Читать книгу Wenn das so weitergeht, kauf ich mir 'ne Katze - Linette Carlson - Страница 15
KAPITEL 11
Оглавление„Steffi, bist du hier? Das Meeting fängt an!“
Erschrocken schaue ich auf meine Armbanduhr und stelle fest, dass ich schon fast eine ganze Stunde weinend in einer Toilettenkabine sitze. Wundert mich nicht, Selbstmitleid kann bei mir erfahrungsgemäß abendfüllend sein. Nur ist jetzt leider nicht Abend, sondern helllichter Arbeitstag. Demzufolge muss ich auf unsere Team-assistentin Marion reagieren. Nur wie? Verlassen kann ich die Kabine nicht. Meine schwarze Wimperntusche ist derart verlaufen, ich sehe garantiert aus wie ein Waschbär. Sprechen kann ich auch nicht, man hört es mir an, wenn ich geweint habe, und erst recht hört man es, wenn ich noch voll dabei bin. Vielleicht verschwindet Marion ja einfach wieder? Bitte! Nein, sie klopft schon an meine verschlossene Kabinentür.
„Steffi, bist du da drin?“
Marion ist vierundfünfzig und leidet darunter, dass sie vor etwa fünf Jahren von der Teamsekretärin zur Teamassistentin gemacht wurde. Unser Geschäftsführer hat damals alle Sekretärinnen umgetauft. Er dachte wohl, Assistentin klingt moderner. Marion fühlt sich seitdem jedoch ihres Berufes beraubt und herabgesetzt. Was ich gut verstehen kann. Sich mit vierundfünfzig Assistentin nennen zu müssen, obwohl man drei Fremdsprachen spricht, ist sicher kein Zuckerschlecken. Dass sie sich rächt, indem sie weniger Zeit mit Arbeit und dafür mehr mit Tratschen verbringt, finde ich nachvollziehbar. Einerseits. Andererseits ist es auch tierisch nervig, denn sie tratscht nicht nur über den Geschäftsführer, sondern über uns alle. Dass sie mich heulend in der Damentoilette entdeckt hat, würde sie ganz bestimmt nicht für sich behalten und das würde auch bei Astrid ankommen. Die hinterlistige Kuh soll aber nicht mitkriegen, dass ich wegen ihr weine, deswegen bleibt mir nur eine Möglichkeit:
„Marion, mir geht’s total schlecht! Ich glaube, es ist der Blinddarm!“
Wenn man Blinddarm hat, weint man. Das weiß ich genau, meine Schwester hatte mal Blinddarm. Und es war okay, dass sie deswegen weint.
Marion zeigt sich mitfühlend.
„Och, du Ärmste! Das tut mir so leid!“
Das würde ich ihr gern glauben, kann es aber nicht, dazu kenne ich sie zu lange. In Wahrheit freut sie sich, dank mir nun etwas halbwegs Spannendes zum Tratschen zu haben. Deswegen schlägt sie auch vor, jemanden zu suchen, der mich nach Hause oder zum Arzt fahren kann, und bietet nicht an, es selbst zu tun. Wenn ich zu ihrem Vorschlag „Ja!“ sage, hat sie nämlich unter dem Deckmäntelchen der Hilfsbereitschaft die Legitimation, Hinz und Kunz von meinen Schmerzen zu erzählen. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sie mit gespielter Betroffenheitsmiene durch alle Büros läuft und jeden anquatscht, der ihr vor die Flinte kommt.
„Du, der Steffi Rottmann geht es überhaupt nicht gut. Sie braucht dringend jemanden, der sie nach Hause fährt. Hast du gerade ein bisschen Luft?“
Dann fragt jeder, was ich genau habe, und so kriegt Marion ganz bequem eine halbe Stunde rum, in der sie nicht an ihrem Schreibtisch hocken muss und in der sie sogar ein bisschen wichtig ist. Ich gönne es ihr.
„Ja, Marion, frag bitte rum, ob mich jemand nach Hause fahren kann. Zum Arzt will ich noch nicht. Vielleicht ist es doch nur eine Magenverstimmung.“
Marion verschwindet und ich merke, dass ich gar nicht mehr weine. Mist! Eine Blitzgenesung nimmt sie mir niemals ab. Ich versuche, ein paar Resttränen aus meinen Augen zu pressen, aber da kommt nichts mehr. Leergeweint. Na gut, dann muss ich eben die Tapfere spielen und regelmäßig „Aua!“ sagen. Das sollte auch reichen.
Marion taucht wieder auf.
„Der Hausmeister fährt dich!“
Der Hausmeister? Das hat mir noch gefehlt… Wenn der jetzt auch noch Jens heißt, schreie ich!
„Wie heißt der Hausmeister, Marion?“, frage ich durch die immer noch geschlossene Kabinentür und Marion wundert sich.
„Du weißt nicht, wie unser Hausmeister heißt, Steffi?“
Ist das neuerdings eine Bildungslücke oder was?
„Nein, keine Ahnung!“
„Er heißt Herr Lipinski!“, eröffnet mir Marion. Als ich sie nach dem Vornamen von Herrn Lipinski frage, muss sie allerdings passen und drängt mich, endlich aus der Kabine zu kommen.
„Herr Lipinski hat nicht ewig Zeit!“
Ich öffne die Tür und folge Marion runter ins Erdgeschoss zum Empfang, wo Herr Lipinski wartet. Dabei presse ich eine Hand fest auf die Stelle, an der ich meinen Blinddarm vermute, und leichtes Hinken gehört auch zu meiner Performance. Offenbar liefere ich eine überzeugende Vorstellung als leidende Blinddarmpatientin, denn Marion schöpft keinen Verdacht. Und unser Hausmeister Kai Lipinski auch nicht.
Ja, ich habe ihn wirklich gefragt, wie er mit Vornamen heißt. Direkt beim Losfahren. Rein optisch hätte er nämlich durchaus ein Jens sein können und da wollte ich es halt wissen.