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Nachweis von Imitation und Mimikry

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Mimikrysysteme als faszinierende, komplexe Form der Biokommunikation eignen sich in besonderem Maße für einen Einblick in die Dynamik evolutiver Prozesse. Bereits Charles Darwin erkannte, dass – einmalig in der Natur – in Mimikrysystemen für den Nachahmer ein evolutionäres Entwicklungsziel vorgegeben ist: die vollkommene Imitation der Signalstrukturen des Vorbildes. Nachahmer profitieren nämlich von der Imitation eines Vorbildes sehr stark; je besser sie ihr Vorbild imitieren, desto öfter verwechseln Signalempfänger Vorbild und Nachahmer und desto höher ist ihr Fortpflanzungserfolg. Nachahmer, die durch eine Mutation oder Neukombination von Erbmaterial ihrem Vorbild ähnlicher werden, haben mehr Nachkommen als ihre Artgenossen ohne diese Eigenschaften. Entscheidende Faktoren sind dabei das Vorbild und die natürliche Selektion des Nachahmers durch einen Signalempfänger, der erfolgreich durch die Imitation getäuscht wird. Vorbild, Nachahmer und Signalempfänger in Mimikrysystemen stehen in so engen Wechselbeziehungen zueinander, dass Vorhersagen für evolutionsbiologische Vorgänge abgeleitet werden können.

Mimikry ist deshalb so faszinierend, weil immer wieder neuartige Mimikrybeispiele entdeckt werden. Sie werden oft zunächst nur als Szenario beschrieben. Dabei handelt es sich um Geschichten, die auf der beobachteten Ähnlichkeit zweier Signalsender basieren und mit zahlreichen plausiblen, aber unbewiesenen Details ausgeschmückt werden. Erst die Formulierung von Hypothesen über ein Mimikrysystem, die Ableitung von testbaren Vorhersagen über das Verhalten eines potentiellen Signalempfängers und schließlich die experimentelle Überprüfung im Labor oder im Feld führen letztendlich zum Nachweis von Mechanismen, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Mimikrysystemen führen. Die Faszination von Mimikrysystemen als evolutionsbiologische Fallstudien ist ungebrochen. Viele Hypothesen wurden erfolgreich getestet, die Interaktion der beteiligten Partner quantitativ belegt und mit statistischen Prüfverfahren gesichert, so dass viele Mimikryfälle heute zu den am sorgfältigsten und umfassendsten analysierten Kommunikationssystemen zählen. Andererseits gibt es neu entdeckte und noch nicht aufgeklärte Mimikryfälle, die außerordentlich spannend und aufschlussreich sind.

Mimikry ist auch ein Element bei der Kommunikation zwischen Artgenossen. Besonderes Aufsehen erregte in neuerer Zeit die Entdeckung, dass Mimikry nicht nur in Räuber-Beute-Systemen eine Rolle spielt, sondern nachahmende (mimetische) Signalfälschungen auch häufig in innerartlichen Kommunikationssystemen auftreten. Dabei wird die vorhersagbare Reaktion eines Signalempfängers auf ein bekanntes Signal ausgenutzt, indem ihm eine Signalkopie präsentiert wird. Spektakuläre Beispiele stellen die Eiimitationen dar, die die Männchen maulbrütender Buntbarsche bei der Balz einsetzen, der Pseudopenis der Tüpfelhyänenweibchen, der dafür sorgt, dass Menschen Weibchen und Männchen der Tüpfelhyäne nur schwer unterscheiden können und die Weibchenmimikry, die bei Männchen von Insekten, Krebsen, Fischen, Schlangen und Vögeln auftritt und den Nachahmern einen Vorteil bei der Paarung verschafft. Auch in der Kommunikation unter Menschen sind Signale auf diesem Wege entstanden.

Interdisziplinäre Ansätze, die Methoden und experimentelle Ergebnisse aus Morphologie, Verhaltensbiologie, Genetik, Sinnesphysiologie, Ökologie und Evolutionsbiologie kombinieren, haben entscheidend zu einer besseren Bewertung von Mimikryphänomenen beigetragen. Entsprechende fächerübergreifende Lehrbücher wie die über Verhaltensökologie (Krebs und Davies 1993), Sinnesökologie (Dusenbery 1992), Soziobiologie (Alcock 2005), Evolutionsökologie (Cockburn 1994) oder über die Biologie des Verhaltens (McFarland 1999) sind voll von Mimikrybeispielen. Es entwickelt sich ein zunehmend besseres Verständnis der Entstehung von Signalen und von Mimikryphänomenen. In diesem Zusammenhang sind auch Phänomene wie Tarnung und Mimese, die Nachahmung von Objekten ohne Signalwert, interessant. Damit werden Antworten auf Fragen, die die Biologie seit Charles Darwin begleitet haben, und zugleich weitergehende Fragestellungen möglich.

Bei der Vielzahl von bekannten Mimikrybeispielen ist die Beschränkung auf eine Auswahl unerlässlich. Dabei habe ich Schwerpunkte auf gut dokumentierte Mimikryfälle wie beispielsweise die klassischen Mimikrybeispiele und Mimikryfälle aus Mitteleuropa gelegt. Einige bislang in Monographien und Lehrbüchern wenig oder nicht berücksichtigte Beispiele wie Staubgefäßimitationen von Blütenpflanzen und Futterkornimitationen bei den Fasanen habe ich ausführlich behandelt. Aspekten der Evolution von mimetischen Signalen räume ich ebenfalls breiten Raum ein. Bei zahlreichen der vorgestellten Mimikryfälle habe ich nur eine einzelne zusammenfassende Übersichtsarbeit zitiert oder eine experimentelle, spätere Arbeit von den betreffenden Autoren ausgewählt; zusätzliche Aspekte, die in weiteren Arbeiten berichtet werden, habe ich nicht mit eigenen Zitaten belegt. Über das Literaturverzeichnis der zitierten Arbeiten sind diese Zitate jedoch meist zu erschließen. Das gilt auch für einen amüsanten Fall von Modellorganismen besonderer Art, die in der Phantasie der Autoren, nicht jedoch auf der Erde lebten, und die sich unglaublich gut getarnt auch in diesem Buch verstecken. Auf meiner Homepage unter http://www.uni-duesseldorf.de/​MathNat/​Zoologie/​litmim.htm ist zudem ein ausführlicheres Literaturverzeichnis abrufbar.

Warnen, Tarnen, Täuschen

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