Читать книгу Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 9

Papa

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Er stand neben dem Schreibtisch und erklärte, auf einige Briefumschläge, Papiere und Geldhäufchen deutend, in ärgerlichem und lebhaftem Tone irgend etwas dem Verwalter Jakob Michailowitsch, der, die Hände auf dem Rücken, aus seinem gewöhnlichen Platze zwischen der Tür und dem Barometer stand und seine Finger sehr schnell nach allen Richtungen bewegte.

Je hitziger Papa wurde, um so schneller bewegten sich die Finger, und umgekehrt, wenn Papa schwieg, wurden auch die Finger ruhig; wenn aber Jakob selbst zu sprechen begann, gerieten die Finger in die ärgste Unruhe und sprangen verzweifelt nach allen Seiten. Ich glaube, an ihren Bewegungen konnte man Jakobs geheime Gedanken erraten; sein Gesicht aber blieb immer ruhig und drückte das Bewusstsein seiner Würde und zugleich seiner Unterwürfigkeit aus, das heißt es schien zu sagen: ich habe recht, im übrigen aber – wie es Ihnen beliebt!

Als Papa uns sah, sagte er nur:

»Wartet, sogleich!« und gab durch eine Bewegung des Kopfes zu verstehen, daß einer von uns die Tür schließen solle.

»Ach du barmherziger Gott, was hast du heute nur, Jakob?« fuhr er gegen den Verwalter gewendet und achselzuckend (das war seine Gewohnheit) fort. »Dieses Kuvert mit achthundert Rubeln ...«

Jakob zog das Rechenbrett heran, schob acht Hunderter in die Höhe und heftete seinen Blick auf einen unbestimmten Punkt, auf das Weitere wartend.

»... für Wirtschaftsausgaben in meiner Abwesenheit. Verstehst du? Für die Mühle mußt du tausend Rubel bekommen ... stimmt das oder nicht? An Kautionsgeldern hast du vom Fiskus achttausend zurückzuerhalten; für das Heu, von dem wir nach deiner Berechnung siebentausend Pud verkaufen können, – ich rechne das Pud zu fünfundvierzig Kopeken – bekommst du dreitausend; folglich wirst du im ganzen haben? – zwölftausend ... Stimmt das oder nicht?«

»Stimmt genau«, sagte Jakob. Aber an der Schnelligkeit der Fingerbewegungen erriet ich, daß er etwas entgegnen wollte, doch Papa kam ihm zuvor:

»Also, von diesem Gelde schickst du zehntausend in die Hypothekenkasse für Petrowskoje. Dann: das Geld, das wir im Kontor haben – (Jakob warf auf dem Rechenbrett die früher angemerkten zwölf Tausender zusammen und notierte statt dessen einundzwanzigtausend) – bringst du mir und schreibst sie unter dem heutigen Datum als Ausgabe ein. (Jakob schob die Röllchen durcheinander und drehte das Rechenbrett um, als wollte er damit andeuten, daß auch die einundzwanzigtausend verloren seien.) Und diesen Geldbrief hier wirst du in meinem Namen dem Adressaten übergeben.«

Ich stand dicht neben dem Tische und blickte auf die Adresse. Da stand geschrieben: »An Karl Iwanowitsch Mauer.«

Papa hatte wohl bemerkt, daß ich etwas gelesen hatte, was ich nicht zu wissen brauchte, legte seine Hand auf meine Schulter und drehte mich mit leichter Bewegung vom Tische fort. Ich wußte nicht recht, ob das eine Liebkosung oder ein Tadel sein sollte, küßte aber auf alle Fälle die große sehnige Hand, die auf meiner Schulter lag.

»Zu Befehl«, sagte Jakob; »und was belieben Sie wegen des Geldes von Chabarowka zu verfügen?«

Chabarowka war das Gut meiner Mutter.

»Das bleibt im Kontor und darf ohne meinen Befehl unter keinen Umständen irgendwie verwendet werden.«

Jakob schwieg ein paar Sekunden; dann begannen seine Finger, sich mit verstärkter Geschwindigkeit zu drehen, und den Ausdruck gehorsamen Stumpfsinns, mit dem er die Befehle des Herrn angehört hatte, in den ihm für gewöhnlich eigenen Ausdruck spitzbübischer Aufgewecktheit verwandelnd, zog er das Rechenbrett wieder näher zu sich heran und sagte:

»Erlauben Sie zu vermelden, Peter Alexandrowitsch, was Sie auch belieben mögen, aber in die Hypothekenkasse kann zum Termin nicht eingezahlt werden. Sie beliebten zu sagen«, – fuhr er langsam und nachdrücklich fort – »daß ich die Kautionsgelder, ferner Geld fürs Heu und für die Mühle bekommen müsse. (Indem er die Posten nannte, merkte er sie auf dem Rechenbrett vor.) Ich fürchte aber, daß wir uns in der Rechnung irren könnten«, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu, wobei er Papa vielsagend ansah.

»Wieso?«

»Also belieben Sie zu sehen: was die Mühle betrifft, so war der Müller schon zweimal bei mir, um einen Aufschub zu erbitten, und schwor bei Christus dem Herrn, daß er kein Geld habe. Er ist übrigens auch jetzt hier; vielleicht belieben Sie selbst mit ihm zu sprechen?«

»Was sagt er denn?« fragte Papa, indem er durch eine Bewegung mit dem Kopfe andeutete, daß er nicht mit dem Müller sprechen wolle.

»Ach, man kennt das ja! Er sagt, er habe nichts zu mahlen gehabt, und was er an Geld besessen, habe er im Damme verbaut. Und, gnädiger Herr, wenn wir ihm kündigen, – ob wir dabei auf unsere Rechnung kommen? – Dann beliebten Sie von den Kautionsgeldern zu sprechen; mir scheint, ich habe Ihnen schon einmal gemeldet, daß unser Geldchen dort festsitzt und daß wir's wohl nicht sobald bekommen werden. Ich hab' neulich wegen dieser Angelegenheit eine Fuhre Mehl und einen Brief zu Iwan Afanassitsch in die Stadt geschickt: er antwortet halt wieder, daß er sich gern für Peter Alexandrowitsch bemühen würde, die Sache liege aber nicht in seiner Hand und allem Anschein nach werde Ihre Quittung auch nach zwei Monaten noch schwerlich herauszubekommen sein. – Sie beliebten auch vom Heu zu sprechen. Angenommen, wir verkaufen es wirklich für dreitausend ...«

Er notierte auf dem Rechenbrett drei Tausender, schwieg einen Augenblick und schaute bald auf das Rechenbrett, bald auf Papa, mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er sagen: »Sie sehen selbst, wie wenig das ist. Und auch bei dem Heu werden wir uns wieder verrechnen, wenn wir's jetzt verkaufen sollen, Sie wissen ja selbst –«

Man sah ihm an, daß er noch einen großen Vorrat an Widerlegungsgründen bereit hatte; daher wohl unterbrach Papa ihn:

»Ich werde meine Anordnungen nicht ändern«, sagte er, »wenn sich aber dem Einkassieren dieser Gelder wirklich Hindernisse in den Weg stellen, dann – nichts zu machen – nimmst du von dem Chabarowskischen Gelde soviel als nötig ist.«

»Zu Befehl.«

Dem Gesicht wie den Fingern Jakobs merkte man es an, daß die letzte Weisung ihm großes Vergnügen bereitete.

Jakob war Leibeigener, ein sehr eifriger und ergebener Mensch; wie alle guten Verwalter war er äußerst geizig für seinen Herrn und hatte von den herrschaftlichen Vorteilen die sonderbarsten Begriffe. Er sorgte beständig für die Vermehrung des Eigentums seines Herrn auf Kosten des Eigentums der Herrin, indem er sich bemühte zu beweisen, daß alle Einnahmen von ihrem Gute auf Petrowskoje (das Gut, auf dem wir lebten) verwendet werden müßten. Jetzt triumphierte er, weil ihm das so vollständig gelungen war.

Als Papa uns begrüßt hatte, sagte er, wir hätten nun lange genug auf dem Lande gefaulenzt, wir seien keine kleinen Kinder mehr, und es sei Zeit, daß wir ernstlich zu lernen anfingen.

»Ihr wißt schon, glaube ich, daß ich heute nacht nach Moskau reise und euch mitnehme«, sagte er. »Wir werden bei Großmama leben, und Maman bleibt mit den Mädchen hier. Und merkt euch, ihr einziger Trost wird es sein, zu hören, daß ihr gut lernt und daß man mit euch zufrieden ist.«

Obgleich wir nach all den Vorbereitungen, welche seit einigen Tagen bemerkbar waren, schon irgend etwas Außergewöhnliches erwartet hatten, erschütterte uns diese Neuigkeit sehr. Wolodja wurde rot und richtete mit zitternder Stimme Mütterchens Auftrag aus.

»Das also hat mein Traum mir verkündet!« dachte ich; »gebe Gott, daß nicht noch etwas Schlimmeres komme!«

Um Mütterchen tat es mir sehr, sehr leid, zugleich aber freute mich der Gedanke, daß wir nun groß geworden seien.

»Wenn wir heute reisen, so werden wir wahrscheinlich keine Stunden haben, das ist herrlich!« dachte ich. »Übrigens tut mir Karl Iwanowitsch leid. Er wird wahrscheinlich verabschiedet werden, denn sonst hätte man nicht jenes Kuvert für ihn vorbereitet ... Lieber doch mein Leben lang lernen und nicht fort müssen, sich nicht von Mütterchen trennen und den armen Karl Iwanowitsch nicht kränken! Er ist ja ohnedies sehr unglücklich.«

Solche Gedanken zogen mir blitzartig durch den Sinn; ich rührte mich nicht von der Stelle und starrte die schwarzen Schleifen meiner Schuhe an.

Nachdem Papa mit Karl Iwanowitsch ein paar Worte über das Sinken des Barometers gesprochen hatte, befahl er Jakob, die Hunde nicht zu füttern, da er am Nachmittage zum Abschied auf die Jagd fahren und die jungen Jagdhunde ausprobieren wollte, und schickte uns dann ganz gegen meine Erwartung ins Schulzimmer, tröstete uns jedoch mit dem Versprechen, uns auf die Jagd mitzunehmen.

Auf dem Wege in den oberen Stock lief ich schnell auf die Terrasse hinaus. An der Tür in der Sonne lag Milka, der Lieblingswindhund meines Vaters.

»Milotschka«, sagte ich, indem ich ihn streichelte und auf die Schnauze küßte, »wir fahren heute fort! Lebewohl, wir werden uns nie wiedersehen!«

Ich gab mich ganz meinen Gefühlen hin und fing zu weinen an.

Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre

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