Читать книгу Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 24

Fürst Iwan Iwanowitsch

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Als die Fürstin mein Gedicht angehört und den Verfasser mit vielem Lob überschüttet hatte, wurde Großmama weicher gegen sie gestimmt, begann französisch mit ihr zu sprechen, nannte sie nicht mehr: »Sie, meine Liebe«, und lud sie ein, am Abend mit allen Kindern zu uns zu kommen. Die Fürstin nahm die Einladung an, saß noch ein Weilchen und verabschiedete sich.

Es kamen an diesem Tage so viele Gratulanten, daß den ganzen Vormittag über vor der Auffahrt auf dem Hofe mehrere Equipagen standen.

»Bon jour, chère cousine«, sagte einer der Gäste beim Eintritt ins Zimmer, indem er Großmama die Hand küßte.

Es war ein Mann von etwa siebzig Jahren, groß von Wuchs, mit ruhigem und offenem Gesicht, in einer Uniform mit breiten Epauletten, am Hals, gleich unterhalb des Kragens, ein großes, weißes Ordenskreuz. Die Ungezwungenheit und Einfachheit seiner Bewegungen setzten mich in Erstaunen. Obgleich er nur noch im Nacken einen Halbkreis spärlicher Haare hatte, und obgleich die Lage der Oberlippe das Fehlen der Zähne bewies, war sein Gesicht noch immer von bemerkenswerter Schönheit.

Der Fürst Iwan Iwanowitsch hatte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, dank seinem vornehmen Charakter, seinem hübschen Äußern, seiner großen Tapferkeit, seiner vornehmen und einflußreichen Verwandtschaft und besonders dank seinem Glück schon in jungen Jahren glänzende Karriere gemacht. Er war im Militärdienst geblieben und sehr bald war sein Ehrgeiz so befriedigt worden, daß ihm in dieser Beziehung nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Von früher Jugend an benahm er sich so, als bereite er sich vor für die bedeutende Stellung in der Welt, in welche ihn das Schicksal später brachte. Wenngleich in seinem glänzenden und etwas prunkvollen Dasein wie bei allen Menschen auch Misserfolge, Enttäuschungen und bittere Erfahrungen nicht ausgeblieben waren, so veränderte er doch niemals seinen stets ruhigen Charakter, seine hohe Denkungsart und ebensowenig die Grundlagen seiner religiösen und sittlichen Überzeugung; er erwarb sich die allgemeine Hochachtung nicht so sehr durch seine glänzende Stellung als durch die Folgerichtigkeit seines Denkens und die Festigkeit seines Charakters. Er besaß keinen weit umfassenden Geist, doch dank seiner Stellung, die es ihm erlaubte, auf die kleinen Widerwärtigkeiten des Lebens herabzusehen, war seine Denkungsart eine hohe und weite; er war gutmütig und gefühlvoll, zeigte sich aber im Umgang kühl und etwas hochfahrend. Das kam daher, weil er sich in einer Stellung befand, in welcher er vielen nützlich sein konnte; durch seine Kälte wollte er sich vor den unaufhörlichen Bitten und Anliegen der Menschen, die seinen Einfluß ausnutzen wollten, schützen. Diese Kälte wurde übrigens gemildert durch die herablassende Höflichkeit des feinen Mannes der sehr vornehmen Welt. Er war gebildet und belesen; seine Bildung war jedoch bei dem stehen geblieben, was er sich in seiner Jugend, das heißt zu Ende des vorigen Jahrhunderts, angeeignet hatte. Er hatte alles gelesen, was im achtzehnten Jahrhundert in Frankreich auf dem Gebiete der Philosophie und der schönen Literatur Bedeutendes geschrieben war; er kannte gründlich alle hervorragenden Erzeugnisse der französischen Literatur, so daß er Stellen aus Racine, Corneille, Boileau, Montaigne, Molière und Fénelon zitieren konnte und auch gern zitierte. Er besaß glänzende Kenntnisse in der Mythologie und hatte die alten Denkmäler epischer Dichtkunst in französischen Übersetzungen mit Eifer studiert; seine Kenntnisse in der Geschichte hatte er aus Ségurs Werken geschöpft. Dagegen hatte er nicht das geringste Verständnis für Mathematik, Arithmetik, Physik und die zeitgenössische Literatur; er verstand es, bei einem Gespräch klug zu schweigen oder einige allgemeine Phrasen über Goethe, Schiller, Byron zu sagen, hatte aber deren Werke nie gelesen. Ungeachtet dieser französisch klassischen Bildung, für welche es heutzutage nur mehr wenige Beispiele gibt, war seine Unterhaltung einfach, und diese Einfachheit verbarg sowohl seine Unkenntnis auf einzelnen Gebieten, als sie andererseits seiner Sprache etwas Angenehmes und Nachsichtiges verlieh. Er war ein Feind jeder Originalität und pflegte zu sagen, Originalität sei nichts als ein Kunstgriff von Leuten mit schlechten Manieren. Geselligkeit war für ihn ein Bedürfnis; wo er auch lebte, in Moskau oder im Ausland, überall hielt er offenes Haus und empfing an bestimmten Tagen die ganze Stadt bei sich. Er galt in der Stadt so viel, daß eine Einladungskarte von ihm als Passepartout für alle Salons dienen konnte, daß viele junge und hübsche Damen ihm gern ihre rosigen Wangen darboten, welche er väterlich küßte, und daß manche, augenscheinlich sehr bedeutende und ehrenhafte Leute sich vor Freude kaum fassen konnten, wenn sie an seiner Kartenpartie teilnehmen durften.

Es waren nur noch wenige Leute am Leben, die, wie meine Großmama, aus demselben Kreise stammten wie der Fürst, die gleiche Erziehung genossen hatten wie er, die gleichen Ansichten besaßen und ebenso alt waren. Daher waren ihm seine alten freundschaftlichen Beziehungen zu Großmama sehr wert und er bezeugte der alten Dame stets die größte Hochachtung.

Ich konnte mich an dem Fürsten nicht satt sehen: die Ehrfurcht, welche ihm alle bewiesen, die großen Epaulettes, die besondere Freude, welche Großmama bei seinem Erscheinen gezeigt hatte, und der Umstand, daß er allein, wie es schien, vor ihr keine Furcht hatte, sondern mit ihr ganz ungezwungen verkehrte und sogar die Kühnheit hatte, sie »ma cousine« zu nennen, flößten mir eine Ehrfurcht für ihn ein, welche ebenso groß, wenn nicht gar größer war als das Gefühl, das ich für Großmama empfand. Als man ihm mein Gedicht gezeigt hatte, rief er mich zu sich heran und sagte:

»Wer kann wissen, ma cousine, vielleicht wird aus ihm ein zweiter Dershawin.«

Dabei kniff er mich so schmerzhaft in die Wange, daß ich nur deshalb nicht aufschrie, weil ich erriet, daß das eine Liebkosung sein sollte.

Die Gäste waren fortgefahren, Papa und Wolodja hinausgegangen; im Salon blieben nur der Fürst, Großmama und ich.

»Warum ist denn unsere liebe Natalia Nikolajewna nicht gekommen?« fragte Fürst Iwan Iwanowitsch, nach minutenlangem Schweigen.

»Ah, mon cher«, erwiderte Großmama, die Stimme senkend und ihre Hand auf den Ärmel seiner Uniform legend, »sie wäre sicher gekommen, wenn sie frei wäre, zu tun, was sie will. Sie schreibt mir, Pierre habe ihr vorgeschlagen, die Reise zu machen, aber sie selbst habe darauf verzichtet, weil angeblich die Einnahmen von den Gütern in diesem Jahre sehr gering seien. Sie schreibt außerdem: warum sollte ich auch heuer mit dem ganzen Haushalt nach Moskau übersiedeln? Ljubotschka ist noch zu klein, und was die Knaben betrifft, die bei dir wohnen werden, so bin ich ihretwegen noch ruhiger, als wenn sie bei mir wären. – Das ist alles sehr schön«, fuhr Großmama in einem Tone fort, welcher deutlich bewies, daß sie es gar nicht schön fand, »die Knaben hätten schon längst hierher geschickt werden müssen, damit sie etwas lernen und sich in der Gesellschaft zu bewegen wissen, denn was für eine Erziehung konnte man ihnen auf dem Lande geben? Der ältere ist ja schon dreizehn, der jüngere elf Jahre alt. Sie haben ja gesehen, mon cousin, sie benehmen sich noch ganz wie die Wilden, verstehen nicht einmal ins Zimmer hereinzukommen.«

»Ich begreife nur nicht«, antwortete der Fürst, »was diese ewigen Klagen über die ungeordneten Vermögensverhältnisse bedeuten sollen; er hat doch ein schönes Vermögen, und Natalias Gut, Chabarowka, wo wir zwei einst in alten Zeiten zusammen Theater gespielt haben, kenne ich wie meine fünf Finger. Es ist ein herrliches Gut und muß immer einen schönen Ertrag abwerfen.«

»Ich sage Ihnen als meinem wahren Freunde«, unterbrach ihn Großmama mit trauriger Stimme, »mir scheint, das sind alles Ausreden, die er macht, damit er hier allein leben, sich in den Klubs und auf Diners und Soupers herumtreiben und Gott weiß was tun kann, und sie hat nicht den geringsten Argwohn; Sie wissen ja, wie engelsgut sie ist. Sie vertraut ihm in allem; er hat ihr weiß gemacht, daß die Knaben nach Moskau gebracht werden müssen, während sie allein mit der dummen Gouvernante auf dem Lande bleiben muß, – und sie hat es ihm geglaubt. Wenn er ihr heute sagt, man müsse die Kinder prügeln, wie die Fürstin Barbara Iljinischna es tut, sie würde, glaube ich, auch darein willigen«, sagte Großmama, im Lehnstuhl hin und her rückend, mit dem Ausdruck vollkommenster Verachtung. »Ja, mein Freund«, setzte sie nach kurzem Schweigen hinzu, indem sie mit einem der beiden Taschentücher eine Träne trocknete, die ihr ins Auge getreten war, »ich denke oft, daß er sie weder zu schätzen weiß, noch sie verstehen kann, und daß sie, trotz aller ihrer Güte, ihrer Liebe zu ihm und trotz des Bestrebens, ihren Kummer zu verbergen, – ich weiß das sehr gut, – mit ihm nicht glücklich sein kann; und denken sie an meine Worte, wenn er nicht –«

Großmama bedeckte ihr Gesicht mit dem Tuch.

»Eh, ma bonne amie«, sagte der Fürst vorwurfsvoll, »ich sehe, Sie sind durchaus nicht vernünftiger geworden. Sie weinen und grämen sich immer wieder über einen eingebildeten Kummer; schämen Sie sich denn gar nicht? Ich kenne ihn seit langem, und zwar kenne ich ihn als aufmerksamen, guten und vortrefflichen Gatten, und was die Hauptsache ist, als edelsten Menschen. Un parfait honnête homme.«

Nachdem ich das Gespräch, das nicht für meine Ohren bestimmt war, unfreiwillig mit angehört hatte, schlich ich mich auf den Fußspitzen und in großer Aufregung aus dem Zimmer.

Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre

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