Читать книгу Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 13

Die Jagd

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Allen voran, auf blaugrauem, krummnasigem Pferde, ritt der Pikör, der den Beinamen »der Türke« hatte, mit einer zottigen Pelzmütze auf dem Kopfe, einem riesigen Horn über der Schulter und einem Jagdmesser im Gürtel. Aus dem finstern, wilden Aussehen dieses Menschen hätte man schließen können, daß er nicht zur Jagd, sondern in einen Kampf auf Leben und Tod reite. Neben den Hinterbeinen seines Pferdes liefen in buntem, wogendem Knäuel die zusammengekoppelten Jagdhunde. Es war traurig zu sehen, welches Schicksal den unglücklichen Hund ereilte, der es sich einfallen ließ, zurückzubleiben. Mit großer Anstrengung mußte er seinen Kameraden zu sich herüberziehen, und wenn ihm dies gelungen war, schlug ihn unbedingt einer der hinterher reitenden Hundewärter mit der Hetzpeitsche und schrie ihm zu: »In die Koppel!«

Als wir das Hoftor passiert hatten, befahl Papa den Jägern und uns, die Straße entlang zu reiten, während er selbst ins Roggenfeld hineinlenkte.

Die Getreideernte war in vollem Gange. Das unübersehbare, glänzend gelbe Feld stieß nur an einer Seite an den hohen, bläulich schimmernden Wald, der mir damals als der allerentfernteste und geheimnisvollste Ort erschien, hinter welchem entweder die Welt aufhörte oder eine unbewohnbare Wildnis begann. Das ganze Feld war mit Garben und Menschen bedeckt. Im hohen und dichten Roggen sah man hier und da auf einem ausgemähten Streifen den gekrümmten Rücken einer Schnitterin, das Schwingen der Ähren, wenn sie sie zwischen den Fingern ordnete, dann eine im Schatten stehende Frau, die sich über eine Wiege beugte, und auf dem mit Kornblumen besäten Erntefelde verstreut umherliegende Garben. Auf der anderen Seite luden die Männer, nur mit Hemd und Beinkleid bekleidet und auf den Leiterwagen stehend, die Garben auf, wobei sie auf dem ausgedörrten Felde viel Staub aufwirbelten. Der Aufseher, in hohen Stiefeln, mit über die Schulter geworfenem Rocke und dem Merkholz in der Hand, hatte Papa schon von weitem bemerkt, nahm seinen aus Lämmerwolle gemachten Hut ab, trocknete sein rötliches Haupt- und Barthaar mit einem Handtuche und trieb die Weiber durch Zurufe zur Arbeit an. Der kleine Fuchs, den Papa ritt, ging leicht und tänzelnd, dann und wann den Kopf zur Brust neigend, am Zügel ziehend und mit dem dichten Schweif die Bremsen und Fliegen forttreibend, die sich gierig an ihm festsaugen wollten. Zwei Windhunde setzten graziös über die hohen Stoppeln hinter dem Pferde her, die Beine hochhebend, mit sichelförmig nach oben gekrümmtem Schweife; Milka lief voran und bog den Kopf zurück, als erwarte sie etwas. Die Stimmen der Leute, das Getrampel der Pferde, der Lärm der Wagen, der fröhliche Schlag der Wachteln, das Summen der Insekten, die in fast unbeweglichen Schwärmen in der Luft hingen, der Geruch von Wermut, Stroh und Pferdeschweiß, die tausenderlei Farben und Schatten, welche die glühende Sonne über das hellgelbe Erntefeld, die blaue Ferne des Waldes und die lichtvioletten Wolken verteilte, die weißen Sommerfäden, die in der Luft schwebten oder sich über die Stoppeln legten, – all das sah, hörte und fühlte ich.

Als wir am Kalinowschen Walde anlangten, fanden wir die Liniendroschke schon vor und außerdem – ganz unerwarteterweise – einen einspännigen Feldwagen, in welchem der Küchenmeister saß. Aus dem Heu, das den Boden des Wagens bedeckte, lugten hervor: ein Samowar, eine Eismaschine und einige verheißungsvolle Bündelchen und Schächtelchen. Ein Irrtum war nicht möglich: das bedeutete einen Tee im Freien mit Gefrornem und Früchten. Beim Anblick des Wagens bekundeten wir eine lärmende Freude, denn im Walde Tee zu trinken, auf dem Grase gelagert, und überhaupt an einem Orte, auf dem niemand je Tee getrunken hatte, galt uns als besonderer Genuss.

»Der Türke« kam an das Gehölz herangeritten, machte halt, hörte aufmerksam Papas genaue Weisungen an, wie man ausrücken und wo man herauskommen sollte (übrigens befolgte er diese Weisungen niemals, sondern tat, was ihm gut schien), koppelte die Hunde los, band ohne besondere Eile die Koppeln hinten an den Sattel, bestieg wieder sein Pferd und verschwand, den Hunden zupfeifend, hinter den jungen Birken.

Die losgekoppelten Jagdhunde äußerten vor allem durch Schweifwedeln ihre Freude, schüttelten und reckten sich und rannten dann in leichtem Trab schnüffelnd und schweifwedelnd nach verschiedenen Richtungen.

»Hast du ein Taschentuch?« fragte mich Papa.

Ich zog es hervor und zeigte es ihm.

»Nun, so binde diesen grauen Hund daran –«

»Den Giran?« fragte ich mit Kennermiene.

»Ja, und lauf den Weg entlang. Wenn du an die Lichtung kommst, bleibst du stehen. Und paß auf: daß du mir nicht ohne Hasen zurückkommst!«

Ich umwickelte Girans zottigen Hals mit dem Tuche und rannte Hals über Kopf der bezeichneten Stelle zu. Papa lachte und rief mir nach:

»Schneller, schneller! sonst kommst du zu spät!«

Giran blieb alle Augenblicke stehen, spitzte die Ohren und horchte auf die antreibenden Rufe der Jäger. Es fehlte mir an Kraft, ihn von der Stelle zu schleppen, und ich begann zu rufen: »Hatu! Hatu!« Da stürmte er so ungestüm vorwärts, daß ich ihn kaum halten konnte und mehr als einmal hinfiel, bevor ich an Ort und Stelle kam. Nachdem ich mir am Fuße einer hohen Eiche ein schattiges und ebenes Plätzchen ausgesucht hatte, legte ich mich ins Gras, platzierte Giran neben mir und wartete. Meine Phantasie eilte, wie das in ähnlichen Fällen immer zu sein pflegt, der Wirklichkeit weit voraus: ich bildete mir ein, daß ich schon den dritten Hasen hetzte, während im Walde der erste Hund Laut gab. Die Stimme des »Türken« schallte lauter und lebhafter durch den Wald; ein Jagdhund schlug an, und seine Stimme wurde öfter und öfter hörbar; bald gesellte sich eine zweite, tiefere Stimme dazu, dann eine dritte und vierte. – Zuweilen verstummten diese Stimmen, dann wieder klangen sie bunt durcheinander. Sie wurden immer lauter und anhaltender und vereinigten sich schließlich zu einem hellen, langgezogenen Getöne. Das ganze Gehölz schien von Tönen erfüllt und die Jagdlust der Meute hatte den höchsten Grad erreicht.

Als ich das alles hörte, erstarrte ich förmlich auf meinem Platze. Die Augen fest auf den Waldessaum gerichtet, stand ich da und lächelte gedankenlos; die Schweißtropfen rannen mir über das Gesicht, und obgleich sie mich im Herabrollen am Kinn kitzelten, wischte ich sie nicht ab. Mir war, als ob es keinen wichtigeren Augenblick geben könne als diesen. Eine solche Nervenanspannung war zu unnatürlich, um von Dauer zu sein. Die Jagdhunde ließen sich bald ganz in der Nähe der Lichtung hören, bald in weiterer Ferne; kein Hase zeigte sich. Ich begann mich nach allen Seiten umzuschauen. Giran machte es ähnlich wie ich: zuerst hatte er gewinselt und sich frei machen wollen, dann aber streckte er sich neben mir aus, legte die Schnauze auf mein Knie und beruhigte sich.

Rund um die bloßgelegten Wurzeln der Eiche, unter der ich saß, auf der grauen, trockenen Erde, zwischen dem dürren Eichenlaub, den Eicheln, dem vertrockneten, bemoosten Reisig, dem gelblichgrünen Moos und den spärlichen, dünnen, grünen Grashälmchen wimmelte es von Ameisen. Eine hinter der andern hasteten sie auf den von ihnen selbst gebahnten Wegen vorwärts, einige eine Last schleppend, andere unbeladen. Ich nahm einen dürren Zweig und versperrte ihnen damit den Weg. Man muß es mitangesehen haben, wie sie, jede Gefahr verachtend, entweder unter dem Hindernis durchkrochen oder es überkletterten; aber einige, besonders die beladenen, verloren alle Fassung und wußten nichts anzufangen: sie blieben stehen, suchten einen Umweg, liefen zurück oder gelangten über den Zweig bis zu meiner Hand und schienen die Absicht zu haben, in den Ärmel meines Rockes zu schlüpfen. Von diesen interessanten Beobachtungen wurde ich durch einen gelbflügeligen Schmetterling abgelenkt, der mich äußerst verlockend umgaukelte. Sobald ich ihm aber meine Aufmerksamkeit zuwandte, flog er auf etwa zwei Schritte von mir fort, umflatterte eine halbverwelkte weiße Kleeblüte und ließ sich schließlich darauf nieder. Ich weiß nicht, ob er sich in der Sonne wärmte oder ob er Saft aus der Blume sog, aber ich sah es ihm an, daß er sich ungemein wohl fühlte. Er bewegte nur zuweilen die Flügelchen und schmiegte sich fest an die Blüte; schließlich blieb er unbeweglich sitzen. Ich stützte meinen Kopf in beide Hände und betrachtete ihn mit Vergnügen.

Plötzlich heulte Giran auf und riß mich so ungestüm vorwärts, daß ich beinahe hingefallen wäre. Ich blickte mich um. Am Waldessaum – den einen Löffel gesenkt, den andern gespitzt – sprang ein Hase umher. Mir schoß das Blut zu Kopfe; alles vergessend schrie ich etwas mit wilder Stimme, gab den Hund frei und stürmte vorwärts. Aber kaum hatte ich das getan, als ich's auch schon bereute: der Hase machte ein Männchen, hüpfte hoch auf – und ich sah ihn nicht wieder.

Aber wie sehr schämte ich mich, als hinter der Meute, die jetzt laut bellend die Spur des Hasen auf die Lichtung heraus verfolgte, aus dem Gestrüpp hervortretend »der Türke« erschien! Er hatte meinen Fehler (der darin bestand, daß ich nicht stillgehalten hatte) bemerkt und sagte nur mit einem Blick voller Verachtung: »Ei, Herr!« Aber man muß wissen, wie er das sagte! Es wäre mir lieber gewesen, wenn er mich wie einen Hasen hinten an seinen Sattel gehängt hätte.

Lange stand ich in höchster Verzweiflung auf demselben Fleck, rief den Hund nicht zurück und sagte nur immer wieder, indem ich mich auf die Schenkel schlug:

»Mein Gott, was hab' ich angerichtet!«

Ich hörte, wie die Meute weiterjagte, wie der Lärm sich auf die andere Seite des Gehölzes hinzog, wie »der Türke« mit seinem Riesenhorne die Hunde zurückrief, – aber ich rührte mich nicht von der Stelle.

Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre

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