besonders gutes Signal und besitzen gleichzeitig interspezifisch (zwischen verschiedenen Arten) eine geringe Signalwirkung.

Das Partnerwahlverhalten der Weibchen ist besonders erstaunlich. Die Präferenz der Weibchen für kräftig orangerote Männchen ist viel stärker in Gewässern ohne gefährliche Räuber als in Gewässern, in denen ein kräftig orangefarbenes Balzkleid eine erhebliche Gefahr für das Männchen darstellen würde. Es handelt sich natürlich keineswegs um großzügige Rücksichtnahme der Weibchen. Da die Färbung der Männchen vererbt wird, kommt das Wahlverhalten der Weibchen den eigenen Söhnen zugute, die als schlichtere Varianten weniger häufig gefressen werden. Den höchsten Fortpflanzungserfolg haben diejenigen Männchen, die bei hoher Attraktivität für Weibchen eine möglichst geringe Auffälligkeit für optisch jagende Räuber besitzen. Den Ursprung der Präferenz der Weibchen für orangerote Objekte vermuten Rodd et al. (2002) in der Ernährung, bei der der Zugang zu orangeroten Früchten eine wichtige Rolle spielt; die Männchen nutzten demnach die vorhandene Präferenz der Weibchen für orangerote Objekte im Kontext der Balz.

Eine aposematische Färbung (Warnfärbung) kennzeichnet viele giftige Tiere, doch sind nicht alle giftigen Tiere auffällig gefärbt. Daher stellt sich die Frage: Was nutzt die Warnfärbung seinem giftigen Träger? Die Warnfärbung wurde ursprünglich als ein Mittel gesehen, durch das ungenießbare Tiere sich besser vor Prädatoren schützen, indem sie ihre giftigen Eigenschaften betonen. Generell wurde angenommen, dass jeder Räuber erst individuell lernen muss, aposematisch gefärbte potentielle Beutetiere zu meiden und dass jeder Umgang eines lernenden Prädatoren mit einem Beutetier für das Beutetier tödlich ist. So würde der Vorteil einer aposematischen Färbung nicht direkt seinem Träger zukommen. Vielmehr läge ein indirekter Vorteil für den Träger einer Warnfärbung darin, dass er durch sein Opfer seine Verwandten schützt oder einer seiner Verwandten durch sein Opfer ihn schützt. Nicht Individualselektion, sondern Verwandtenselektion wäre hier im Spiel. Die schwedischen Forscher Christer Wiklund und Birgitta Sillén-Tullberg (1985) fanden andererseits heraus, dass viele ungenießbare Schmetterlinge einen Vogelangriff durchaus überleben. Sie stellten die Frage, warum giftige Schmetterlinge als Raupe und Imago aposematisch, als Puppe dagegen unscheinbar gefärbt sind. Ihre Experimente mit Zwergwachteln (Coturnix coturnix) und Schwalbenschwänzen (Papilio machaon) oder Monarchfaltern (Danaus plexippus) gaben Aufschluss. Raupen hatten eine mindestens 50%-ige Chance, einen Vogelangriff zu überleben. Imagines überlebten sogar regelmäßig den Angriff einer Wachtel. Für Puppen lag dagegen die Überlebenswahrscheinlichkeit unter 5 %, wenn ein Vogel sie in den Schnabel genommen hatte. Obwohl alle Stadien – Larve, Puppe, Imago – giftig sind, weisen nur die Raupen und die Falter eine aposematische Färbung auf, während die Puppen unauffällig gefärbt sind. Möglicherweise spielt die Kombination von Warnfärbung mit Mobilität bei diesen Tieren eine Rolle dabei, einen Angriff zu überleben. Das unbewegliche Puppenstadium kann nicht wie Raupe oder Schmetterling entkommen. Das Risiko nach einer Verletzung ist auch unterschiedlich für die Stadien: Die harte, brüchige Puppencuticula ist verletzungsempfindlicher für Schnabelhiebe als die weiche Cuticula der Raupen und Falter. Wodurch wirkt eine Warnfärbung? Mit Marienkäfern konnte unter Einsatz verschiedener Arten und verschieden bemalter Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata) geklärt werden, dass die schwarzen Punkte auf rotem Untergrund wichtiger sind als die typische Form. Auch unerfahrene Kohlmeisen zeigten eine angeborene Meidung der Siebenpunktmarienkäfer (Dolenska et al. 2009).

Warnen, Tarnen, Täuschen

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