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Die Fürstin Kornakow

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Bitte sie, einzutreten.« sagte Großmama, indem sie sich tiefer in den Sessel setzte.

Die Fürstin war eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, klein, schmächtig, mit gelblichem Teint und graugrünen, unangenehmen Äuglein, deren Ausdruck dem des unnatürlich-lieblich verzogenen Mündchens direkt widersprach. Unter dem Samthut mit Straußenfedern sah hellrotes Haar hervor; die Augenbrauen und Wimpern erschienen auf der ungesunden Gesichtsfarbe noch heller und rötlicher. Trotz alledem hatte sie – dank der Ungezwungenheit ihrer Bewegungen, der auffallenden Kleinheit der Hände und der besonderen Hagerkeit des Gesichtes – etwas Vornehmes und Energisches an sich.

Die Fürstin sprach sehr viel und gehörte daher zu jenen Leuten, die immer so reden, als ob man ihnen widerspreche, wenn auch niemand ein Wort sagt: bald erhob sie ihre Stimme, bald ließ sie sie allmählich sinken, um dann plötzlich mit neuer Kraft und Schnelligkeit weiterzureden, dabei blickte sie der Reihe nach die anwesenden, aber am Gespräch nicht teilnehmenden Personen an, als wollte sie sich durch diesen Umblick stärken.

Obgleich die Fürstin Großmama die Hand küßte und sie unaufhörlich »ma bonne tante« nannte, bemerkte ich, daß ihre Anwesenheit Großmama nicht angenehm war. Die alte Dame zog die Augenbrauen auf eine besondere Art hoch, als die Fürstin ihr erzählte, daß es dem Fürsten Michael ganz unmöglich gewesen sei, zur Gratulation zu kommen, so sehr er's gewünscht hatte; die französische Anrede der Fürstin in russischer Sprache beantwortend und die Worte eigentümlich dehnend, sagte sie:

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, meine Liebe, für Ihre Aufmerksamkeit; und daß Fürst Michael nicht gekommen ist, – was ist darüber viel zu reden, – er hat immer eine solche Unmenge von Geschäften; und schließlich, offen gesagt, was für ein Vergnügen wäre es für ihn, bei einer alten Frau zu sitzen?«

Und ohne der Fürstin Zeit zum Widerspruch zu lassen, fuhr sie fort:

»Nun, was machen Ihre Kinderchen, meine Liebe?«

»O Gott sei Dank, ma tante, sie wachsen, lernen, machen dumme Streiche! Besonders Etienne, der Älteste, wird ein solcher Taugenichts, daß man gar nicht mehr fertig wird mit ihm. Aber er ist gescheit, – un garçon qui promet. – Denken Sie sich, mon cousin«, fuhr sie fort, sich ausschließlich an Papa wendend, denn Großmama, die sich nicht im geringsten für die Kinder der Fürstin interessierte, sondern mit ihren Enkeln ein wenig prahlen wollte, holte behutsam mein Gedicht unter dem Kästchen hervor und begann das Papier aufzurollen; »denken Sie sich, mon cousin, was er neulich angestellt hat ...«

Und sich zu Papa hinüberbeugend, begann die Fürstin etwas mit großer Lebhaftigkeit zu erzählen. Nach Beendigung der Geschichte, die ich nicht verstanden hatte, begann sie sofort zu lachen, blickte Papa fragend an und sagte:

»Was für ein Junge! nicht wahr, mon cousin? Er hätte Prügel verdient, aber der Einfall war so klug und amüsant, daß ich ihm verzieh.«

Die Fürstin sah meine Großmama an, schwieg und fuhr fort zu lächeln.

»Ja schlagen Sie denn Ihre Kinder, meine Liebe?« fragte Großmama, die Augenbrauen bedeutungsvoll in die Höhe ziehend und das Wort »schlagen« besonders betonend.

»Ach, ma bonne tante«, erwiderte die Fürstin nach einem schnellen Blick auf Papa in gemacht gutmütigem Tone, »ich kenne Ihre Ansicht über diesen Punkt, aber erlauben Sie mir, in diesem Einen mit Ihnen nicht übereinzustimmen. Soviel ich auch über dieses Thema nachdachte, las oder mich mit anderen beriet, – die Erfahrung hat mich gelehrt, daß es unbedingt notwendig ist, auf die Kinder durch Furcht zu wirken. Hab' ich nicht recht, mon cousin? Und was – je vous demande un peu – was fürchten Kinder mehr als die Rute?«

Dabei blickte sie fragend auf uns, und ich gestehe, daß mir in dem Augenblick sehr unbehaglich zumute war.

»Sagen Sie, was Sie wollen, ein Knabe von zwölf, ja sogar von vierzehn Jahren ist doch immer noch ein Kind; bei einem Mädchen ist's freilich was anderes.«

»Welch ein Glück«, dachte ich mir, »daß ich nicht ihr Sohn bin!«

»Ja, das ist recht schön, meine Liebe«, sagte Großmama, indem sie mein Gedicht zusammenfaltete und wieder unter das Kästchen schob, als hielte sie die Fürstin nach dem eben Gesagten nicht mehr für würdig, ein solches Kunstwerk anzuhören; »das ist recht schön, nur sagen Sie mir bitte, wie können Sie dann von Ihren Kindern Zartgefühl erwarten?«

Und da ihr dieses Argument unwiderleglich erschien, fügte Großmama, wie um das Gespräch abzubrechen, hinzu: »Übrigens kann über diesen Punkt jeder seine eigene Meinung haben!«

Die Fürstin antwortete nicht, sondern lächelte nur nachsichtig, als wollte sie zu verstehen geben, daß sie diese seltsamen Vorurteile bei einer von ihr so hochgeachteten Persönlichkeit entschuldigen müsse.

»Ach, machen Sie mich doch mit Ihren jungen Leuten bekannt!« sagte sie dann, uns mit liebenswürdigem Lächeln ansehend.

Wir erhoben uns und blickten der Fürstin gerade ins Gesicht, wußten aber durchaus nicht, was wir tun sollten, um zu beweisen, daß wir uns »bekannt gemacht« hatten.

»Küßt doch der Fürstin die Hand!« sagte Papa.

»Ich bitte euch, die alte Tante lieb zu haben«, sprach sie, indem sie Wolodja auf den Scheitel küßte; »wenn ich auch keine nahe Verwandte bin, – ich rechne nach den freundschaftlichen Beziehungen und nicht nach den Graden der Verwandtschaft«, fügte sie hinzu, sich hauptsächlich an Großmama wendend, aber Großmama schien noch immer unzufrieden mit ihr und erwiderte:

»Ach, meine Liebe, gilt denn heutzutage eine solche Verwandtschaft überhaupt noch?«

»Dieser hier wird ein junger Weltmann«, mischte sich Papa, auf Wolodja zeigend, ins Gespräch, »und dieser ein Dichter«, setzte er hinzu, während ich die kleine, magere Hand der Fürstin küßte und mir dabei mit erschreckender Deutlichkeit in dieser Hand eine Rute, unter der Rute eine Bank usw. vorstellte.

»Welcher?« fragte die Fürstin, mich an der Hand festhaltend.

»Nun, dieser da, der Kleine mit dem struppigen Haar!« erwiderte Papa mit vergnügtem Lächeln.

»Was hat ihm mein struppiges Haar getan? Gibt's denn keinen anderen Gesprächsstoff?« dachte ich und zog mich in eine Ecke zurück.

Ich hatte die allersonderbarsten Begriffe von Schönheit, – sogar Karl Iwanowitsch hielt ich für einen der schönsten Männer der Welt; aber ich wußte sehr genau, daß ich nicht hübsch war, und darin irrte ich mich nicht; daher fühlte ich mich durch jede Anspielung auf mein Äußeres tief gekränkt.

Ich erinnere mich sehr gut, wie einst beim Mittagsmahl – ich war damals sechs Jahre alt – von meinem Äußeren gesprochen wurde und wie Maman sich bemühte, irgend etwas Hübsches in meinem Gesichte zu finden; sie behauptete, ich hätte kluge Augen und ein angenehmes Lächeln, sah sich aber gezwungen, den Ausführungen meines Vaters und den Tatsachen nachzugeben und einzugestehen, daß ich häßlich sei; als ich dann nach beendetem Mahle zu ihr ging, um zu danken, klopfte sie mir auf die Wange und sagte:

»Denk daran, Nikolenka, daß dich niemand um deines Gesichtes willen lieben wird; du mußt dich daher bemühen, ein kluger und braver Junge zu werden!«

Diese Worte überzeugten mich nicht allein von meiner Hässlichkeit, sondern auch von meiner unbedingten zukünftigen Güte und Klugheit. Dennoch kamen mir oft Augenblicke der Verzweiflung: ich bildete mir ein, es gäbe auf Erden kein Glück für einen Menschen mit so breiter Nase, so dicken Lippen und so kleinen grauen Äuglein; ich flehte zu Gott, er möge ein Wunder tun und mich in einen schönen Knaben verwandeln, und alles, was ich besaß, alles, was ich in Zukunft besitzen konnte, hätte ich hingegeben für ein hübsches Gesicht.

Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre

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