Читать книгу Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 16

Was mein Vater für ein Mann war

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Er war ein Mann des vorigen Jahrhunderts und besaß die Charaktereigenschaften, welche der Jugend jener Zeit eigen waren: Ritterlichkeit, Unternehmungslust, Selbstvertrauen, Liebenswürdigkeit und Vergnügungssucht. Auf die Menschen unseres Jahrhunderts blickte er mit Verachtung; das kam sowohl von dem ihm angeborenen Stolz, als auch von dem heimlichen Ärger darüber, daß er in unserer Zeit nicht mehr den Einfluß und die Erfolge haben konnte, die er zu seiner Zeit gehabt hatte. Seine beiden Hauptleidenschaften waren die Karten und die Frauen. Er hatte in seinem Leben einige Millionen gewonnen und verloren und hatte Beziehungen zu unzähligen Frauen aller Stände angeknüpft.

Ein hoher, stattlicher Wuchs, ein sonderbarer, fast trippelnder Gang, die Gewohnheit, mit der Schulter zu zucken, kleine, immer lächelnde Augen, eine große Adlernase, unregelmäßige, aber gefällig gefügte Lippen, ein kleiner Sprachfehler – er lispelte – und eine große, über den ganzen Kopf gehende Glatze: das war das Äußere meines Vaters von der Zeit an, wo ich mich seiner erinnere, ein Äußeres, mit dem er es verstand, nicht nur ein Mann à bonnes fortunes zu heißen und zu sein, sondern auch allen ohne Ausnahme zu gefallen, Menschen aller Stände und Kreise und besonders denen, welchen er gefallen wollte.

Er verstand es, im Umgange mit jedem die erste Rolle zu spielen. Ohne je den »höchsten« Gesellschaftskreisen angehört zu haben, verkehrte er immer mit Leuten dieser Kreise, und zwar so, daß er von ihnen geachtet wurde. Er kannte jenes äußere Maß von Stolz und Selbstvertrauen, welches, ohne die andern zu verletzen, ihn in den Augen der Welt höher stellte. Er war originell, aber nicht immer; er gebrauchte die Originalität als ein Mittel, welches in manchen Fällen Weltgewandtheit und Reichtum ersetzt. Nichts auf Erden vermochte ihn in Verwunderung zu setzen; wie glänzend seine Lage auch sein mochte, es schien immer, als sei er in ihr geboren. Er verstand es so gut, die allbekannte, dunkle, mit kleinlichen Verdrießlichkeiten und Unannehmlichkeiten erfüllte Hälfte seines Lebens vor anderen zu verbergen und von sich selbst fernzuhalten, daß man nicht umhin konnte, ihn zu beneiden. Er war Kenner in alle dem, was Bequemlichkeit und Genuss verschaffen kann, und wußte sich dessen zu bedienen. Sein Steckenpferd waren die glänzenden Verbindungen, zu denen er teils durch den Verwandtenkreis meiner Mutter, teils durch seine Jugendfreunde gekommen war; über die letzteren ärgerte er sich im Grunde seines Herzens, weil sie es zu hohem Rang gebracht hatten, während er für immer Gardeleutnant a. D. geblieben war. Wie alle früheren Militärs verstand er es nicht, sich nach der Mode zu kleiden, aber er kleidete sich wenigstens originell und geschmackvoll. Er trug stets bequeme und leichte Kleider, schöne Wäsche, breit umgeschlagene Kragen und Manschetten. Übrigens stand ihm alles gut bei seiner stattlichen Figur, dem kahlen Kopf und den ruhigen, selbstbewußten Bewegungen. Er war gefühlvoll und sogar leicht gerührt. Wenn er beim Vorlesen an eine pathetische Stelle kam, fing seine Stimme oft an zu zittern, seine Augen füllten sich mit Tränen, und ärgerlich legte er das Buch beiseite. Er liebte die Musik und sang bisweilen – sich selbst auf dem Klavier begleitend – die Romanzen seines Freundes A..., Zigeunerlieder oder Opernmotive; klassische Musik aber hatte er nicht gern, und ohne sich um die allgemeine Meinung zu kümmern, gestand er offen, daß Beethovens Sonaten ihm Langweile und Schlaf verursachten, und daß er nichts Schöneres kannte als »Weckt mich junges Mädchen nicht«, so wie die Semjonowa es sang, oder das »Nicht allein« der Zigeunerin Tanjuscha. Er war einer jener Charaktere, die zu einer guten Tat unbedingt ein Publikum haben müssen. Und nur das hielt er für gut, was das Publikum gut nannte. Gott weiß, ob er überhaupt irgend welche moralische Überzeugungen hatte. Sein Leben war so ausgefüllt mit Zerstreuungen jeder Art, daß er keine Zeit fand, sich Überzeugungen zu bilden, und es verlief so glücklich, daß er auch die Notwendigkeit dazu nicht einsah. Im Alter bildeten sich in ihm zwar feste Ansichten aus, aber nur auf praktischer Grundlage: die Art des Handelns und der Lebensweise, die ihm Glück und Vergnügungen verschafft hatten, nannte er gut und fand, daß jedermann immer so handeln müßte. Er war äußerst redegewandt, und diese Fähigkeit, glaube ich, trug viel zur Unsicherheit seiner Grundsätze bei: er konnte ein und dieselbe Handlung sowohl als reizende Schelmerei wie als niedrige Gemeinheit schildern.

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