Читать книгу Wenn das so weitergeht, kauf ich mir 'ne Katze - Linette Carlson - Страница 6

KAPITEL 2

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Die A2 hält auch in diesem Jahr ihr Stauversprechen. Gut so, denn eine erfundene Weihnachtsneuigkeit will wohl überlegt sein. Sie muss ein Gesprächsthema für Heiligabend und beide Weihnachtsfeiertage bieten und niemand darf in Tränen ausbrechen, wenn ich die Neuigkeit irgendwann wieder kassiere.

Letzteres ist mir seit drei Jahren ausgesprochen wichtig. Damals hieß meine Weihnachtsneuigkeit Hendrik. Er war irre attraktiv, beruflich extrem erfolgreich, humorvoll, sensibel, noch kinderlos, heiratswillig und hatte ein so enges Verhältnis zu seiner Oma, dass er sie über die Weihnachtstage nicht allein lassen wollte. Hendrik ist bei meiner Familie super angekommen. Dass er sich so liebevoll um seine Oma kümmert, fanden alle bezaubernd und optisch hat er auch überzeugt. Sein Foto hatte ich aus dem Internet. Natürlich nicht von einer deutschen Seite, sondern von einer australischen. Es wäre zu peinlich geworden, wenn meine Eltern oder meine Schwester oder mein Schwager meinen Hendrik zufällig gekannt hätten. In Australien kennen sie allesamt niemanden.

Als ich Ostern von der Trennung erzählt habe, hat Mama geweint. Und ich dann auch. Nicht wegen der Trennung, die gab‘s ja nicht, ich habe mich wie die mieseste Tochter aller Zeiten gefühlt. Es ist nicht fair, seiner besorgten Mutter falsche Hoffnungen zu machen und deswegen verbreite ich nur noch Storys, die ich zurücknehmen kann, ohne dass Mama oder jemand anderes weint.

Dieses Jahr kommt mir der entscheidende Geistesblitz kurz vor Hannover, als die Moderatorin von Radio ffn die Fernsehtipps für die Weihnachtstage in ihr Mikro flötet. Offiziell guckt ja keiner mehr Fernsehen, sondern nur noch Netflix, aber inoffiziell hat dann doch jeder alles gesehen, sogar DSDS, und wer im Fernsehen auftaucht, ist noch immer etwas Besonderes. Singen kann ich nicht, kochen auch nicht richtig, aber shoppen! Und deswegen werde ich behaupten, dass ich als Kandidatin an der Umstyling-Show „Fashionista – Mein neues Ich“ teilnehme. Da jede Woche fünf neue Kandidatinnen gebraucht werden, klingt das nicht zu weit hergeholt und die Sendung kennt jeder. Außer vielleicht Papa, er guckt nur Sport und die Tagesschau.

Aber nimmt man mir das ab? Ach klar, warum nicht. Dass Shopping zu meinen liebsten Hobbys gehört, ist ja bekannt. Das passt schon und ist vor allem tränensicher. Ich nutze die verbleibende Fahrzeit, um meine „Fashionista“-Story in Gedanken vorzuformulieren und passiere kurz nach 16.00 Uhr bestens vorbereitet das Ortseingangsschild von Bad Bevensen.

Kaum habe ich meinen Mini in der elterlichen Auffahrt geparkt, flitzen Mama und Papa auch schon aus dem Haus. Umarmung, Küsschen, gute Fahrt gehabt? Und natürlich:

„Was gibt’s Neues, Steffi?“

Mama versucht, die fiese Frage ganz beiläufig zu stellen. Vom Tonfall her hätte sie auch fragen können, ob ich Ketchup oder Mayo zu den Pommes will. Oder Wasser mit oder ohne Sprudel. Aber ihre erwartungsvollen Augen verraten sie. Sie will jetzt hören, dass ihre große Tochter endlich auf dem richtigen Weg ist. Wahrscheinlich würde ihr auch irgendein Weg reichen. Hauptsache, es geht vorwärts und sie muss nicht mehr den Eindruck haben, dass sie bei meiner Erziehung versagt hat. Sie hat nie gesagt, dass sie die Schuld bei sich sucht, doch tun das nicht alle Mütter? Jede Mutter will, dass ihr Kind etwas erreicht, etwas aus sich macht. Und nicht, dass es gefühlt nur auf den Tod wartet. Ich würde Mama gern vermitteln, dass sie unschuldig ist, ich befürchte aber, es würde nichts ändern. Solange ich keinen Mann, kein Kind, keine Karriere oder sonst etwas liefere, wovon sie strahlend ihren Freundinnen berichten kann, wird sie weiter „Finde den Fehler“ spielen. Genau wie ich. Ich frage mich ja auch ständig, wieso es bei allen vorangeht und bei mir so überhaupt nicht.

Papa ist, ungeahnt, auf meiner Seite und bremst Mama aus.

„Lass Steffi doch erst mal ankommen!“

Danke, Papa! Ich folge ihm ins Haus, stelle meine Tasche im Flur ab und gehe ins festlich geschmückte Wohnzimmer. Meine Schwester Anna, ihr Mann Thomas und ihre gemeinsame 2-jährige Tochter Amelie hocken schon bei Kaffee und Kuchen. Das war zu erwarten, die drei sind immer vor mir da, sie wohnen nur zwei Straßen entfernt. Anna und ich haben ziemlich genau nichts gemeinsam, auch nicht den Männergeschmack. Ihr Thomas sieht aus wie ein Bausparer und arbeitet, ganz solide, bei der Volksbank. Klingt langweilig und genau das ist Thomas auch, allerdings macht er Anna glücklich und deswegen mag ich ihn trotzdem. Amelie ist das süße, blondgelockte Traumkind, das jeder haben möchte, und Anna geht fest davon aus, dass ihre Amelie erst Topmodel und dann Bundeskanzlerin wird. Das glaubt Anna wirklich und begründet es todernst so:

„Amelie ist die perfekte Mischung! Schönheit von Mama, Intelligenz von Papa!“

Wenn Anna solche Sprüche bringt, sage ich immer nichts. Schon gar nicht, was ich denke. Ich würde doch nur die Stimmung zerstören. Und im schlimmsten Fall sogar Träume.

„Was gibt’s Neues, Steffi?“

War klar, dass Mama am Ball bleibt. Aber ich bin ja vorbereitet!

„Ich mache bei ‚Fashionista‘ mit!“, behaupte ich so cool wie möglich und garniere meine Lüge mit einem stolzen Lächeln.

Papa guckt ein irritiertes Loch in die Luft.

„Wo machst du mit?“

„Das ist eine Fernsehshow!“, kläre ich ihn auf. „Ganz genau heißt die Sendung ‚Fashionista – Mein neues Ich‘ und alles läuft ein bisschen so wie bei ‚Das perfekte Dinner‘. Nur geht es nicht ums Kochen, sondern die Teilnehmerinnen stylen sich um.“

Papa genügt meine Kurzerklärung nicht, ich muss ins Detail gehen.

„Pass auf, Papa: Fünf Frauen bekommen jeweils 600 Euro und müssen sich nacheinander, jeden Tag eine andere Frau, von dem Geld umstylen. Das heißt neuer Klamottenstil, neue Frisur und so weiter. Das Ergebnis wird von den anderen Kandidatinnen und von zwei Experten bewertet. Die Kandidatin, die für ihr Umstyling die meisten Punkte bekommt, gewinnt am Ende einen neuen Kleiderschrank. Also nicht den Schrank an sich, sondern den Inhalt. Man bekommt eine komplett neue Garderobe plus Schuhe plus Handtaschen. Ist doch super, oder?“

Papa runzelt nur die Stirn, dafür schlägt meine erfundene Neuigkeit bei Mama und Anna voll ein. Fanfaren, Feuerwerk, Kinderchöre! Steffi macht bei „Fashionista“ mit! Mama und Anna sind Fans und auch Thomas entpuppt sich überraschenderweise als begeisterter Stammzuschauer.

„Wenn’s das für Männer gäbe, wäre ich sofort dabei! Ich habe meine Karohemden satt!“

Ach guck, da sind wir ja einer Meinung. Ich kann Thomas‘ Karohemden auch nicht mehr sehen. Dass er seinen Look selbst in Frage stellt, wundert mich allerdings. So viel Interesse an Mode hätte ich ihm nicht zugetraut. Aber umso besser! Jetzt haben auch wir zwei endlich mal ein Gesprächsthema, das uns beide interessiert. Sonst redet immer erst der eine über das, was ihn beschäftigt, und danach redet der andere über etwas anderes. Wir führen also normalerweise die Art von Unterhaltung, die keinen weiterbringt.

Heute läuft nicht nur das Gespräch mit Thomas wie von selbst, sondern alles. Ich bin unumstritten der Star! Und das Allerbeste: Absolut niemand kommt auf die Idee, sich nach weiteren Neuigkeiten zu erkundigen. Dass ich Single bin, wird endlich mal nicht thematisiert, meine Familie ist im Fernsehrausch.

Mama und Anna wollen alles ganz genau wissen. Wie man sich bewirbt, wie lange die Dreharbeiten dauern und so weiter. Ich kann sämtliche Fragen locker und entspannt beantworten, denn ich habe letztens im Internet einen „Hinter den Kulissen“-Bericht einer ehemaligen Kandidatin gelesen, da stand alles haarklein. Und selbst wenn irgendetwas davon nicht stimmen sollte, egal! Mama und Anna haben noch nie bei „Fashionista“ mitgemacht. Besser wissen können sie es also nicht.

Mama hängt an meinen Lippen, Annas Begeisterung legt sich hingegen nach und nach und sie wird eifersüchtig, weil nicht sie im Mittelpunkt steht. Zumindest interpretiere ich ihr Verhalten so und kann sie sogar verstehen. In der Regel ist sie der Star mit den tollen, und vor allem echten (!), Neuigkeiten, ich und mein Sackgassenleben laufen nur so mit.

Bis fünfundzwanzig war ich mit Vollgas unterwegs. Abi, Umzug nach Köln, BWL-Studium, erster Job – doch dann ging mir der Sprit aus. Seitdem stecke ich fest wie ein Trecker im Matsch. Totaler Stillstand. Für den Rückwärtsgang ist es mittlerweile zu spät. Mit sechsunddreißig kann man nicht mehr ganz von vorn anfangen, sondern man muss sich weiterentwickeln. So wie Apple sein iPhone weiterentwickelt. Seit 2007 bringen die jedes Jahr ein optimiertes Modell raus. Ich habe in der Zeit keine einzige Selbstoptimierung hinbekommen.

Wenn das so weitergeht, kauf ich mir 'ne Katze

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