Читать книгу Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer - Страница 28
1. Die Subsumtion des Sachverhalts unter die Rechtsnormen
Оглавление11
Recht anwenden heißt, für einen bestimmten Lebenssachverhalt (Autokauf oder Verkehrsunfall) aus einer abstrakten Rechtsnorm (§ 437 BGB oder § 7 I StVG) konkrete Rechtsfolgen ziehen. Wie aber lässt sich zwischen zwei heterogenen Größen: der abstrakten Rechtsnorm und dem konkreten Lebensvorgang eine plausible Verbindung herstellen? Jede vollständige Rechtsnorm besteht aus zwei Teilen: aus Tatbestand und Rechtsfolge. Rechtsfolge ist oft ein Anspruch. Die Rechtsnorm ist dann Anspruchsgrundlage und ihr Tatbestand formuliert die Anspruchsvoraussetzungen. Den Anspruch bekommt nur, wer die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Der Versuch, die Tatsachen des Lebens mit den Begriffen des Gesetzes in Einklang zu bringen, heißt von alters her Subsumtion und besteht aus drei Sätzen: aus Obersatz, Untersatz und Schlusssatz, nach dem bekannten naturwissenschaftlichen Muster: Alle Menschen müssen sterben (Obersatz). Sokrates ist ein Mensch (Untersatz). Also muss auch Sokrates sterben (Schlusssatz).
Der Jurist argumentiert genauso, ersetzt das „Müssen“ freilich durch das „Sollen“. Obersatz ist die abstrakte Rechtsnorm, Untersatz der konkrete Rechtsfall (Sachverhalt), Schlusssatz die konkrete Rechtsfolge.
Obersatz: | Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen nach § 823 I zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. |
Untersatz: | Der Beklagte hat den Hund des Klägers, einen dreijährigen Boxer-Rüden im Werte von 1 500,– €, willentlich vergiftet, weil ihn das ständige Bellen störte. |
Schlusssatz: | Also ist der Beklagte verpflichtet, dem Kläger den Schaden von 1 500,– € zu ersetzen. |
Der juristische Denkweg beginnt mit der konkreten Rechtsfolge, die der Kläger im Klageantrag formuliert (Anspruch auf 1 500,– € Schadensersatz), sucht nach der passenden Anspruchsgrundlage für Schadensersatz (§ 823 I) und prüft, ob der konkrete Sachverhalt (Vergiftung des Hundes) den abstrakten Tatbestand der Anspruchsgrundlage (rechtswidrige und schuldhafte Eigentumsverletzung) erfülle.