Читать книгу Blutiges Zeitalter - Lauro Martines - Страница 23

2 Pöbel und Adlige: Soldaten Abschaum

Оглавление

Die oberen Klassen in Europa – aus denen die Offiziere stammten – betrachteten ihre Soldaten in der Regel als Abschaum. Das lässt sich schlüssig in Worten und Tatsachen beweisen, durch die Art und Weise, wie Herrscher und Minister ihre bewaffneten Männer behandelten. König Ludwig XIV. († 1715) hatte sich eigentlich vorgenommen zu erreichen, dass der demütige Dienst in seiner Armee als ehrenhaft galt. Als etwas, auf das ein Franzose mit Recht stolz sein konnte. Aber die Macht der Tradition, der dringende Bedarf an Rekruten und das Verhalten seiner Offiziellen ließen keinen Platz für diesen Traum.

In einer Welt des Blutadels, der privilegierten Kasten und der heiligen Hierarchien war die soziale Identität etwas, dem man nicht entkam. Eliten und Geistliche (protestantische wie katholische) vertraten die Ansicht, dass die Mächtigen jenen Platz innehatten, der innerhalb der natürlichen Ordnung des Kosmos für sie vorgesehen war. Die Soldaten waren zumeist schmutzige Analphabeten, die von ihren beschimpft und herumgescheucht wurden – natürlich waren sie nach der Ordnung der Dinge bloß niedere Kreaturen. Und überhaupt: War der gemeine Soldat in der Regel nicht ohnehin ein Schuft? Ein Spieler, ein Müßiggänger, ein Trunkenbold, vielleicht sogar ein ehemaliger Knastbruder?

Diesen Behauptungen und Karikaturen stand natürlich auch eine ganze Reihe von Ausnahmen gegenüber. In den großen Armeen fanden sich auch immer wieder ganz normale Angestellte, Studenten, die Söhne von Bauern und kleinen Kaufleuten. Mitunter verbarg sich dort auch der eine oder andere verarmte und ungebildete Adlige, der durch den Kontakt zu den Offizieren hoffte, ein wenig Kriegsbeute in die Finger zu bekommen und so seinen Status aufzuwerten. Ludwig XIV. erklärte es für ungesetzlich, dass diese an der Seite von Bürgerlichen dienten. Zu jeder Armee gehörten außerdem qualifizierte Handwerker – Schmiede, Lederarbeiter und Zimmerleute. Doch dies waren Männer, die mit eigenen Händen bescheidene Arbeit leisteten – sie waren nicht in der Lage, den Rang des gemeinen Soldaten aufzuwerten, ebenso wenig wie die wenigen Rekruten, die „etwas Besseres“ waren (oder sich dafür hielten). Ausschließlich in religiös motivierten Kriegen, in denen man für Gott zu kämpfen glaubte, konnte der niedere Soldat ansatzweise als ehrenhaft gelten. Ende 1552, bei der verheerenden Belagerung von Metz, in deren Rahmen seine Soldaten zu Tausenden starben, äußerte Kaiser Karl V. die Meinung, dass das nichts mache, denn diese Soldaten seien wie Raupen oder Heuschrecken, „die sich an den Knospen und anderen guten Dingen der Erde sattessen … Wären sie Männer von Wert, dann würden sie ja nicht für [nur] sechs Livres pro Monat in seinem Lager hausen“. Dies sagte er zu einem seiner führenden Generäle, dem Herzog von Alba, der seinerseits auf die meisten Fußsoldaten als „Arbeiter und Handlanger“ herabsah. Diese Haltung war den meisten kommandierenden Offizieren zu eigen, fast überall.

Gegen Ende jenes Jahrhunderts erklärte der bedeutende spanische Jurist Castillo de Bovadilla, Krieg sei „auch deshalb sinnvoll, weil im Zuge seiner zahlreiche Männer, die der Kot und das Exkrement des Gemeinwesens sind, fortgejagt werden und als Soldaten dienen müssen. Duldete man diese, so würden sie uns krank machen, so wie die schlechten Säfte, die man dem Körper austreibt und damit die guten Säfte fördert“. Fast 200 Jahre später, in den 1780er-Jahren, bemerkte der französische Kriegsminister, der Graf von Saint-Germain: „So wie die Dinge liegen, muss die Armee zwangsläufig aus dem Abschaum des Volkes bestehen und all denjenigen, für die die Gesellschaft keine Verwendung hat.“ Und noch Anfang des 19. Jahrhunderts vertrat der Herzog von Wellington die Auffassung, dass die Armee, die er gegen Napoleon führte, aus dem „Abschaum dieser Erde“ bestand – vor allem aus Trunkenbolden, denen man am besten, so glaubte er, Disziplin durch Prügel beibrachte.

Diese Sicht – der Soldat als Abschaum – hielt sich äußerst hartnäckig. Den kleinen Armeen im Italien des 15. Jahrhunderts blieb dieser Standesdünkel noch größtenteils erspart, obgleich auch sie gefürchtet und wenig beliebt waren. Angeführt wurden sie von privaten Stabsoffizieren (Condottieri), die den Herrschern auf Vertragsbasis dienten, und es waren Truppen von Freiwilligen, zudem mehr Kavallerie als Infanterie: Sie waren besser gekleidet, weniger verroht und mussten nur selten Hunger leiden, denn dass sie komplett von der Versorgung mit Nahrungsmitteln abgeschnitten waren, kam kaum vor. Auch sie bekamen hin und wieder ihren Sold nicht, aber ihre Feldzüge führten sie fast immer in die Nähe florierender Städte. Die große Verachtung für die Soldaten war eher ein Produkt des 16. oder 17. Jahrhunderts. Sie hing mit der rasenden Inflation jener Zeit zusammen, die die Armut verstärkte und damit die Verzweiflung der Soldaten; aber vor allem war sie ein Nebenprodukt der grassierenden Praxis der brutalen Zwangsrekrutierung. Und die erreichte vor allem die „Niedrigsten der Niedrigen“.

In den 1620er-Jahren schrieb Thomas Barnes, die Zwangsrekrutierung sei ein gutes Mittel, „um eine Stadt zu reinigen und ein Land von Landstreichern und Leuten, die mitten unter uns ein unanständiges Leben führen, zu befreien“. Er war der Ansicht, dass solche Menschen, wenn sie in Kriegszeiten dem Tod ins Angesicht sahen, endlich über ihre armen Seelen nachdenken würden. In Bristol bezeichnete 1635 der Prediger Thomas Palmer gewaltsam in die Armee gezwungene Männer als „Abschaum der Meere“ und „Exkrement des Landes“. Für seinen Kampf für den Protestantismus in Irland wollte er indes eine ganz andere Armee: „Es ist kein christliches Vorgehen, für ein solch ernsthaftes Vorhaben solche sündigen Maßnahmen zu wählen.“

Damit ließ er die Katze aus dem Sack: Wenn die Praxis der Zwangsrekrutierung nicht überall auf gleiche Weise und universell einsetzbar war, dann konnte daraus leicht ein Mittel zur sozialen Säuberung werden.

Und wie wurden die unfreiwilligen Rekruten ausgewählt? Bei Protestanten wie auch bei Katholiken stellte die Kirche die höchste Instanz gesellschaftlich-institutioneller Kontrolle dar. Die Tauf- und Todeslisten der Pfarreien boten Regierungen die Namen und Identitäten potenzieller Kandidaten für das Heer.

Solange Europa für die Regimenter der Berufsarmeen, der Herrscher und ihrer Stabsoffiziere genügend Freiwillige und Söldner produzierte, konnte man sich über einen Arbeitskräftemangel kaum beklagen. Dort, wo genug bezahlt wurde, dass man einigermaßen davon leben konnte, gab es immer Männer, die bereit waren, Waffen zu tragen – besonders gut verdeutlichen dies zwei Armeen des 16. Jahrhunderts: die Schweizer Pikeniere und die deutschen Landsknechte.

Damals wie auch später trieb der Hunger die Rekruten in die Armeen Europas, wo sie hofften, genug zu essen zu bekommen; Beispiele dafür sind die Söldner in den Vereinigten Niederlanden des frühen 17. Jahrhunderts und im Deutschland der 1630er- und 1640er-Jahre.

Bis Mitte des 16. Jahrhunderts gab es im Prinzip genügend Freiwillige in Europa, um die Nachfrage zu befriedigen. Doch dann änderten sich mit einem Mal die Ambitionen der Fürsten, und religiöse Kontroversen entstanden, und beides verlangte immer öfter nach immer mehr Soldaten.

Blutiges Zeitalter

Подняться наверх