Читать книгу Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 8

Maman

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Mütterchen saß im Salon und goss heißes Wasser auf den Tee: mit einer Hand hielt sie die Teekanne, mit der andern den Hahn des Samowars, aus dem das Wasser über den Rand der Teekanne auf den Untersatz floß. Aber obgleich sie unausgesetzt hinsah, bemerkte sie das nicht, ebenso wie sie unser Hereinkommen nicht bemerkt hatte.

Es tauchen so viele Erinnerungen an die Vergangenheit auf, wenn wir uns bemühen, die Züge eines geliebten Wesens in unsrer Vorstellung auferstehen zu lassen, daß man sie wie durch Tränen nur undeutlich sieht. Es sind das die Tränen der Einbildungskraft. Wenn ich versuche, mir meine Mutter so vorzustellen, wie sie damals war, sehe ich nur ihre braunen Augen, die ihre stets gleiche Güte und Liebe ausdrückten; das kleine Muttermal am Halse, etwas unter der Stelle, wo die kleinen Härchen sich kräuselten; den weißen gestickten Kragen, die zarte, magere Hand, die mich sooft liebkoste und die ich sooft küßte, – der Gesamtausdruck aber ist mir entschwunden.

Links vom Divan stand ein alter englischer Flügel; davor saß mein schwarzbraunes Schwesterlein Ljubotschka und spielte mit ihren rosigen, eben erst mit kaltem Wasser gewaschenen Fingerchen ausdrucksvoll die Etüden von Clementi. Sie war elf Jahre alt, hatte ein kurzes Leinenkleidchen an und weiße, mit Spitzen besetzte Höschen; die Oktaven konnte sie nur arpeggio greifen. Neben ihr, halb zu ihr gewendet, saß Maria Iwanowna in einer Haube mit rosa Bändern, in himmelblauer Morgenjacke und mit rotem, bösem Gesicht, das einen noch strengeren Ausdruck annahm, als Karl Iwanowitsch ins Zimmer trat. Sie blickte ihn drohend an und fuhr – ohne auf seine Verbeugung zu achten und mit dem Fuße den Takt schlagend – fort zu zählen: un, deux, trois ... un, deux, trois, noch lauter und befehlender als zuvor.

Karl Iwanowitsch achtete nicht im geringsten darauf, sondern schritt seiner Gewohnheit gemäß mit deutschem Gruß grade auf meine Mutter los. Sie fuhr aus ihrem Sinnen auf, schüttelte schnell das Köpfchen, als wolle sie mit dieser Bewegung trübe Gedanken verscheuchen, streckte Karl Iwanowitsch die Hand entgegen und berührte seine runzelige Schläfe mit ihren Lippen, während er ihr die Hand küßte.

»Ich danke, lieber Karl Iwanowitsch!« und indem sie fortfuhr, deutsch zu sprechen, fragte sie: »Haben die Kinder gut geschlafen?«

Karl Iwanowitsch war taub auf einem Ohr, und infolge des Lärmes vom Klavier her konnte er jetzt gar nichts hören. Er neigte sich näher zum Divan, stützte sich, auf einem Fuß stehend, mit einer Hand auf den Tisch, lüftete mit einem Lächeln, das mir dazumal als der Gipfel des feinen Tones erschien, sein Käppchen und fragte:

»Sie werden mich entschuldigen, Natalia Nikolajewna?« Karl Iwanowitsch nahm, um seinen kahlen Kopf nicht zu erkälten, das rote Käppchen nie ab, doch jedesmal, wenn er in den Salon trat, bat er meine Mutter deswegen um Entschuldigung.

»Setzen Sie's nur auf, Karl Iwanowitsch. – Ich fragte Sie, ob die Kinder gut geschlafen haben?« sagte Maman, näher zu ihm rückend und recht laut sprechend.

Aber er verstand sie wieder nicht, bedeckte seine Glatze mit dem roten Käppchen und lächelte noch liebenswürdiger.

»Hören Sie einen Augenblick auf, Mimi«, sagte Maman lächelnd zu Maria Iwanowna, »man hört nichts.«

Wenn Mütterchen lächelte, so wurde ihr Gesicht, so schön es auch sonst war, noch unvergleichlich schöner, und rund umher schien sich alles aufzuheitern. Wenn ich in schweren Augenblicken des Lebens auch nur flüchtig dieses Lächeln sehen könnte, – ich wüßte nicht, was Kummer heißt. Ich glaube, im Lächeln allein liegt, was man die Schönheit des Gesichtes nennt; wenn das Lächeln dem Gesicht größeren Liebreiz verleiht, so ist das Gesicht schön; wenn es das Gesicht gar nicht verändert, so ist dieses gewöhnlich; wenn es das Gesicht entstellt, so ist dieses häßlich.

Als Maman mich begrüßt hatte, nahm sie meinen Kopf zwischen ihre beiden Hände, bog ihn zurück, sah mich aufmerksam an und sagte:

»Du hast heute geweint?«

Ich antwortete nicht. Sie küßte meine Augen und fragte deutsch:

»Warum hast du geweint?«

Wenn sie freundschaftlich mit uns plauderte, bediente sie sich immer der deutschen Sprache, die sie vollkommen beherrschte.

»Ich hab' nur im Traum geweint, Maman«, erwiderte ich; der erfundene Traum fiel mir mit allen seinen Einzelheiten wieder ein, und ich erschauerte unwillkürlich.

Karl Iwanowitsch bestätigte meine Worte, verschwieg aber den Traum selbst. Nach einem Gespräch über das Wetter, an dem auch Mimi teilnahm, legte Maman auf das Teebrett sechs Stückchen Zucker für einige der Auszeichnung würdige Dienstboten, erhob sich und ging zum Stickrahmen, der am Fenster stand.

»Nun, Kinder, geht jetzt zu Papa! Und sagt ihm auch, daß er auf jeden Fall zu mir kommen möge, bevor er zur Tenne geht.«

Die Musik, das Zählen und die strengen Blicke begannen wieder und wir gingen zu Papa. Nach Durchschreiten des Zimmers, das noch von Großvaters Zeiten her die Offiziantenstube hieß, traten wir ins Arbeitszimmer.

Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre

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