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Ein deutscher Schuhmacher (1630)
ОглавлениеAlexandre Dubois’ Chronik vom unvorstellbaren Leid in der Gemeinde Rumegies ging das Tagebuch eines gewissen Hans Heberle voraus, eines Schuhmachers aus dem Dorf Neenstetten etwa zwölf Meilen nördlich von Ulm, damals eine der größten Städte Süddeutschlands.
Auf dem Höhepunkt des Dreißigjährigen Kriegs durchquerten den Großraum Ulm mit seinen vielen verstreuten Dörfern immer wieder schwedische und kaiserlichen Armeen mit ihren vielen Einheiten ausländischer Soldateska – Finnen, Schotten, Iren, Spanier, Polen, Tschechen, Kroaten, Ungarn, Italiener und andere mehr. Der Schuhmacher beschreibt, wie Neenstetten und das benachbarte Weidenstetten immer wieder Opfer plündernder Soldaten wurden, die die Dörfer zu Pferd und zu Fuß überfielen. Diese Überfälle endeten häufig mit dem massenhaften Diebstahl von Vieh, Futtermitteln, Getreide, Werkzeugen, Fuhrwerken und Pferden. Dorfbewohner wurden geschlagen, getötet, Lösegeld erpresst; manchmal wurden Frauen vergewaltigt, gelegentlich entführt. Brandstiftung war ebenfalls ein häufiges Phänomen, dem vor allem diejenigen Bauern zum Opfer fielen, die sich wehrten.
Mit versprengten Freischärlern konnten die Dorfbewohner noch umgehen, aber die Ankunft ganzer Kompanien verbreitete unter ihnen Angst und Schrecken. Sie packten dann rasch ihre wertvollsten beweglichen Güter (und ihre Lebensmittel) zusammen, packten sie auf Karren oder Wagen und machten sich rasch auf nach Ulm, um hinter den Stadtmauern Schutz zu suchen. Heberle, unser Schuhmacher, zählt im Laufe der 1630er- und 1640er-Jahre nicht weniger als dreißig solcher Fluchten. Hunger, Unterernährung, Krankheit, eiskalte Winter und das Leben in den überfüllten Fuhrwerken (manchmal mehrere Wochen am Stück) wurde geradezu zur Regel. Man kann sich gut vorstellen, dass es zu Spannungen zwischen den armen Flüchtlingen und den Ulmer Bürgern kam, vor allem wenn die Flüchtlinge Krankheiten mitbrachten oder wenn sie keine Nahrung mehr hatten und betteln mussten.
Allerdings konnte sich das Schicksal durchaus auch gegen die Soldaten wenden, nämlich wenn sie bestraft wurden. Im kaiserlichen Heer gab es Kommandanten, die (soweit möglich) ein diszipliniertes Klima schaffen wollten und zum Teil drastische Strafen gegen ihre Männer verhängten. Hans Heberle, ein Lutheraner, für den Priester „gefräßige Tiere“ waren, erlebte selbst mit, auf welche Weise katholische Offiziere Gerechtigkeit walten ließen: Er sah zu, wie Soldaten zum Tode verurteilt wurde – einmal waren es gleich zehn auf einmal, einige von ihnen „vornehme und hochrangige Offiziere. Sie wurden auf dem Marktplatz [von Geislingen] enthauptet“. Was Heberle nicht in Betracht zog, war die Tatsache, dass auch die schreckliche Grausamkeit der Soldaten in Kriegszeiten nicht von ungefähr kam und bestimmte Gründe hatte; ihnen ging es oft genug selbst ums bloße Überleben, wie in einem späteren Kapitel erzählt werden soll.