Читать книгу Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer - Страница 38
3. Der Anspruch des BGB
Оглавление18
§ 194 I definiert den Anspruch verbindlich als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, regelt die Verjährung und steht im Allgemeinen Teil des BGB, weil es nicht nur schuldrechtliche, sondern auch sachenrechtliche (dingliche), familienrechtliche und erbrechtliche Ansprüche gibt. Der schuldrechtliche Anspruch, von dem dieses Buch zum größten Teil handelt, heißt nach § 241 I Forderung.
Der Anspruch beherrscht das Zivilrecht dermaßen, dass es sich – cum grano salis – als ein System von Anspruchsgrundlagen und Gegennormen darstellt. Zivilrechtsnormen begründen Ansprüche oder schließen Ansprüche aus. Gesetzestechnisch ist die Anspruchsgrundlage der gesetzliche Normal- oder Regelfall, die Gegennorm die gesetzliche Ausnahme. Freilich gehört die Mehrzahl aller BGB-Vorschriften weder zu der einen noch zu der anderen Kategorie, sondern zu den Hilfsnormen, die entweder Anspruchsgrundlagen oder Gegennormen ergänzen und sich so zwanglos in das Anspruchssystem einfügen.
Unbestreitbar regelt das Schuldrecht von vorne bis hinten Ansprüche. Sein Thema ist das Schuldverhältnis. Das Schuldverhältnis aber besteht nach § 241 I hauptsächlich aus der Forderung des Gläubigers und der Verpflichtung des Schuldners. Die Forderung ist der schuldrechtliche Anspruch und die Verpflichtung die Kehrseite der Forderung, denn was der Gläubiger fordern darf, soll der Schuldner leisten und umgekehrt. Ob man das Schuldrecht als ein System von Forderungen oder von Verpflichtungen begreift, ist gehopst wie gesprungen. Das BGB handelt durchweg von Verpflichtungen und formuliert die §§ 433, 535, 611, 631, 812, 823 als Verpflichtungsgrundlagen. Die Praxis hingegen denkt in der Kategorie des Anspruchs und sieht in den zitierten Bestimmungen Anspruchsgrundlagen. Der Grund liegt im Prozessrecht. Mit der Leistungsklage verfolgt der Kläger einen Anspruch und das prägt den Prozess. Das Gericht prüft, ob der Kläger vom Beklagten die begehrte Leistung fordern dürfe. Genauso gut könnte es fragen, ob der Beklagte dem Kläger zu der geforderten Leistung verpflichtet sei.
Im Allgemeinen Teil des BGB, der auch Gegenstand dieses Buches ist, sind die Ansprüche freilich dünn gesät (§§ 12, 27 III, 31, 31a, 31b, 53, 54 S. 2, 82, 89, 102, 122 I, 160, 179, 228 S. 2, 231). Aber den Allgemeinen Teil darf man nicht isoliert, sondern nur zusammen mit dem Schuld- und Sachenrecht lesen. Denn er formuliert vorweg die allgemeinen Regeln für Willenserklärung, Rechtsgeschäft und Vertrag. Sie aber sind das Fundament aller vertraglichen Ansprüche. Technisch handelt es sich um Hilfsnormen für die Anspruchsgrundlagen und Gegennormen des Schuld- und Sachenrechts.
Um diesen Zusammenhang sichtbar zu machen, beginnt dieses Lehrbuch nicht mit dem Rechtsgeschäft des Allgemeinen Teils, sondern mit dem Kauf des Besonderen Schuldrechts und mit der Anspruchsgrundlage des § 433. Methodisch führt der Weg vom Kaufvertrag als der Anspruchsvoraussetzung des § 433 über den Verpflichtungsvertrag des allgemeinen Schuldrechts (§§ 311 ff.) zum Vertrag des Allgemeinen Teils (§§ 145 ff.), der aus Willenserklärungen besteht (§§ 116 ff.) und ein Rechtsgeschäft ist (§§ 104 ff.). Das Rad der Rechtsgeschichte lässt sich freilich nicht zurückdrehen. Die große Leistung des BGB besteht darin, dass es allgemeine Regeln für alle Verträge formuliert und vor die Klammer gestellt hat. Vor dieser Klammer sollen sie auch bleiben. Das BGB ist aber kein Lehrbuch, sein Aufbau zwar logisch, aber schwer durchschaubar. Ein Lehrbuch hingegen soll den Stoff ungeniert so gliedern, dass der Leser die rechtlichen Zusammenhänge verstehen kann.