Читать книгу Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 17
Beschäftigungen im Arbeitszimmer und im Salon
ОглавлениеEs dämmerte schon, als wir zu Hause ankamen. Maman setzte sich an das Klavier, wir Kinder holten Papier, Bleistifte und Farben herbei und setzten uns um den runden Tisch, um zu zeichnen. Ich hatte nur blaue Farbe, nahm mir aber trotzdem vor, die Jagd zu malen. Schnell hatte ich einen blauen Knaben auf blauem Pferd und von blauen Hunden gefolgt hingemalt, dann aber geriet ich in Zweifel, ob ich einen blauen Hasen malen könne, und lief ins Arbeitszimmer zu Papa, um mit ihm darüber zu beraten. Papa las gerade, und auf meine Frage, ob es blaue Hasen gebe, antwortete er ohne aufzusehen: »Es gibt, mein Freund, es gibt!« Zum runden Tisch zurückgekehrt, entwarf ich einen blauen Hasen, fand es dann aber doch notwendig, aus diesem blauen Hasen einen Strauch zu machen. Allein auch der Strauch gefiel mir nicht; ich verwandelte ihn in einen Baum, den Baum in einen Heuschober, den Heuschober in eine Wolke, und schließlich war das ganze Papier mit blauer Farbe verschmiert, so daß ich es ärgerlich zerriß und mich bequem in einen Lehnstuhl setzte, um zu schlummern.
Maman spielte das zweite Konzert von Field, ihrem Lehrer. Ich war im Einschlafen, und in meiner Phantasie tauchten verschiedene leichte, helle, duftige Erinnerungsbilder auf. Dann spielte sie die Sonate pathétique von Beethoven, und durch meinen Sinn zog etwas Trauriges, Schweres, Finsteres. Maman pflegte diese zwei Stücke oft zu spielen, daher erinnere ich mich genau der Empfindungen, die sie in mir wachriefen. Diese Empfindungen glichen Erinnerungen, aber Erinnerungen an was? – Es war, als erinnerte ich mich an etwas, was nie geschehen war.
Mir gegenüber befand sich die Tür zu Papas Arbeitszimmer, und ich sah, wie Jakob und einige bärtige Männer in langen Bauernröcken dort eintraten. Die Tür schloß sich sofort hinter ihnen. »Aha, jetzt beginnen die Geschäfte!« dachte ich. Mir schien es, als gebe es auf der ganzen Welt nichts Wichtigeres als die Dinge, die im Arbeitszimmer vorsichgingen; in diesem Glauben bestärkte mich noch der Umstand, daß alle, die sich der Tür des Arbeitszimmers näherten, gewöhnlich nur auf den Zehenspitzen und leise flüsternd daran vorübergingen; aus dem Zimmer heraus aber schallte Papas laute Stimme und drang Zigarrenduft, der für mich immer – ich weiß selbst nicht, warum – eine große Anziehungskraft besaß.
Im Halbschlummer vernahm ich plötzlich von der Offiziantenstube her ein mir sehr bekanntes Stiefelknarren: Karl Iwanowitsch näherte sich auf den Fußspitzen, aber mit finsterem und entschlossenem Gesichte, mit verschiedenen Zetteln in der Hand, der Tür des Arbeitszimmers und klopfte leise an. Er wurde hineingelassen und die Tür fiel wieder zu.
»Wenn nur kein Unglück geschieht!« dachte ich; »Karl Iwanowitsch ist verärgert, – er ist zu allem fähig –« Dann schlummerte ich wieder ein.
Allein es geschah keinerlei Unglück; nach einer Weile weckte mich dasselbe Stiefelknarren. Karl Iwanowitsch trat aus dem Arbeitszimmer, sich mit dem Taschentuch die Tränen von den Wangen trocknend, murmelte etwas vor sich hin und ging nach oben. Nun kam auch Papa heraus und betrat den Salon.
»Weißt du, was ich eben beschlossen habe?« fragte er in heiterem Tone, indem er Maman die Hand auf die Schulter legte.
»Was denn, mein Freund?«
»Ich nehme Karl Iwanowitsch mit den Kindern nach Moskau. Im Reisewagen ist Platz genug. Sie sind an ihn gewöhnt, und er seinerseits scheint wirklich sehr an ihnen zu hängen; und siebenhundert Rubel im Jahre kommen doch gar nicht in Betracht, et puis au fond c'est un très bon diable.«
Ich begriff durchaus nicht, warum Papa Karl Iwanowitsch schimpfte. »Das freut mich sehr«, entgegnete Maman, »für ihn und für die Kinder: er ist ein prächtiger alter Herr.«
»Wenn du gesehen hättest, wie gerührt er war, als ich ihm sagte, er möge die fünfhundert Rubel als Geschenk betrachten! Aber das Alleramüsanteste ist doch die Rechnung, die er mir gebracht hat! Die ist wirklich wert, angesehen zu werden!« fügte Papa lächelnd hinzu, indem er Maman einen von Karl Iwanowitsch beschriebenen Zettel hinhielt, »wirklich prachtvoll!«
Auf dem Zettel stand in unorthographischem und ungrammatikalischem Russisch folgendes:
»Für die Kinder zwei Angeln 70 Kop.
Buntes Papier, Goldborte, Kleister und Modell für eine
Schachtel, als Geschenk 6 Rbl. 55 Kop.
Buch u. Armbrust, Geschenke f. d. Kinder 8 Rbl. 16 Kop.
Beinkleid für Nikolaj 4 Rbl. 16 Kop.
Die von Peter Alexandrowitsch i. J. 18.. versprochene
goldene Uhr aus Moskau 140 Rbl. 16 Kop.
Folglich hat Karl Mauer außer dem Gehalt zu bekommen: 159 Rbl. 79 Kop.
Beim Lesen dieser Rechnung, in welcher Karl Iwanowitsch verlangt, daß man ihm alles bezahle, was er für Geschenke ausgegeben, und daß man ihm sogar ein versprochenes Geschenk vergüte, wird jedermann denken, daß Karl Iwanowitsch nichts als ein gefühlloser und habsüchtiger Egoist gewesen sei, – und jedermann wird sich irren.
Als Karl Iwanowitsch mit den Zetteln in der Hand und einer wohlvorbereiteten Rede im Kopf das Arbeitszimmer betreten hatte, war es seine Absicht gewesen, meinem Vater in schön gesetzten Worten alle die Ungerechtigkeiten vorzuhalten, die er in unserem Hause erduldet hatte; aber als er dann zu sprechen anfing – mit rührender Stimme und der gefühlvollen Betonung, mit welcher er uns zu diktieren pflegte, – wirkte seine Beredsamkeit am stärksten auf ihn selbst, so daß er, als er an die Stelle kam, an welcher er sagen wollte: »So traurig es für mich auch sein wird, mich von den Kindern zu trennen –«, in Verwirrung geriet; seine Stimme bebte, und er war gezwungen, sein kariertes Taschentuch aus der Tasche zu ziehen.
»Ja, Peter Alexandrowitsch«, sagte er unter Tränen (diese Worte waren in der beabsichtigten Rede gar nicht vorgesehen), »ich habe mich an die Kinder so gewöhnt, daß ich nicht weiß, was ich ohne sie anfangen werde. Lieber will ich ohne Gehalt bei Ihnen bleiben«, fügte er hinzu, indem er mit einer Hand seine Tränen trocknete und mit der andern die Rechnung überreichte.
Daß Karl Iwanowitsch in diesem Augenblick aufrichtig war, das kann ich ruhig behaupten, denn ich kenne sein gutes Herz. Aber wie die Rechnung mit seinen Worten in Einklang zu bringen ist, – das bleibt mir ein Rätsel.
»Wenn es Ihnen schwer fällt, – mir wäre es noch schwerer, mich von Ihnen zu trennen«, sagte Papa, ihm auf die Schulter klopfend, »ich hab' mir's überlegt.«
Kurz vor dem Abendessen trat Grischa ins Zimmer. Von dem Augenblick an, da er in unser Haus gekommen war, hatte er nicht aufgehört, zu seufzen und zu weinen, was nach der Meinung derer, die an seine Weissagungsgabe glaubten, für unser Haus irgend ein Unglück bedeuten mußte. Er verabschiedete sich und erklärte, daß er morgen früh weiterwandern werde. Ich blinzelte Wolodja zu und ging zur Tür hinaus.
»Was ist los?«
»Wenn ihr Grischas Ketten sehen wollt, so kommt gleich nach oben auf die Männerabteilung der Dienstboten. Grischa schläft im zweiten Zimmer, – in dem Verschlage daneben kann man famos sitzen, – von dort können wir alles sehen!«
»Vortrefflich! Warte hier, ich hol' die Mädels.«
Die Mädchen kamen herausgelaufen und wir begaben uns hinauf. Nicht ohne Streit entschieden wir, wer als erster in den dunklen Verschlag hinein sollte; dann setzten wir uns darin nieder und warteten.