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Perfekte Tarnung

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Gut getarnte potentielle Beutetiere sind bei völlig regungslosem Verhalten visuell kaum zu orten. Auf einer Wanderung in den Graubündner Alpen machte ich eine beeindruckende Erfahrung mit einem Schneehuhn (Lagopus mutus), das zwei Küken führte. Die regungslose Henne war im Sommerkleid durch ihre konturauflösende Gefiederfärbung auf einer Almwiese gut getarnt (▶ 8). Die Küken rührten sich auch nicht mehr von der Stelle und waren unauffindbar für mich. Als ich langsam weiterging, wuchs in mir die Sorge, ich könnte ein Küken verletzen, indem ich auf es trete. Dann entdeckte ich erleichtert eines der beiden nur 15 Zentimeter neben meinem Schuh. Seine Bewegungslosigkeit trug zusammen mit der Körperfärbung zu einer nahezu perfekten Tarnung bei.

Raubtiere, die eine Beute beschleichen, müssen sich bewegen. Dabei laufen sie Gefahr verräterische Signale auszusenden. Die Großkatzen Löwe, Tiger und Leopard verstehen es womöglich, ein Beutetier beim Anschleichen abzulenken. Die Spitze des langen Schwanzes ist auffällig dunkel gefärbt. Die Schwanzspitze wird beim Anschleichen hochgestellt und zuckt auffällig. Damit lenkt sie die Aufmerksamkeit eines Beutetieres auf eine Stelle, die der Räuber schon passiert hat. Allerdings sind die Überlegungen, dass Großkatzen diese Form der Desinformation gezielt betreiben, noch nicht erwiesen. Dafür müsste man etwa einen Zusammenhang zwischen Jagderfolg und diesem Verhalten nachweisen. Das diese Überlegungen auch für kleinere Beutegreifer gelten könnten, lässt sich bei Wieseln und Mardern bereits an der schwarzen Schwanzspitze ablesen. Selbst eine bewegungslos lauernde Hauskatze zuckt gelegentlich mit der Schwanzspitze, ein Verhalten, dass wie ein Ventil der Anspannung aussieht, jedoch adaptiv sein könnte. Powell (1982) hingegen testete erfolgreich seine Hypothese, dass eine schwarze Schwanzspitze Hermeline selbst vor Angriffen von Greifvögeln schützt. Im Experiment fingen Falken wie Hermeline geformte Objekte, die eine schwarze Schwanzspitze hatten, seltener, als wenn sie keine schwarze Stelle oder ein schwarzes Band am Körper aufwiesen. Ein ähnliches Phänomen konnte ich beim Gelbkopf-Gecko auf der im Panamakanal gelegenen Insel Barro Colorado beobachten. Als ich das Tier entdeckt hatte, hob es seine zuckende weiße Schwanzspitze und lenkte damit meine Aufmerksamkeit auf den entbehrlichsten Körperteil (▶ 9).

„Der fischende Frosch besitzt ein Büschel feiner Fäden, die vor seinen Augen emporragen: Sie sind lang und dünn wie Haare … und werden als Köder benutzt.“ Mit diesen Worten beschrieb Aristoteles im Jahre 344 v. Chr. einen Anglerfisch. Der gedrungene Körperbau mag den Betrachter tatsächlich an eine Kröte erinnern. Fühlerfische (Antennariidae) sind aber nahe verwandt mit den dorschartigen Fischen. Durch ihr bizarres Aussehen, kombiniert mit perfekt tarnenden Farbmustern, verbergen sich Fühlerfische vor Räubern und Beutetieren. Auch Taucher entdecken die Fühlerfische nur selten. Sogar die Taxonomen haben sich täuschen lassen: Von den zunächst 165 beschriebenen Arten der Antennariidae sind gerade noch 40 übrig geblieben. Variationen von Farben und Farbmustern innerhalb einer Art hatten für Verwirrung unter den Taxonomen gesorgt. Kennzeichnend für die Fühlerfische ist ein verlängerter Rückenflossenstrahl, dessen Ansatzstelle bis vor das Maul gewandert ist. Die Hauptteile dieses Rückenflossenstrahls sind die filamentöse Angelrute und ein auffälliges fleischiges Anhängsel an der Spitze als Köder. Theodore Pietsch und David Grobecker (1990) haben Anglerfische beobachtet und das Verhalten insbesondere des Commersons-Fühlerfisches (Antennarius commersoni) genau analysiert. Die perfekte Tarnung erreichen die Fühlerfische durch Farbwechsel, die sie nach dem Umsetzen in eine neue Umgebung vornehmen. Wenige Sekunden bis mehrere Tage dauert ein Farbwechsel, wobei ein Individuum zwischen zwei und mehr als vier Hauptfarbzuständen wechseln kann. Dann liegt der Anglerfisch völlig regungslos. Selbst Kiemendeckelbewegungen sind nicht auszumachen. Der obere Teil des Kiemendeckelspaltes ist verschlossen, der untere Teil der Kiemendeckelöffnung weit nach hinten verlagert und düsenförmig. Nur mit den Augen verfolgt ein Anglerfisch entfernte geeignete Beutetiere. Kommt die Beute nicht näher, läuft ihr der Anglerfisch auf seinen Flossen sehr langsam entgegen. Ab einem Abstand von seiner siebenfachen Körperlänge setzt er die „Angel“ ein (▶ 10). Der Warzige Fühlerfisch (Antennarius maculatus) bewegt seine Angel so geschickt, dass der fischförmige Köder tatsächlich die wellenförmigen Schwimmbewegungen eines Fisches nachahmt. Zu ihrer Überraschung stellten Pietsch und Grobecker fest, dass die Anlockungsstrategie der Anglerfische recht unspezifisch ist. Ihre anfängliche Hypothese, dass A. maculatus mit seinem fischähnlichen Köder hauptsächlich räuberische Fische, A. pictus, der Bemalte Fühlerfisch, mit dem wurmähnlichen Köder dagegen Fische, die sich von Ringelwürmern ernähren, fangen, widerlegten sie durch Untersuchungen des Mageninhalts. Alle untersuchten Fühlerfische spezialisierten sich nicht auf Beutetiere, die die Forscher nach der Art des Köders vermutet hätten, sondern ähnelten sich in ihrem Beutespektrum. Ein Teil der gefressenen Beutetiere gelangte durch Zufall in die Nähe der Anglerfische. Andere Tiere, so vermuteten die Forscher, wurden vom Fischkörper angelockt, um in dem scheinbaren Korallenstock abzulaichen, zu fressen oder sich zu verstecken. Wieder andere Fische drohten den fischähnlichen Köder von A. maculatus an, als verteidigten sie ihr Territorium – und wurden prompt verschluckt. Einmal in Reichweite (zwei Drittel der Körperlänge) ist ein Anglerfisch eine Todesfalle. Innerhalb von sechs Millisekunden reißt er sein Maul auf. Das Volumen seines Mauls vergrößert sich dabei um 1200 %, und es saugt das umgebende Wasser samt Beute blitzschnell ein. Ein Ringmuskel am Speiseröhreneingang versperrt den Rückweg für ein eingesaugtes Beutetier. Wie riesig das Saugmaul des Anglerfisches sich öffnen kann, zeigt der Befund, dass einige Beutetiere sogar größer waren als der Anglerfisch selbst. Ein Flussbarsch als typischer Raubfisch zum Vergleich braucht 40 Millisekunden für das Öffnen der Maulöffnung auf eine Größe von maximal 600 % des Ausgangsvolumens. Die Geierschildkröte besitzt eine ähnliche Strategie als Lauerjäger. Mit geöffnetem Maul liegt sie regungslos am Boden, gut getarnt wie ein algenbewachsener Felsen. Lediglich die wurmförmige rote Zungenspitze bewegt sich zuckend und lockt nahrungssuchende Fische an. Wenn diese in das geöffnete Maul schwimmen, um den imitierten Wurm zu fressen, schnappt die Falle zu.


▲ 8 Ein ausgewachsenes Schneehuhn ist durch seine konturauflösende Gefiederfärbung gut getarnt.


▲ 9 Männchen des Gelbkopf-Geckos Gonatodes albogularis bei einem Ablenkmanöver mit zuckender weißer Schwanzspitze.


▲ 10 Der Fühlerfisch Antennarius multiocellatus ist hervorragend in seiner Umgebung getarnt, in die er sich wie ein bewachsener Fels einpasst. Das einzig auffällige Signal ist eine Fischimitation, die aus dem ersten Rückenflossenstrahl gebildet wird und bei Annäherung einer potentiellen Beute lebhaft bewegt wird (Nach Pietsch & Grobecker 1990)

Manche marine Nacktschnecken (Nudibranchia) weiden an Nesseltieren. Nesseltiere (Cnidaria) sind vor vielen räuberischen Tieren wegen ihrer Nesselkapseln geschützt, die bei Kontakt explosionsartig Kleb- oder Giftstoffe freisetzen oder mit hakenartigen Gebilden den Angreifer verletzen. Manchen Nacktschnecken gelingt es, Nesseltiere zu fressen, ohne dass die Nesselkapseln (Cniden) explodieren. Die Nesselkapseln werden sogar in die Rückenanhänge der Schnecken befördert und dort in Zellen gespeichert. Nicht bei allen Arten explodieren sie dort bei Berührung, aber nach dem mikroskopischen Bild scheinen sie noch funktionstüchtig zu sein. Ein Widerspruch, den Herdman und Clubb im Jahre 1890 durch einen heroischen Selbstversuch aufklären wollten. Ein Nacktschneckenforscher nahm eine lebende Nacktschnecke in den Mund – nichts passierte. Auch nach Kaubewegungen, die die Rückenanhänge verletzten, nichts als ein angenehmer Geschmack nach Austern. Glück gehabt; denn inzwischen ist gesichert, dass zumindest bei einigen Arten (Glaucus atlanticus, Glaucilla marginata) die „gestohlenen“ Nesselkapseln (Kleptocniden) ihre explosive Wirkung entfalten und sogar Badende nesseln können.

Nacktschnecken der Gattungen Tergipes, Aeolidia und Fiona ähneln ihren Futtertieren oder anderen nesselnden Seeanemonen. Handelt es sich also um Mimikry oder um Mimese? Es liegt ein Mimesephänomen vor, wenn ein Fisch als potentieller Räuber sich nicht für Nesseltiere interessiert, diese also kein Signal für ihn darstellen. Er besitzt kein Suchbild für Nesseltiere. Dagegen wird ein Fisch, der die nesselnde Wirkung der Cnidaria fürchtet, die Nacktschnecken aktiv meiden, auch wenn die gar nicht oder nur schwach nesseln. Dann agiert der Fisch als Signalempfänger in einem Schutzmimikrysystem. Muss der Fisch die Cniden der Nesseltiere ebenso fürchten wie die Kleptocniden (die geklauten Nesselkapseln) der Nacktschnecken, dann wird er durch die Nachahmung nicht getäuscht. In diesem Fall liegt eine Signalnormierung vor (Edmunds 1981).

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