Читать книгу Wenn das so weitergeht, kauf ich mir 'ne Katze - Linette Carlson - Страница 5
KAPITEL 1
ОглавлениеAn schlechten Tagen fühle ich mich wie die menschliche Version des Berliner Hauptstadtflughafens, auch bei mir geht seit Jahren nichts richtig voran. Steffi, 36, Großbaustelle.
An guten Tagen denke ich, dass selbst der BER irgendwann mal fertig werden wird und demzufolge auch ich irgendwann mal das sein werde, was ich nach außen hin gern vorgebe: eine Frau, bei der alles perfekt läuft.
So gut wie niemand weiß, was wirklich bei mir los ist und damit das auch bloß so bleibt, erfinde ich ab und zu sogar Geschichten. Ja, das ist schwach. Weiß ich. Als 36-Jährige sollte man zu sich selbst stehen. Allerdings ist das nicht so leicht, wenn man kein bisschen stolz auf sich ist. Wenn man noch nichts von dem erreicht hat, was man eigentlich längst erreicht haben wollte. Wenn einem das eigene Scheitern so peinlich ist wie mir. Und wenn man die Frage „Was gibt’s Neues, Steffi?“ ehrlicherweise seit Jahren so beantworten müsste:
„Nichts!“
Die Frage nach Neuigkeiten hasse ich. Es ist völlig egal, wer sie mir stellt, ich fühle mich immer unter Druck gesetzt. Unter dem Druck, sofort und auf der Stelle eine spektakuläre Neuigkeit präsentieren zu müssen. Bloß woher nehmen? Ich würde nichts erfinden, wenn es nur ab und zu nichts Neues geben würde. Ab und zu im Sinne von: Ein Mal im Monat gibt es nichts Neues bei mir, sonst aber permanent. Bei mir gibt es jedoch seit geschlagenen elf Jahren nichts Neues. Ich werde immer älter, doch es ändert sich nichts. Oder wie Mama es mit besorgtem Unterton formulieren würde:
„Dein Leben nimmt gar keine Entwicklung, Steffi.“
Das hat sie vor zwei Jahren gesagt, als meine vier Jahre jüngere Schwester Anna im weißen Prinzessinnenkleid geheiratet hat. Ich habe keinen Ehemann. Ich hatte auch noch nie einen. Noch nicht mal verlobt war ich und meine letzte Beziehung genau genommen nur ein erweitertes Kennenlernen. Kinder habe ich auch nicht. Wenn das so weitergeht, kauf ich mir ‘ne Katze.
Was meine Karriere betrifft, ich habe keine. Sondern seit elf Jahren den gleichen Job. Und, um es rund zu machen, ich habe auch seit elf Jahren die gleiche Zwei-Zimmer-mit-kleinem-Balkon-Mietwohnung. Dass sich mein Gewicht seit elf Jahren nicht groß verändert hat, ist im Grunde super, doch nicht mal darüber kann ich mich so richtig freuen.
Ich habe mich schon mal gefragt, ob ich depressiv bin. Aber nö, nicht mal das gibt es Neues, ich trete einfach nur komplett auf der Stelle. Natürlich könnte ich das offen zugeben, nur wie stehe ich dann da? Auf Mitleid kann ich verzichten, deswegen bemühe ich meine Phantasie. Zum Beispiel regelmäßig an Heiligabend. Wenn meine ganze Familie glühweintrinkend Neuigkeiten austauscht, kann ich ja schlecht stundenlang schweigend in der Ecke hocken.
An meiner großen, falschen Weihnachtsneuigkeit bastele ich normalerweise ab etwa Mitte November. Es dauert immer ein bisschen, bis mir etwas Gutes einfällt. Dieses Jahr lag Mitte November jedoch eine echte Neuigkeit im Bereich des Möglichen. Ich hatte über Parship Kontakt zu einem sehr lustigen Daniel und dachte, dass mehr daraus wird. Tja, falsch gedacht. Daniel meldet sich seit über zwei Wochen nicht mehr und ich stehe jetzt dumm da. Morgen ist Heiligabend – und ich habe keine vorzeigbare Weihnachtsneuigkeit auf Lager. Wenn ich nicht das Problemthema der Feiertage sein möchte, muss mir morgen auf der Fahrt nach Bad Bevensen unbedingt etwas einfallen. In Bad Bevensen, dem einzigen Mineralheilbad der Lüneburger Heide, leben meine Eltern. Immer noch. Ich bin nach dem Abi zum Studieren nach Köln gezogen und bis heute geblieben. Weil in Köln mehr los ist, weil Leute, die in Köln leben, cool sind und weil ich sicher war, dass mein Leben in Köln viel aufregender werden würde als in Bad Bevensen. Punkt eins und Punkt zwei sehe ich immer noch so, aber Punkt drei hat sich leider als Irrtum deluxe entpuppt.