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Flucht aus dem Informationskanal

Zeichen und Signale

Jedes Lebewesen sendet Signale aus. Dabei kann es sich um beliebige Eigenschaften handeln, die ein Empfänger detektieren und als Zeichen (engl. cue) nutzen kann oder um Strukturen, die für die Kommunikation evolviert wurden und daher als eigentliche Signale (engl. signal) gelten. Solche Signale können chemische, akustische oder optische Informöglichst gut vom Hintergrund abheben und nicht mehrdeutig, sondern eindeutig sein. Intraspezifische Signale, mit denen Artgenossen kommunizieren, werden natürlich so präsentiert, dass sie gut verstanden werden und eine Verhaltensantwort beim Artgenossen auslösen können. Dasselbe gilt für Warnsignale, die sich an Individuen anderer Arten richten. Dabei warnen ungenießbare Pflanzen Pflanzenfresser und ungenießbare Tiere Räuber vor dem Zugriff. Diese Kommunikation mit Warnsignalen nutzt gleichermaßen dem Signalsender wie dem Signalempfänger. Der Signalempfänger erspart sich viele unangenehme Erfahrungen mit giftigen oder ungenießbaren Lebewesen, sobald er die Bedeutung eines Warnsignals gelernt hat. Der Signalsender schützt sich vor dem Zugriff erfahrener Pflanzenfresser oder erfahrener Räuber, die ihre Lektion gelernt haben, und vermeidet Verletzungen und Störungen. Rot ist eine für den Menschen auffällige Signalfarbe von besonderer Bedeutung. Sein Blut ist rot und scheint an manchen Hautstellen wie den Lippen durch. Das natürliche Lippenrot wird gerne durch kräftig gefärbte Lippenstifte verstärkt (▶ 6). Mit roter Farbe signalisieren Rosendornen, Marienkäfer und Fliegenpilze und Flusskrebse Gefährlichkeit; damit locken aber auch Weißdornfrüchte Früchteverbreiter und Hibiskusblüten Bestäuber an; die Bedeutung der Signalfarbe Rot muss meist gelernt werden. Das Rotkehlchen nutzt den roten Brustfleck zur innerartlichen Kommunikation. Manche Signale wie der Duft der Sexualpheromone werden sogar meist angeborenermaßen verstanden.


▲ 6 Signalfarbe Rot: Kussmund meiner Frau (im Uhrzeigersinn, beginnend oben links), Stachel einer Rose, Fliegenpilz, Marienkäfer, Amerikanischer Flusskrebs, Rotkehlchen, Hibiscus-Blüte, Weißdorn-Früchte.

Viele Räuber entwickeln Suchbilder für ihre Beutetiere, die charakteristische Zeichen einschließen. Die typische Silhouette eines Beutetieres ist so ein verräterisches Zeichen. Die weitgehende Übereinstimmung der Körperfarbe mit der Hintergrundfarbe reduziert die Wahrnehmbarkeit der Körpersilhouette nur teilweise. Das von oben einstrahlende Sonnenlicht lässt den Rücken heller erscheinen als den im Körperschatten liegenden Bauch, sodass von der Seite betrachtet der Körperumriss gegen einen einförmigen Hintergrund gut zu erkennen ist. Viele Huftiere, Fische und Vögel kompensieren mit einer Gegenschattierung auf dem Körper das durch die Sonneneinstrahlung hervorgerufene Färbungsmuster (Cott 1940; ▶ 7). Eine andere Strategie besteht in der Konturauflösung (Cott 1940), wobei ein unregelmäßiges Zeichnungsmuster auf dem Körper auffälliger ist als der Kontrast zwischen Körper und Umgebung. Das Rückenfellmuster eines liegenden Rehkitzes und das Schuppenzeichnungsmuster der Würgeschlange Boa constrictor sind Beispiele für die Konturauflösung. Bewegungsarme Lebensweise, bzw. Jagdtechnik als Lauerjäger unterstützen diese Strategie.

Die Provokation einer verräterischen Bewegung kann das eigene Leben retten: Bei den häufigen Schwebfliegen der Gattung Sphaerophoria kann man ein eigenartiges Verhalten beobachten, bevor die Tiere auf Blüten landen. Sie täuschen mehrfach eine Landung vor, pendeln aber unmittelbar vor jeder Landung in eine Schwebeposition vor der Blüte zurück. Das Räuber-Vermeidungsverhalten könnte funktionieren, wenn beispielsweise eine lauernde Krabbenspinne sich bei der Annäherung und vermeintlichen Landung der Schwebfliege in eine günstige Angriffsposition dreht, wodurch sie sich verrät. Eine andere als dem Suchbild eines Räubers entsprechende Silhouette vermag möglicherweise ebenfalls eine Schutzwirkung auszuüben. Ein Pappelschwärmer Lathoe populi sieht durch seine völlig unnormale Flügelstellung, die Hinterflügel werden in Ruhehaltung vor die Vorderflügel gezogen, so gar nicht aus wie ein Schwärmer. Die Raupe des Zickzackspinners Eligmodonta ziczac hat durch Körperauswüchse und die eigenartige, namengebende Körperhaltung wenig Ähnlichkeit mit einer typischen Schmetterlingsraupe und fällt daher womöglich weniger häufig in das Beuteschema Raupen fressender Vögel. Einige im Wasser lebende Organismen setzen auf die ungewöhnliche Strategie der Durchsichtigkeit. Am ehesten können im Wasser lebende Tiere wie Quallen, manche Krebse und Salpen Durchsichtigkeit erreichen, indem sie Hartsubstanzen wie Knochen reduzieren. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten: Die tiefseebewohnenden Krokodileisfische (Channichthyidae) bilden beispielsweise kein Hämoglobin, der transparente Tintenfisch Galiteuthis besitzt weder Schale noch Tinte; beide Tiere sind nahezu durchsichtig.


▲ 7 Wirkung der Gegenschattierung bei natürlichem und künstlichem Lichteinfall bei einem Hai. Oben: Sichtbarkeit eines Hais ohne Gegenschattierung bei natürlichem Lichteinfall von oben. Mitte: Sichtbarkeit eines Hais ohne Gegenschattierung bei unnatürlichem Lichteinfall von unten. Unten: Sichtbarkeit eines Hais mit Gegenschattierung bei natürlichem Lichteinfall von oben.

Kommunikation muss nicht einmal freiwillig erfolgen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass wir manchmal gerne das Erröten im Gesicht unserem Gegenüber verbergen würden, der es ausgelöst hat und der es als Zeichen der Verlegenheit interpretieren kann. Auch schmackhafte Beutetiere senden möglichst keine Signale aus, die einen Räuber auf sich aufmerksam machen könnten. Der Räuber selbst ist ebenfalls gut beraten, beim Anschleichen an Beutetiere keine Signale auszusenden, die der potentiellen Beute eine rechtzeitige Flucht ermöglichen könnte. So sind beispielsweise in einer verschneiten Landschaft ein weißer Eisbär und ein weißes Sattelrobbenbaby füreinander nur schwer erkennbar. Die schneeweißen jungen Sattelrobben werden von ihren Müttern, während sie jagen, auf dem Eis zurückgelassen. Sie sind durch ihre Schutzfärbung im Schnee auf größere Entfernung nicht zu entdecken. Andererseits ist auch ein anschleichender Eisbär durch sein weißes Fell gut getarnt. In einer solchen Situation bekommen kleine Farbunterschiede zwischen Fell und Schnee, schnellere Bewegungen und selbst kleine nicht weiß gefärbte Körperteile wie die Schnauze einen Signalcharakter.

Warnen, Tarnen, Täuschen

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