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Täuschung in der Natur

Schnelldurchgang durch den Begriffedschungel der Täuschung

Vielfalt der Täuschungsphänomene

Die Natur ist voll von Kopien, Imitationen und Nachahmungen. Die dadurch entstehenden Ähnlichkeiten zwischen nicht verwandten Organismen oder zwischen Organismen und Umwelt sind relevant für die in diesem Buch behandelten Themen, wenn sie zu einer Verhaltensänderung des Betrachters führen. Dazu kommt es letztlich bei Tieren, die sich in ihrer Umwelt mit ihren Sinnesorganen orientieren. Da die ursächlichen Phänomene für diese Verwechslungen sehr vielfältig sind, halte ich es für günstig, sich zunächst die verwendeten Begriffe anzulesen. So werden Missverständnisse von vornherein vermieden und beim späteren vertieften Lesen über ein bestimmtes Verwechslungsphänomen sind schon die anderen, oft gar nicht so einfach abgrenzbaren Phänomene im Hinterkopf; zumal viele Begriffe von anderen Autoren anders definiert werden.

Die Begriffe Warnen, Tarnen und Täuschen bezeichnen ungewöhnliche Seiten der Kommunikation im Pflanzen- und Tierreich. Es lohnt sich, zum besseren Verständnis die Perspektive des Signalempfängers einzunehmen. Der Einfachheit halber sollen hier zunächst nur Beispiele der visuellen Kommunikation behandelt werden; zum einen, weil die Begrifflichkeit häufig an visuelle Kommunikation angepasst ist, zum anderen, weil Beispiele der chemischen, akustischen oder taktilen Kommunikation zum guten Verständnis visualisiert werden müssen oder nur mit zusätzlichen Hilfsmitteln gut erklärbar sind. Prinzipiell finden die beschriebenen Formen der Warnung, Tarnung und Täuschung aber auf allen Sinneskanälen statt. Viele Begriffe, so auch Warnen, Tarnen und Täuschen, werden auch umgangssprachlich vielseitig und vieldeutig verwendet, beschreiben aber im Kontext der Biologie ein eindeutig definiertes System.

Tarnung bedeutet aus der Sicht des Signalempfängers oder Betrachters, dass er einen Zielorganismus oder ein Zielobjekt weniger gut entdeckt, weil es getarnt ist, indem es sich von der Färbung des Hintergrundes kaum unterscheidet: Beispielsweise ist eine grüne Heuschrecke, die sich farblich nicht von dem Blatt unterscheidet, auf dem sie sitzt, schwer zu entdecken und daher vor einem Prädator getarnt (▶ 1). Eine Schmetterlingsraupe, die in Form und Färbung einem Vogelkothäufchen gleicht, ist zwar unter Umständen leicht zu sehen, aber nur schwer als solche zu erkennen, besonders dann, wenn sie sich nicht bewegt und dort ist, wo ein Vogel ein Kothäufchen hinfallen lassen kann (▶ 1). Diese besondere Form der Tarnung durch die Nachahmung von für den Signalempfänger „uninteressanten“ Objekten heißt Mimese. Warnsignale sind aus der Sicht des Signalempfängers solche, die er mit Ungenießbarkeit oder Giftigkeit assoziiert; sie können eine angeborene Vermeidung bewirken; häufiger aber muss der Signalempfänger den Zusammenhang zwischen Warnsignal und Ungenießbarkeit durch besonders einprägsame Signalfarben erst lernen. Das gelb-schwarze Streifenmuster der Wespen und Bienen ist ein auffälliges und einprägsames Muster, das viele insektenfressende Tiere nach schmerzhaften Erfahrungen mit Ungenießbarkeit assoziieren (▶ 1). Mimikry ist eine Signalfälschung, bei der der Signalempfänger nicht zwischen dem ursprünglichen Signal, dessen Sender als Vorbild bezeichnet wird, und dem imitierten Signal, dessen Sender als Nachahmer bezeichnet wird, unterscheidet. Mimikrysysteme, in denen das Vorbild für den Signalempfänger ungenießbar oder gefährlich und der Nachahmer genießbar oder ungefährlich ist, können wir als Schutzmimikry zusammenfassen (▶ 1). Imitiert der Nachahmer Signale, die den Signalempfänger wie die des Vorbildes anlocken, handelt es sich um Lockmimikry. Nektarlose Orchideen, deren Blüten denen nektarreicher Pflanzen ähneln, sind ein typisches Beispiel für Lockmimikry bei Blütenbesuchern (▶ 1). Wenn Vorbild und Nachahmer eines Mimikrysystems derselben Art angehören sprechen wir von Automimikry. Erstaunlich häufig werden sogar Artgenossen durch automimetische Signale getäuscht. Der Unterschied zwischen Mimikry und Signalnormierung besteht darin, dass bei Signalnormierung der ein Vorbild imitierende Nachahmer den Signalempfänger nicht täuscht; etwa wenn eine mit Giftstachel bewehrte Biene eine mit Giftstachel bewehrte Wespe imitiert und den Signalempfänger durch diese Warnfärbung vor einer realen Gefahr warnt (▶ 1). Bei der sensorischen Ausnutzung imitiert ein Nachahmer ein bestimmtes Vorbild, setzt sein nachgeahmtes Signal aber in einem anderen Kontext ein, sodass der Signalempfänger darauf anders reagiert als auf das Vorbild. Ein Beispiel stellen maulbrütende Buntbarsche dar; bei vielen Arten weisen die Männchen Signalstrukturen auf, die wie Eier aussehen. Die Weibchen schnappen nach ihren eigenen Eiern, um sie zur Besamung und Brutpflege ins Maul aufzunehmen, nicht jedoch nach den Eiimitationen auf der Analflosse der Männchen. Die Männchen wirken, wie Partnerwahlexperimente zeigen, wohl einfach attraktiver, wenn sie dieses für das Weibchen so wichtige Locksignal eines Eigeleges imitieren.


▲ 1 Warnen, Tarnen, Täuschen in der Übersicht. Getarnte grüne Larve eines Heupferdes (Tettigonia) auf einem grünen Blatt (oben links). Gut sichtbare Raupe eines Ritterfalters (Papilio) mit Vogelkot-Mimese (oben rechts). Deutsche Wespe (Vespa germanica) signalisiert ihre Gefährlichkeit mit auffälligen Warnfarben (Mitte links). Chamaeleonfliege (Stratiomys chamaeleon) imitiert die Wespentracht (Mitte rechts). Die wehrhafte Wespenbiene (Nomada lathburiana) nutzt dasselbe Warnsignal wie viele Wespen (unten links). Die Wald-Witwenblume (Knautia dipsacifolia) und die nektarlose Kugelorchis (Traunsteinera globosa) gehören zu verschiedenen Pflanzenfamilien und sind schwer unterscheidbar (unten rechts, von links).

Die vorstehend genannten Begriffe dienen dazu Phänomene zu beschreiben, die sich nicht immer eindeutig gegeneinander abgrenzen lassen. Bei zwei ähnlich aussehenden Schmetterlingen halten wir den giftigen für das Vorbild und den genießbaren für den Nachahmer. Sind beide Schmetterlinge gleichermaßen giftig, liegt eine Signalnormierung vor; unklar bleibt also der gar nicht so seltene Fall eines stärker giftigen und eines weniger giftigen Schmetterlings, zumal die Giftwirkung für verschiedene Prädatoren unterschiedlich sein kann. Ein weiteres Problem ist die Ähnlichkeit aufgrund von Verwandtschaft: So ist die Ähnlichkeit zwischen der Deutschen Wespe und der Gemeinen Wespe schon durch ihre enge Verwandtschaft innerhalb der Kurzkopfwespen zu erklären. Auch die Ähnlichkeit zwischen den giftstachelbewehrten Wespenarbeiterinnen und der Wespenkönigin mit ihren harmlosen Männchen kommt durch Verwandtschaft zustande, obwohl auch sie als innerartliches Mimikrysystem betrachtet werden könnten.

Die meisten der täuschenden Nachahmungen stellen Strategien dar. Dabei handelt es sich um erbliche Anpassungen. Im Unterschied dazu sind Taktiken individuell wählbare Verhaltensweisen. Taktiken, die darin bestehen, Objekte oder Organismen nachzuahmen und zur Manipulation eines Signalempfängers einzusetzen, sind vergleichsweise selten. Ein Affe, der einen Alarmruf, ohne dass eine Gefahr vorhanden wäre, nutzt, um seine Gruppenmitglieder kurzzeitig in die Flucht zu treiben und in dieser Zeit Nahrung an sich zu nehmen, ist ein geeignetes Beispiel. An dieser Stelle möchte ich auch darauf hinweisen, dass alle Verkleidungen des Menschen zu den nachahmenden Täuschungstaktiken zählen, egal ob sich ein Jäger im Büffelfell an eine Büffelherde anschleicht oder ein Hauptmann von Köpenick einen ganzen Stadtteil autoritätsgläubiger Menschen durch eine Hauptmannsuniform zum Narren hält.

Warnen, Tarnen, Täuschen

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