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Aggressive Mimikry
ОглавлениеReagiert ein Signalempfänger nicht mit Vermeidung, sondern mit Hinwendung auf einen Nachahmer, sprechen wir von Lockmimikry oder Peckham’scher Mimikry nach Elizabeth G. Peckham (1889), die diese Mimikryform für ameisenimitierende Spinnen beschrieb. Der Begriff Aggressive Mimikry wird in den Fällen eingesetzt, in denen der getäuschte Signalempfänger vom Nachahmer angelockt und geschädigt wird. Die historischen Beispiele Peckham’scher Mimikry lassen sich mit dem heutigen Kenntnisstand nicht ganz klar in die obige Definition einordnen, weshalb der Begriff Peckham’sche Mimikry nur selten verwendet wird.
▲ 4 Die Ameisenspringspinne (Myrmarachne formicaria) imitiert in Aussehen und Verhalten eine Ameise. Die Spinne hält ihre Vorderbeine in einer Position, in der sie wie die Antennen einer Ameise aussehen und bewegt sie ständig wie eine Ameise ihre Antennen.
Bei Springspinnen (Salticidae) der Gattung Myrmarachne wurde schon lange Ameisenmimikry vermutet. Die Körperproportionen der Ameisenspringspinne Myrmarachne formicaria ähneln verblüffend einer Ameise (▶ 4): Das Prosoma (Vorderkörper) der Spinne täuscht durch eine Einschnürung Kopf und Thorax (Brust) der Ameise vor. Hinzu kommt Verhaltenmimikry: Die Spinne trägt beim Laufen das vordere Beinpaar erhoben wie eine Ameise ihre Fühler. Färbung und Haarlosigkeit komplettieren die täuschende Ähnlichkeit. Die ersten Beobachtungen aus dem Jahre 1889 gehen auf Elizabeth Peckham zurück. Malcolm Edmunds (1993) fand in Ghana eine überraschende Lösung bei der Untersuchung der Brutfürsorge der Spinnenwespe Pison xanthopus. Wie viele Wegwespen (Pompilidae) jagt auch diese Spinnenwespe Spinnen. Die per Stich gelähmte Beute schafft das Spinnenwespenweibchen als Lebendfuttervorrat in die Brutkammern seiner Larven. Pison xanthopus hat sich nahezu ganz auf Springspinnen als Larvenfutter festgelegt. Um die 10 Springspinnen muss ein Pison-Weibchen zur Verproviantierung einer einzigen Larve herbeischaffen. 872 Spinnen hat Edmunds aus den Nestzellen von 31 Wegwespen herausgeholt und bestimmt. Ein Potpourri von mehr als 17 Spinnenarten fand er in den Nestern. Einzelne Weibchen hatten sich offenbar im Sinne eines Suchbildes spezialisiert und fast oder ganz ausschließlich eine Spinnenart gejagt. Darunter waren auch einzelne Spinnenwespen, die ausschließlich die ameisenimitierenden Springspinnen der Gattung Myrmarachne jagten, die dort recht detailgenau Ameisen der Gattung Oecophylla imitieren.
Schließlich ging Edmunds selbst auf Spinnenjagd, auf Büschen, dort, wo auch die Pison-Weibchen ihre Beute suchen. Er wollte die Häufigkeit der verschiedenen Spinnenarten messen. Edmunds notierte alle Spinnen, die als Beute in Frage kamen. Als potentielle Beutetiere fand er weit mehr ameisenimitierende Spinnen als die Wegwespenweibchen tatsächlich gesammelt hatten. Er wertete dieses Ergebnis als einen Beleg dafür, dass Springspinnen der Gattung Myrmarachne durch die Imitation von Ameisen einen gewissen Schutz vor der Springspinnen jagenden Wegwespe Pison xanthopus genießen.
Ein anderes Beispiel stammt aus Südamerika, wo die ameisenimitierende Spinne Aphantochilus rogersi (Aphantochilidae) lebt, die sich auf die Ameisenjagd spezialisiert hat. Sie ernährt sich nahezu ausschließlich von den Ameisen der Art Zacrytocerus pusillus (▶ 5). Die Spinne imitiert nicht nur die auffallende Körpersilhouette ihrer Beuteameise mit starken Dornen, sondern auch das schwarze, weiß behaarte Integument (Körperhülle), die abgeflachten Beine und den für Ameisen typischen gestielten Hinterleib. Selbst den charakteristischen Zick-Zack-Lauf der Ameise ahmt die Spinne nach. Dabei hält sie ein Paar Laufbeine in der Position, in der Ameisen typischerweise ihre Fühler tragen.
Offenbar nutzt die Spinne ihr Aussehen, um Beutetiere zu jagen. Das ist kein einfaches Unterfangen für die Spinne. Der Angriff von hinten auf die ungiftigen, aber wehrhaften Ameisen, ist die günstigste Jagdtechnik mit den besten Aussichten auf Erfolg und dem geringsten Verletzungsrisiko. Hat die Spinne eine Ameise erbeutet, hält sie bei dem Aussaugen des Beutetieres den leblosen Körper über sich. Sie benutzt so den Ameisenkörper als Schutzschild gegen andere Ameisen, ahmt so gewissermaßen eine Ameise nach, die eine tote Artgenossin abschleppt. Das ist eine perfekte Tarnung, um in aller Ruhe im „Feindesland“ eine Ameise zu verzehren. Ist die Spinne ohne Beute, hilft ihr das ameisenähnliche Aussehen, um Kontakte mit Ameisen zu überstehen. Die auffälligen Dornen sollen jedoch wohl auch Vögel, die bereits Erfahrungen mit Zacrytocerus pusillus gemacht haben, von der Spinnenjagd abhalten. Nach der Meinung von Oliveira und Sazima (1984) liegt hier also eine kombinierte Peckham’sche und Bates’sche Mimikry vor. Auch die ameisenähnliche Art Myrmarachne melanorarsa nutzt nach Nelson und Jackson (2009) ihre Ameisenmimikry zur Jagd; jedoch jagt sie Eier und Jungtiere einer anderen Springspinnenart, die Ameisen aus dem Weg geht.
▲ 5 Die Körpersilhouette der Spinne Aphantochilus rogersi (unten) gleicht der ihrer Hauptbeute, der Ameise Zacrytocerus pusillus (oben). Um die Körperformen besser vergleichen zu können, sind die Beine in der Zeichnung weggelassen bis auf die die Fühler der Ameise imitierenden Pedipalpen der Spinne. (Verändert nach Oliveira & Sazima 1984)
Der Ameisen imitierende Kurzflügelkäfer Pella comes lebt bei seiner Wirtsameise Lasius spatheptus und ernährt sich von toten Ameisen und Beutetieren der Wirtsameisen. Die Ameisenähnlichkeit, auch Myrmecomorphie genannt, wird sowohl mit dem Schutz vor der Wirtsameise als auch mit dem Schutz vor ameisenfressenden Räubern in Verbindung gebracht. Das japanische Forscherteam um Taniguchi et al. (2005) konnte einen erfahrungsbedingten Schutz vor dem ameisenfressenden Frosch Hyla japonica nachweisen, der jedoch einen Schutz vor den Wirtsameisen nicht ausschließt.