Читать книгу Illuminas' Dämonen - Lisa Hummel - Страница 4

1.

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„Weißt du, irgendwie mag ich dich.“

Manuela hatte dieses Lächeln aufgesetzt, das sie für verführerisch hielt, und warf Morten einen koketten Blick zu, während sie ihre Arme enger um seinen linken schlang. Er erwiderte ihr Lächeln kurz und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Holzkrug.

In den ersten Stock des großen Gasthauses, der wie eine große dunkle Galerie aus Holz aufgebaut war, hatten sich einige Pärchen oder andere Grüppchen zurückgezogen. Über das Geländer konnte man hinunter in den Schankraum sehen, in dem sich viele Menschen um etliche Tische drängten, Bier und Wein und Met und andere Getränke in Strömen fließen ließen und kräftig miteinander anstießen. Viele lachten und unterhielten sich angeregt, manche waren dabei, sich zu küssen.

Obwohl dort unten gute Stimmung herrschte, war es hier relativ leise. Nur noch die fernen Echos der Stimmen drangen nach oben. Ähnlich verhielt es sich mit dem Licht. War es unten noch einigermaßen hell, dank der vielen Kerzen, fanden sich hier überwiegend Schatten ein, die vom schwachen Schein genährt wurden und sich zwischen Balken, Tische und Nischen drängten.

Morten kam es so vor, als beherbergte dieses Gebäude zwei verschiedene Welten. Unten die gewöhnlichen, feiernden Stadtbewohner und oben die dunklen Gestalten, die flüsternd Geheimnisse in der Finsternis tauschten oder Dinge mit Geld kauften, die anderswo unvorstellbar waren. Nur in der schützenden Anwesenheit der Nacht konnte man sich um solcherlei Dinge kümmern.

Manuela begann, mit ihren Händen über seinen Arm zu streichen, durch sein straßenköterblondes Haar zu fahren, deren goldener Glanz nicht ganz vom Staub der Straße getilgt werden konnte.

Morten nahm noch einen Schluck seines Bieres und sah zu seinem Kameraden Jacque, dessen massiger Körper im Dunkeln mit dem der Blondine zu verschmelzen schien, die er gerade wild und begierig küsste.

Hinter ihm, wie in jeder Nische sonst auch in diesem Stockwerk, befand sich ein großes Fenster, das aus vielen kleinen Scheiben bestand. Morten hatte von hier aus einen weiten Blick über die Straße, die sich an dem Gasthaus vorbei durch die Stadt Manrhay schlängelte.

Die Bewohner wussten es noch nicht, nein, dachten sogar, dass der Spuk sie heute Nacht vielleicht nicht heimsuchen würde, aber die Anzeichen der Schatten waren schon wahrnehmbar und bald würde es auf den Straßen nicht mehr sicher sein.

Manchmal überraschten die normalen Menschen Morten. Manchmal trauten sie sich tagelang nicht aus dem Haus, aus Angst, sie könnten die Nacht – oder vielleicht sogar den Tag – nicht überleben und manchmal schoben sie jede Angst, jede Gefahr beiseite und feierten als gäbe es kein Morgen mehr.

In gewisser Weise konnte Morten diesen plötzlichen Heißhunger auf Freude, Spaß, Glück sogar nachvollziehen, der die Menschen alle paar Tage, Wochen, Monate erfasste. Sie versuchten die Dunkelheit, in der sie den Großteil ihres Lebens verbrachten, mit Tanz und Musik und Lachen einfach mal beiseite zu schieben, wenn auch nur für kurze Zeit, und nicht daran zu denken, was ihnen in der Nacht oder am nächsten Tag widerfahren könnte.

Heute war keine dieser Nächte, in denen es ratsam war, sich außerhalb seines Hauses herumzutreiben und durch Lärm auf sich aufmerksam zu machen. Heute war eine dieser Nächte, in denen man besser dran war, wenn man im eigenen Haus alle Lichter löschte und Türen und Fenster fest verschlossen hielt.

Doch so war es nun mal im Leben, manchmal hatte man Glück, manchmal Pech.

Manuela schien zu denken, dass er ihre Streicheleinheiten genoss. Doch Morten hatte sich nicht zurückgelehnt und die Augen geschlossen, um sich zu entspannen, sondern um sich zu konzentrieren. Er lauschte auf die Geräusche der Schatten. Auf ihr Flüstern, ihr Klirren, ihr Rascheln.

Er fühlte praktisch, wie sich der Dämon draußen über die Straße schob. Mit langsamen Schritten kroch er beinahe wie eine Schnecke über das Kopfsteinpflaster. Als ein paar Wolken, den milchigen Mond freigaben, flutete das Licht über Straßen, Gebäude und über die massige Gestalt, die draußen umher streifte, hungrig, gierig nach Blut.

Die Silhouette des Dämons wurde ins Haus geworfen und unten erstarb plötzlich jedes Geräusch. Ein Lächeln stahl sich auf Mortens Lippen. Jetzt hatte auch der Einfältigste begriffen, dass heute keine gute Nacht zum Feiern war. Manuela krallte sich in seinen Ärmel und starrte verängstigt aus dem Fenster hinter ihr.

Die tosende Stille ermöglichte es Morten, die Geräusche zu analysieren, die die Schreckgestalt draußen erzeugte. Jacque mochte es nicht, wenn Morten dermaßen ruhig blieb und er konnte den brennenden, auffordernden Blick spüren, den er ihm zuwarf. Es fiel ihm schwer, das Grinsen zu unterdrücken, das sich anbahnte.

Die Aufmerksamkeit des Dämons lag voll und ganz auf dem Wirtshaus. Das Licht und der Lärm hatten ihn angelockt wie eine Motte. Er witterte und näherte sich langsam aber beständig den Fenstern, um hineinzuspähen. Wären sie nicht direkt in der Gefahrenzone, würde Jacque Morten ansprechen oder ihn anstupsen oder sonst was machen, aber so zögerte er und beließ es dabei, ihn weiter anzustarren, in der Hoffnung, dass endlich einmal Leben in ihn kommen würde.

Morten erlöste Jacque und öffnete endlich die Augen, um seinen verärgerten Blick mit einem entschuldigenden Lächeln zu beantworten. Morten wandte leicht den Kopf, um den Dämon in Augenschein zu nehmen.

Eine hässliche, große Kreatur stand dort draußen. Er schien eine Mischung aus Bär und Werwolf zu sein, irgendwie falsch zusammengebaut, aber das war nicht unüblich, so sahen die meisten aus. Nicht alle, aber die meisten. Lange, spitze Zähne, Mundwinkel, aus denen der Geifer troff, reflektierten das helle Mondlicht.

Heute Nacht stand der Erdtrabant beinahe voll und groß am Himmel. Ein Wunder, dass die Menschen nicht selbst darauf gekommen waren, dass heute Nacht die Geister Hunger hatten.

Morten schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Sie selbst hatten auch Hunger, zwar nach Leben und Lachen und Feiern, doch waren sie selbst auch nur Geister in diesem Leben, das durch gefährliche Nächte bestimmt wurde.

Der Dämon witterte, die schwarze Nase an der Spitze der langen Schnauze bewegte sich, als er versuchte, alle Gerüche der Umgebung aufzusaugen. Zähe Muskeln spannten unter der Haut. Den Dämon zu besiegen, würde kein Kinderspiel werden, aber Morten hatte schon Schlimmeres durchgestanden.

Jacque und Morten tauschten ein paar Blicke. Mit der Zeit hatten sie gelernt, sich auch stumm zu verständigen. Endlich entspannte sich Jacque. Er schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück.

Manuela neben Morten zitterte und krallte sich noch immer an seinen Arm. Sie wagte es nicht, sich zu rühren und konnte ihre vor Schreck aufgerissen Augen nicht von dem Ungetüm draußen wenden.

Plötzlich wurden unten Stimmen laut. Ein Stuhl wurde umgeworfen, Menschen zur Seite geschubst, jemand rannte nach draußen und schlug dabei die Tür laut auf. Sobald sie wieder ins Schloss fiel, war es für endlos lange drei Sekunden totenstill. Die Stille, die eintrat, wenn ein Leben besiegelt war und alle es wussten.

Neugierig wandten sich Morten und die anderen im oberen Stockwerk den Fenstern zu und blickten hinunter auf die Straße. Ein junger Mann stand mit zu Fäusten geballten Händen direkt vor dem Dämon. Morten konnte von oben aus sehen, wie sehr seine Beine zitterten. Dennoch war der Mann mutig, das musste er ihm lassen. Dumm, aber mutig.

Für ein paar Augenblicke wusste das Ungeheuer selbst nicht, was es mit dem Mann vor sich anfangen sollte. Es war es nicht gewohnt, dass die Beute zu ihm kam, sonst musste es einiges dafür tun, um sich den Magen zu füllen.

„Was zum-?“, fragte Jacque verwirrt.

Der Werwolf-Bär brüllte laut. Speichel flog aus dem weit aufgerissenen Maul. Er ließ eine der mächtigen Tatzen auf den Mann nieder sausen, der es beinahe geschafft hätte zur Seite zu springen, jedoch noch getroffen und in ein paar Fässer geschossen wurde, die an einer Hauswand standen. Manuela quiekte leise. Die Fässer barsten und der Junge blieb liegen. Kleine Blutflecke schmückten das Kopfsteinpflaster.

„Ich wette um zehn Pfennige, dass der Bursche innerhalb der nächsten fünf Minuten seinen letzten Atemzug macht“, raunte Jacque Morten zu.

Morten begutachtete die Szenerie unten. Der Dämon wusste, dass der Junge nichts gegen ihn ausrichten konnte. Er hatte keinerlei Eile, seine Beute zu erledigen, er konnte es sich leisten, erst noch genüsslich mit ihr zu spielen, bis er seine riesigen Zähne in Menschenfleisch schlagen würde.

„Hmm, damit könntest du Recht haben“, antwortete Morten.

Noch war der übermütige Junge am Leben, wenn auch kaum noch bei Bewusstsein. Mühsam rappelte er sich auf und fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Morten fragte sich, ob er wohl schon verstanden hatte, dass sein letztes Sekündchen jeden Moment schlagen könnte?

„Ihr!“, brüllte plötzlich jemand hinter Morten.

Er und Jacque drehten sich irritiert um. Vor ihnen stand ein Mann mittleren Alters. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, sein ganzer Körper war angespannt und er atmete schwer, unterdrückte seine Wut.

Morten begutachtete ihn neugierig, was jetzt wohl kommen mochte?

Auch Jacque bevorzugte es zu schweigen und sah den Mann nur abwartend an.

„Ihr!“, wiederholte er. „Ihr seid ein Jäger, der es mit diesem Dämon aufnehmen kann, und dennoch sitzt Ihr hier oben und versteckt euch, während mein Sohn dort unten sein Leben riskiert!“

„Euer Sohn riskiert nicht sein Leben, er wirft es gedankenlos weg. Wieso zum Teufel ist er nur auf die Idee gekommen, er könnte es mit einem Dämon aufnehmen? Euer Sohn ist ein Tor“, wandte Jacque ein.

Der Mann lief vor Wut rot an. „Er ist kein Tor! Wir warteten darauf, dass Ihr etwas unternehmt, Eure Aufgabe erfüllt und den bösen Geist beseitigt. Wir haben Euch vorhin hier reinkommen gesehen. Es war uns nicht Recht, aber da Ihr der Stadt Euren Dienst erweist, tolerieren wir euch. Da Ihr Eurer Pflicht jedoch nicht nachkommt, musste es jemand anderes machen und da hat mein Sohn eben die Bürde auf sich genommen!“

„Das könnt Ihr nicht wissen“, erwiderte Jacque, „Wenn ihr euch nur alle ruhig verhalten hättet, wäre das Ungetüm vielleicht weitergezogen und ihr alle wäret verschont geblieben. Das habt ihr eurer eigenen Dummheit zu verdanken.“

„Ihn ignorieren und ihn dann andere Menschen fressen zu lassen?“, spie er aus, „Habt Ihr denn gar keine Ehre in Eurem verdorbenen Leib?“

„Vorsicht“, drohte Jacque.

„Schon gut.“ Morten erhob sich, steckte seine Zwillingsklingen in den Gürtel, legte seinen schweren Umhang aus dunklem Leder an, schnallte die Armbrust um und setzte seinen Hut auf. Die Gäste im oberen Stockwerk beobachteten ihn bei jeder Bewegung. Als Morten fertig war, ging er an dem Mann vorbei, dessen Körper sich sofort anspannte, als er ihn passierte.

Während er die Treppe hinunter stieg, fühlte er, wie die zahllosen Blicke der Gäste auf ihn gerichtet waren, die versuchten, nur mit ihren Augen in sein Inneres zu blicken, was ihnen mit Sicherheit schwer fiel; wegen des hohen Kragens und des Huts waren von Mortens Gesicht nur noch die dunkelbraunen Augen zu sehen. Er ignorierte die Blicke. Er war es gewöhnt.

Seine festen Stiefel klangen laut in der herrschenden Stille.

Er schob die Türe auf und trat in die kühle Nacht hinaus. Ein Wunder, dass der Dämon den Jungen noch nicht zerrissen hatte, aber der saß noch immer benommen am Boden. Das Ungetüm witterte und wurde sofort vorsichtig. Es schien zu wissen, was Morten war – ein Jäger.

Morten hörte Jacque hinter sich auf die Straße treten.

„Du hast jede Menge neugieriger Zuschauer“, sagte er mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme.

Morten zuckte mit den Achseln.

„Das ist mir egal. Sollen sie doch.“

Jacque verschränkte die Arme vor der Brust und verlagerte sein Gewicht auf ein Bein. Morten schätzte die stumme, zurückhaltende Unterstützung, die er ihm leistete.

Der Dämon taxierte ihn mit Blicken, die Morten entschlossen erwiderte. Einige Zeit standen sie sich einfach nur gegenüber, ohne dass einer von ihnen auch nur mit einem Muskel zuckte.

Der junge Mann, der ursprünglich die Beute des Dämons hätte sein sollen, wurde endlich von seiner Benommenheit erlöst und verlor sogleich die Nerven. Er versuchte, sich aufzurappeln und geriet ins Stolpern. Der Werbär stürzte sich auf ihn und schlug mit seinen Pranken nach ihm. Morten sprang dazwischen und blockte die langen, spitzen Krallen mit seinen Zwillingsklingen ab.

Mortens Sinne waren geschärft, in diesem Moment hätte er einen Schweißtropfen fallen hören. Er holte tief Luft, der Sauerstoff rauschte in seinem Körper, während er sich seinen Weg in Mortens Lunge bahnte, Morten holte aus und schnitt dem Dämon die Pulsadern der rechten Pranke auf.

Umgehend schossen Ströme dunklen Blutes aus dem Bein, die das Kopfsteinpflaster besudelten. Der Dämon jaulte, es glitzerte gefährlich in seinen Augen und Morten wusste, dass es vorbei war. Mit jeder Sekunde, die verstrich, floss das kostbare Lebenselixier aus dem pelzigen Körper und schon bald würde das Ungetüm zu schwach sein, als dass es noch eine große Bedrohung darstellte.

Während Morten darauf wartete, dass er dem Monstrum den Gnadenstoß geben konnte, wanderte sein Blick für einen Moment zu Jacque, der mit seinem stets mürrischen Gesichtsausdruck den jungen Mann verarztete. Die Fenster des Wirtshaus waren mit hellen Gesichtern der Leute gespickt, die dem Kampf folgten. Im ersten Stock konnte er Manuela und Jacques Blondine erkennen.

Er widmete sich wieder dem Werbären, der keuchend dastand, unter ihm hatte sich das Blut schon in einer Pfütze gesammelt. Um ganz sicher zu gehen, dass der Bär keine große Gefahr mehr darstellte, sollte Morten zwar eigentlich noch warten, aber er wollte es hinter sich bringen.

Er rannte auf den Dämon zu, der mit seiner unversehrten Pranke nach ihm schlug, wich dieser aus und durchtrennte ihm die Sehnen am linken Vorderbein. Der Koloss ging unter Heulen in die Knie und Morten rammte ihm die Klinge, die er in der rechten Hand hielt, in den Hals. Mit einem gurgelnden Geräusch brach das Ungetüm vollständig zusammen und Morten gab ihm den Gnadenstoß.

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