Читать книгу Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 18

Grischa

Оглавление

Uns allen war in der Dunkelheit ein wenig bange; wir schmiegten uns aneinander und sprachen kein Wort. Sehr bald nach uns trat Grischa langsamen Schrittes ins Zimmer. In der einen Hand hielt er seinen Stab, in der andern einen Messingleuchter mit einem Talglichte. Wir hielten den Atem an.

»Herr Jesus Christus! Heilige Mutter Gottes! Ehre sei dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste –« wiederholte er mehrmals seufzend mit verschiedenen Betonungen und Kürzungen, die nur denen eigen sind, welche diese Worte oft sprechen.

Nachdem er unter Gebet seinen Stab in die Ecke gestellt und sein Bett angeschaut hatte, begann er sich auszukleiden. Seinen alten schwarzen Gurt lösend, warf er langsam den zerrissenen langen Nankingrock ab, legte ihn sorgfältig zusammen und hing ihn über eine Stuhllehne. Sein Gesicht drückte jetzt nicht mehr wie gewöhnlich ängstliche Hast und Stumpfsinn aus, es war im Gegenteil ruhig, nachdenklich und sogar hoheitsvoll. Seine Bewegungen waren langsam und wohlüberlegt.

Als er die Oberkleider abgelegt hatte, ließ er sich bedächtig auf das Bett nieder, machte nach allen Seiten das Zeichen des Kreuzes darüber und rückte mit merklicher Anstrengung (denn er verzog das Gesicht dabei) die Ketten unter seinem Hemd zurecht. Er saß ein Weilchen still da und betrachtete sorgenvoll seine an einzelnen Stellen zerrissene Wäsche, dann richtete er sich auf, hob das Licht unter Gebet bis zur Höhe des Heiligenschreines, in welchem einige Heiligenbilder standen, bekreuzigte sich vor ihnen und drehte das Licht mit der Flamme nach unten. Es verlosch knisternd.

Durch die Fenster, die sich auf der Waldseite befanden, fiel das Licht des Vollmondes. Die lange, weiße Gestalt des Idioten war von einer Seite von den blassen, silberigen Mondesstrahlen beleuchtet und warf nach der andern einen langen Schatten, der über Fußboden und Wände bis zur Decke reichte. Auf dem Hofe schlug der Wächter auf die Kupferplatte.

Die großen Hände auf der Brust gefaltet, den Kopf geneigt und immer wieder schwer aufseufzend, stand Grischa stumm vor den Heiligenbildern, ließ sich dann mit Anstrengung auf die Knie nieder und begann zu beten.

Zuerst flüsterte er bekannte Gebete, indem er nur einzelne Worte stärker betonte, dann wiederholte er sie lauter und mit größerer Inbrunst. Endlich begann er mit eigenen Worten zu beten, wobei er sich eifrig bemühte, sich der Kirchensprache zu bedienen. Seine Worte waren unzusammenhängend, aber rührend. Er betete für alle seine Wohltäter (so nannte er diejenigen, die ihn bei sich aufzunehmen pflegten), darunter auch für unsere Mutter und uns selbst; er betete auch für sich, bat, Gott möge ihm seine schweren Sünden verzeihen, und wiederholte häufig: »Herr, vergib meinen Feinden!« Stöhnend und immer wieder die Gebetsworte sprechend, erhob er sich, warf sich wieder auf die Knie nieder, erhob sich wieder und so fort, ungeachtet der schweren Ketten, die bei der Berührung mit dem Boden ein hartes, scharfes Klirren hören ließen.

Walodja kniff mich schmerzlich ins Bein, aber ich sah mich nicht einmal um, rieb nur die Stelle mit der Hand und ließ nicht ab, mit einem aus kindlichem Staunen, Mitleid und Andacht zusammengesetzten Gefühl allen Bewegungen und Worten Grischas zu folgen.

Anstatt des lustigen Spaßes, den ich beim Aufsuchen des Verschlages erwartet hatte, empfand ich Beklemmung und Herzklopfen.

Lang noch blieb Grischa in diesem Zustande religiöser Verzückung und improvisierte Gebete. Bald wiederholte er schnell nacheinander: »Herr, erbarme dich!« aber jedesmal mit neuer Kraft und stärkerer Betonung; bald flehte er: »Verzeih mir, Herr! lehre mich, was ich tun soll! O lehre mich, was ich tun soll, Herr!« mit solcher Inbrunst, als erwarte er sofort eine Antwort auf seine Worte; dann wieder hörte man nur herzbrechendes Schluchzen. – Er richtete sich auf den Knien auf, faltete die Hände über der Brust und verstummte.

Ich streckte vorsichtig den Kopf zur Tür hinaus und hielt den Atem an. Grischa rührte sich nicht; schwere Seufzer entrangen sich seiner Brust; in der trüben Pupille seines blinden, vom Monde beschienenen Auges glänzte eine Träne.

»Dein Wille geschehe!« rief er plötzlich laut mit unnachahmlichem Ausdruck, warf sich nieder, mit der Stirn den Fußboden berührend, und schluchzte wie ein Kind.

Viel Wasser ist seit jener Zeit den Berg hinabgeflossen, viele Erinnerungen an die Vergangenheit haben für mich jede Bedeutung verloren und sind zu verworrenen Schattengebilden geworden; auch der unstäte Wanderer Grischa hat längst schon seine letzte Pilgerreise vollendet; aber der Eindruck, den er auf mich gemacht hat, und das Gefühl, das er in mir erweckt hat, werden in meinem Gedächtnis nie erlöschen.

O du großer Christ Grischa! Dein Glaube war so mächtig, daß du die Nähe Gottes spürtest, deine Liebe so stark, daß die Worte wie von selbst deinen Lippen entströmten, ohne daß du sie vom Verstande abschätzen ließest. – Und welch hohes Lob brachtest du der Erhabenheit Gottes dar, als du dich wortlos zu Boden warfst und weintest! ...

Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre

Подняться наверх