Читать книгу Nur dämlich, lustlos und extrem? - Kurt Möller - Страница 36
»Was ist Deutschland für dich?«
ОглавлениеCarolin (17)
Schülerin eines Gymnasiums, spielt Theater im Spielclub JES Open 1 in Stuttgart und ist Mitglied bei den Jungen Grünen
Du bist im Spielclub JES Open 1 des Jungen Ensembles Stuttgart. Wie bist du dazu gekommen?
Meine Schule hat verschiedene Austauschprogramme mit Partnerschulen. Das ist sehr breit ausgefächert: in Südafrika, Australien, Hongkong … Ich wollte mir diese Möglichkeit nicht entgehen lassen, in so einem geschützten Rahmen ins Ausland zu gehen und dort die Schule zu besuchen über die Sommerferien. Deswegen war ich sechseinhalb Wochen in Sydney in den letzten Sommerferien, und eins der Schulfächer dort war »Drama«.
Ach, das gibt es als Schulfach dort?
Ja. Dort habe ich zum ersten Mal Theater gespielt, und die Drama-Lehrerin dort hat mich dann gefragt: »Möchtest du es nicht vielleicht weiterführen?« Da habe ich mich erkundigt. Meine Schwester ist in einem anderen Club im JES, und dann hab ich die mal durchgeschaut und kam darauf. Und dann wurde ich ausgewählt, den Weg weiterzugehen.
Wieso hast du dir gerade diesen Spielclub rausgesucht?
Es war fast der einzige, der infrage kam. Die meisten waren eher für Jüngere. Mit 17 fällt man dann halt raus. Somit war das eigentlich der einzige Club, wo ich mich hätte bewerben können, um zu spielen.
Das Junge Ensemble Stuttgart (JES)
Das Junge Ensemble Stuttgart ist das Stuttgarter Kinder- und Jugendtheater. Seit 2004 werden jedes Jahr mit einem professionellen Ensemble unterschiedliche Theaterproduktionen erarbeitet. Die Bandbreite ist groß: klassisches Erzähltheater, Tanztheater, Theater für Kinder, performative Formen und partizipative Projekte, bei denen Profis und Jugendliche gemeinsam in einem Probenprozess Stücke entwickeln und zusammen aufführen.
In der Abteilung Theaterpädagogik ist das JES breit aufgestellt: Neben Poetry Slam, der Zusammenarbeit mit Schulen und Kitas, einem alljährlichen Festival und dem kooperativen Open Space EINMISCHEN für junge Menschen gibt es theaterpädagogisch begleitete Spielclubs für jedes Alter.
Das Theaterstück, das ihr gerade probt, trägt den Titel Deutschland – meine Hood. Erzähl doch mal, um was es in dem Stück geht.
Also einerseits um Deutschland natürlich, andererseits auch um Nachbarschaft. Da haben sich vor allem die anderen zwei Clubs mit auseinandergesetzt. Und ja, wie wir Deutschland wahrnehmen und damit umgehen. Also vor allem sprechen wir gleich am Anfang den Nationalstolz an. Wir haben es aber relativ frei gestaltet, also dass man danach noch sehr viel überlegen kann, wie man selbst dazu steht. Auch ganz zentral war: »Ich habe mein Deutschland verloren«, weil wir heute vor allem das Gefühl haben, dass es uns so geht. Wir haben meistens gespielt und dann geschaut, welche Szenen bieten sich an, in einer weiteren Form umgesetzt zu werden. So ist das entstanden.
Am Ende sag ich ihm dann, dass man ja stolz darauf sein kann, dass man heutzutage nicht mehr stolz sein muss.
Habt ihr euch das Thema selbst rausgesucht oder hat das jemand vorgegeben?
Deutschland und Nachbarschaft stand schon fest, aber das Stück haben wir selbst mitgebildet.
Gibt es das Thema auch in deinem Alltag?
Ich würde nicht sagen zentral. Also ich habe mich eine Zeitlang mal sehr intensiv damit beschäftigt, wie es viele machen. Mit der NS-Zeit und meiner Familie und wie sich da alles verflochten hat. Da habe ich ein Stück weit Sachen infrage gestellt. Ich glaube, jeder tut das mal irgendwann in seinem Leben: sich die Frage stellen, welche Rolle Deutschland in der Welt spielt oder wie wir damit umgehen können. Im Theaterstück habe ich einen Dialog mit einem, der ist fast 80, deswegen ist es interessant. Er quatscht mich im Prinzip an mit: »Was ist Deutschland für dich?« Und ich wehre erst mal die ganze Zeit ab. Am Ende sag ich ihm dann, dass man ja stolz darauf sein kann, dass man heutzutage nicht mehr stolz sein muss, man kann, aber man muss nicht. Ich finde es ganz schön, dass jeder das so für sich sagen kann, und dass wir auch stolz drauf sein können in dem Maß.
Das Theaterstück wird von drei Spielclubs gespielt und bearbeitet. Unter anderem auch dem Club Kultür mit Spieler*innen türkischer Herkunft. Wie findest du die Zusammenarbeit?
Sehr interessant, weil sie auch ihre Sicht reinbringen. Z. B. haben wir eine Szene, da kommt Besuch zu einer türkischen Familie, und dann fangen sie an, alles mögliche Essen auf den Tisch zu stellen. Alle haben eigentlich irgendwann keinen Hunger mehr, aber sie geben immer mehr, und die Besucher haben keinen Durst mehr, trotzdem schütten die von der Familie einfach nach. Die Weiteren fliehen dann davor. Ich finds deswegen auch schön, weil Deutschland ist eben nicht nur eine Nationalität, sondern mehrere. Vor allem die türkische kommt ja auch sehr oft vor in Deutschland. Deswegen find ich es eigentlich sehr schön, auch dieses Gemischte zu haben, was es ja auch heutzutage ausmacht, die Vielfalt.
Du hast mir in den Mails geschrieben, dass du dich nicht unbedingt als politisch engagiert betiteln würdest. Woran machst du das fest?
Ich habe mich bisher nicht wirklich irgendwie politisch engagiert. Also ich war schon mal bei Fridays for Future dabei oder habe mitdemonstriert, aber nicht, dass ich in einem Bundesvorstand von ’ner Jugendparteigruppe oder so wäre. So dieses klassische Politische, da würde es mich jetzt noch nicht hinziehen, obwohl ich gerade dazu tendiere. Ich wollte eher bisher, dass ich meins im Klaren habe, dass ich nicht irgendwas predige, was ich aber gar nicht selbst bei mir finde: Dass ich erst selbst weniger Fleisch esse, weniger Plastik produziere oder mit dem Tierwohl selbst bei mir ’ne Lösung finde, wie ich damit klarkomme oder wie ich handle, bevor ich dann rausgehe und andere konfrontiere und denen was weitergeben kann.
Gerade hast du aber schon erwähnt, du bist so auf dem Weg dahin, dich politisch einzubringen. Das heißt, du hast für dich die Sachen geklärt und bist jetzt bereit für Weiteres?
Ja, ich bin vor ein paar Tagen Mitglied bei den Jungen Grünen geworden.
Das heißt, Gremienarbeit war das, was dir noch gefehlt hat, sodass du jetzt selbst sagen würdest, ich bin politisch engagiert?
Ja, ich wollte nicht zu Leuten gehen und dann so tun als ob. Ich bin vor ein paar Jahren vegetarisch geworden, kaufe vieles secondhand und gehe immer weitere Schritte, damit ich mich umwelttechnisch sehr positiv aufstellen kann. Ich hatte so das Gefühl, wenn ich in eine grüne Partei eintrete, dass ich nicht gerade ’ne Vorarbeit leisten muss, aber schon so was mitbringe.
Deutschland ist eben nicht nur eine Nationalität, sondern mehrere.
Hast du noch eine Idee, wie man Jugendliche stärker an Politik beteiligen kann?
Das Theater ist eine schöne Methode, Jugendliche an Politik ranzuführen. Sonst passiert heute halt sehr viel über die Medien. Man kann am meisten erreichen heutzutage über die Medien. Durch die Medien können Kinder und Jugendliche was mitnehmen. Das kann genutzt werden. Aber sonst würde ich das Theater eigentlich immer nehmen. Das war schon bei Schiller und Goethe so, dass das über das Theater lief.
Das Theater ist eine schöne Methode, Jugendliche an Politik ranzuführen.
Wenn du mal an die Zukunft denkst, was müsste nach deiner Ansicht auf jeden Fall passieren, dass es in der Welt besser und gerechter zugeht?
Die Lösung für den Klimawandel zu finden, wäre vielleicht ganz sinnvoll. Sonst: friedliche Lösungen finden zwischen vielen Ländern. Wahrscheinlich ist das sehr utopisch gedacht, aber man kanns ja wünschen. Auch wenn man den Klimawandel aufhalten könnte, könnte man viel verhindern, dass Menschen fliehen müssen. Dadurch, dass es eben nicht dazu kommt, dass irgendwelche kleinen Inseln im Amazonas oder Atlantik überschwemmt werden. Und mir liegt auch viel am Tierwohl. Also keine Massentierhaltung oder der ganze Sojaanbau, der für das Tierfutter gemacht wird, weswegen der Regenwald abgeholzt wird. Was ja eigentlich gar keinen Sinn macht.
Hoffentlich bin ich auch irgendwann mal vegan.
Das heißt, dass du vegetarisch bist, hat schon seinen politischen Hintergrund?
Ja, hoffentlich bin ich auch irgendwann mal vegan. Aber das mache ich wahrscheinlich erst, wenn ich bei meiner Mutter ausziehe, weil ich sie nicht belasten möchte, wenn sie dann alles Mögliche kochen muss.