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2.2 Vom Allgemeinen zum Besonderen

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Das BGB regelt, vom Familien- und Erbrecht abgesehen, nicht einen Lebensbereich nach dem anderen, sondern das Allgemeine vor dem Besonderen. Am Anfang steht weder das Kaufrecht noch das Eigentumsrecht, sondern Buch 1 „Allgemeiner Teil“ mit allgemeinen Regeln für die folgenden 4 Bücher. Damit nicht genug, hat auch das 2. Buch „Recht der Schuldverhältnisse“ seinen allgemeinen Teil. Auch das Schuldrecht beginnt nicht mit dem Kauf oder der unerlaubten Handlung, sondern mit allgemeinen Regeln für das Schuldverhältnis. Im Sachenrecht ist es ähnlich.

Dieser Gesetzesaufbau ist überaus verschachtelt, das BGB ein gefährliches Labyrinth. Man findet zwar hinein, aber nur schwer wieder hinaus. Wer mit ihm arbeiten will, muss seinen Bauplan kennen, muss wissen, wie die ersten drei Bücher ineinander greifen. Systematisches Verständnis ist hier wichtiger als Detailwissen. Die Ursache der Verständigungsschwierigkeiten ist der Allgemeine Teil. Wenn man heute noch sagt, der Allgemeine Teil ziehe die allgemeinen Regeln vor die Klammer, ist dies wortwörtlich zu verstehen, mathematisch nämlich, wie es dem Denken der Aufklärung entsprach, die sich zutraute, alles in Begriffe fassen und logisch erklären zu können.

Mathematisch mutet auch das ausgefeilte System geschliffener Rechtsbegriffe auf höchster Abstraktionsstufe an, die das BGB auf dem Fundament des Allgemeinen Teils zu wahren Begriffspyramiden auftürmt. Daraus ist die Begriffsjurisprudenz entstanden, die noch daran glaubte, man könne aus den Rechtsbegriffen und Begriffsgebäuden mit zwingender Logik Honig saugen und damit jeden Rechtsfall lösen. Heute rümpft man darüber die Nase und argumentiert mit Interessenlage und ratio legis, vergisst aber leicht, dass Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung umso klarer hervortreten, je präziser das Gesetz sie formuliert. Exaktes begriffliches Denken kann auch heute noch die meisten Rechtsfälle befriedigend lösen.

Der Zugang zum BGB, das das Allgemeine vor dem Besonderen regelt, wird noch dadurch erschwert, dass der Jurist in umgekehrter Richtung vom Besonderen zum Allgemeinen denkt. Während das BGB den Vertrag (§§ 145 ff.) vor dem Verpflichtungsvertrag (§§ 311 ff.) und diesen vor dem Kauf (§§ 433 ff.) regelt, sucht der Jurist die Lösung eines streitigen Kauffalles zuerst in den Vorschriften über den Kauf, bevor er sich über den Verpflichtungsvertrag zum Vertrag zurücktastet, denn die besonderen Vorschriften gehen den allgemeinen stets vor (lex specialis derogat legi generali).

Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen

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